KARL WALTHER, GUTSHOF
AUSGESTELLT BEI VIKTOR HARTBERG, BERLIN
lebendiger Geschmack! Aber eine merkwürdige Mischung.
In den Figurenzeichnungen ist eine gewisse Kraft, imWeichen
sogar ein großer Zug; doch erinnern sie immer irgendwie
an italienische Vorbilder und sogar an englischen Präraffaeli-
tismus. Die italienischen und südfranzösischen Hafenbilder
haben, trotz betonter „Sachlichkeit", eine gute malerische
Gesamthaltung und schön empfundene Stellen. Doch sehen
sie alle mehr oder weniger aus, als seien sie nach alten
Stichen gemacht. Wo sie doch sicher nach der Natur oder
im Atelier nach Naturerinnerungen gemalt sind. Im „Grünen
Heinrich" gibt es eine Stelle, die hierher paßt. Der Grüne
Heinrich will Bilder verkaufen und kommt zu einem Händ-
ler. Der sagt: „Die Sachen sind nicht übel, aber sie sind nach
alten Kupferstichen gemacht, und zwar nach guten." Erstaunt
und verdrießlich erwiedert der Grüne Heinrich: „Nein, diese
Bäume habe ich selbst alle nach der Natur gezeichnet und
sie stehen wahrscheinlich jetzt noch; auch das übrige exi-
stiert beinahe alles wie es hier ist, nur liegt's etwas mehr
auseinander!" „In diesem Fall", versetzt der Händler, „kann
ich die Bilder erst recht nicht brauchen; man wählt nach
der Natur keine Motive, die wie aus alten Kupferstichen
aussehen!"
Dieses angemerkt, ist zu sagen, daß die Tischler-Aus-
stellung bei Casper Eindruck macht, daß sie Charakter hat
und ein entschiedenes Talent schätzen lehrt. Bilder wie der
Hafen in Marseille, wie das Damenbildnis oder wie — etwas
bedingter — das Stilleben, sind in ihrer kühl nervösen Art
ausgezeichnet. Das Entscheidende aber ist: sie lassen noch
Besseres erhoffen. K. Sch.
*
In der zweiten Hälfte des Oktober war in Berlin eine
Ausstellung moderner französischer Luxusdrucke zu sehen,
etwa vierhundert an der Zahl, welche die deutsch-französische
Gesellschaft zusammen mit der Maximilian-Gesellschaft ver-
anstaltet hatte. Diese Auswahl einer sehr selbstgewissen und
selbstsicheren Produktion, die hier wenig bekannt ist und die
mit der deutschen Buchkunst wenig Berührungspunkte hat,
fand lebhafte Beachtung. Die künstlerische Durcharbeitung
KARL WALTHER, KLEINSTADT
AUSGESTELLT BEI VIKTOR HARTBERG, BERLIN
und handwerkliche Meisterschaft des französischen biblio-
philen Buches basiert deutlich auf der hohen nationalen
Tradition, die es nach Zeiten des Verfalls ebenso erst wieder
zu erringen galt wie bei uns. Die Kultur des Satzes ist stets
bewundernswert, und zwar herrscht ein starkes Empfinden
für den graphischen Kontrast des Schriftbildes zum Weiß der
Seite. In ausgesprochen modernen Drucken verwendet man,
um die Wirkung zu steigern, sehr fette Schriften flächigen
Charakters. Das verleiht diesen Büchern einen einzigartigen
Typ. Zum Begriff des französischen Luxusbuches aber gehört
fast durchweg Illustration oder Buchschmuck. Als Holzschnitt
trägt dieser Schmuck meist einen, dem Franzosen als buch-
mäßiger Stil geltenden, erstarrten Zug. Auch die illustrative
Radierung, die gemäß der Tradition des achtzehnten Jahr-
hunderts eine große Rolle spielt und die auch als Farben-
radierung beliebt ist, fügt sich einem formalen Zwang, der
sich nicht nur aus einer konventionellen Gebundenheit der
bibliophilen Kreise und einem Mangel an überlegenen Gra-
phikern erklärt, sondern der von einer uns fremden Buch-
ästhetik diktiert ist. Unter diesen Radierern geglätteten Stils
erscheint der elegante Chas Laborde als der an Vitalität und
Beobachtung reichste, während der sensible Laboureur oft
stark das Niveau des Modezeichners streift. Unter den
führenden Verlegern ist Francpis Bernouard derjenige, der
seine Drucke am bewußtesten mit Zeitempfinden erfüllt.
Er hat auch stärkere Künstler und radikale zu Worte kommen
lassen, die dann in verschiedenen Verlagen Aufnahme fanden.
Werke mit Arbeiten dieser Persönlichkeiten, die allerdings
meist reine Künstlerbücher sind und nicht mehr interpretierte
Literatur, wurden auf der Ausstellung in der Sammlung
Flechtheim gezeigt. Hier erschienen die Namen Segonzac
und Laurencin, Matisse, Picasso, Derain, Raoul Dufy, Juan
Gris und Jean Cocteau. Demgegenüber repräsentierte die
reichhaltige Sammlung des Botschafters de Margerie, in der
Illustratoren wie Carlegle, Dethomas, Louis Jou, Naudin und
Roubille häufig wiederkehrten, den strengen Geschmack und
bezeugt — eine Mahnungfürunsere Bibliophilen—, wie sehr die
französischen Luxusdrucke neben den lebendigen Klassikern
die bedeutenden neuen Autoren berücksichtigen. Koch.
125
AUSGESTELLT BEI VIKTOR HARTBERG, BERLIN
lebendiger Geschmack! Aber eine merkwürdige Mischung.
In den Figurenzeichnungen ist eine gewisse Kraft, imWeichen
sogar ein großer Zug; doch erinnern sie immer irgendwie
an italienische Vorbilder und sogar an englischen Präraffaeli-
tismus. Die italienischen und südfranzösischen Hafenbilder
haben, trotz betonter „Sachlichkeit", eine gute malerische
Gesamthaltung und schön empfundene Stellen. Doch sehen
sie alle mehr oder weniger aus, als seien sie nach alten
Stichen gemacht. Wo sie doch sicher nach der Natur oder
im Atelier nach Naturerinnerungen gemalt sind. Im „Grünen
Heinrich" gibt es eine Stelle, die hierher paßt. Der Grüne
Heinrich will Bilder verkaufen und kommt zu einem Händ-
ler. Der sagt: „Die Sachen sind nicht übel, aber sie sind nach
alten Kupferstichen gemacht, und zwar nach guten." Erstaunt
und verdrießlich erwiedert der Grüne Heinrich: „Nein, diese
Bäume habe ich selbst alle nach der Natur gezeichnet und
sie stehen wahrscheinlich jetzt noch; auch das übrige exi-
stiert beinahe alles wie es hier ist, nur liegt's etwas mehr
auseinander!" „In diesem Fall", versetzt der Händler, „kann
ich die Bilder erst recht nicht brauchen; man wählt nach
der Natur keine Motive, die wie aus alten Kupferstichen
aussehen!"
Dieses angemerkt, ist zu sagen, daß die Tischler-Aus-
stellung bei Casper Eindruck macht, daß sie Charakter hat
und ein entschiedenes Talent schätzen lehrt. Bilder wie der
Hafen in Marseille, wie das Damenbildnis oder wie — etwas
bedingter — das Stilleben, sind in ihrer kühl nervösen Art
ausgezeichnet. Das Entscheidende aber ist: sie lassen noch
Besseres erhoffen. K. Sch.
*
In der zweiten Hälfte des Oktober war in Berlin eine
Ausstellung moderner französischer Luxusdrucke zu sehen,
etwa vierhundert an der Zahl, welche die deutsch-französische
Gesellschaft zusammen mit der Maximilian-Gesellschaft ver-
anstaltet hatte. Diese Auswahl einer sehr selbstgewissen und
selbstsicheren Produktion, die hier wenig bekannt ist und die
mit der deutschen Buchkunst wenig Berührungspunkte hat,
fand lebhafte Beachtung. Die künstlerische Durcharbeitung
KARL WALTHER, KLEINSTADT
AUSGESTELLT BEI VIKTOR HARTBERG, BERLIN
und handwerkliche Meisterschaft des französischen biblio-
philen Buches basiert deutlich auf der hohen nationalen
Tradition, die es nach Zeiten des Verfalls ebenso erst wieder
zu erringen galt wie bei uns. Die Kultur des Satzes ist stets
bewundernswert, und zwar herrscht ein starkes Empfinden
für den graphischen Kontrast des Schriftbildes zum Weiß der
Seite. In ausgesprochen modernen Drucken verwendet man,
um die Wirkung zu steigern, sehr fette Schriften flächigen
Charakters. Das verleiht diesen Büchern einen einzigartigen
Typ. Zum Begriff des französischen Luxusbuches aber gehört
fast durchweg Illustration oder Buchschmuck. Als Holzschnitt
trägt dieser Schmuck meist einen, dem Franzosen als buch-
mäßiger Stil geltenden, erstarrten Zug. Auch die illustrative
Radierung, die gemäß der Tradition des achtzehnten Jahr-
hunderts eine große Rolle spielt und die auch als Farben-
radierung beliebt ist, fügt sich einem formalen Zwang, der
sich nicht nur aus einer konventionellen Gebundenheit der
bibliophilen Kreise und einem Mangel an überlegenen Gra-
phikern erklärt, sondern der von einer uns fremden Buch-
ästhetik diktiert ist. Unter diesen Radierern geglätteten Stils
erscheint der elegante Chas Laborde als der an Vitalität und
Beobachtung reichste, während der sensible Laboureur oft
stark das Niveau des Modezeichners streift. Unter den
führenden Verlegern ist Francpis Bernouard derjenige, der
seine Drucke am bewußtesten mit Zeitempfinden erfüllt.
Er hat auch stärkere Künstler und radikale zu Worte kommen
lassen, die dann in verschiedenen Verlagen Aufnahme fanden.
Werke mit Arbeiten dieser Persönlichkeiten, die allerdings
meist reine Künstlerbücher sind und nicht mehr interpretierte
Literatur, wurden auf der Ausstellung in der Sammlung
Flechtheim gezeigt. Hier erschienen die Namen Segonzac
und Laurencin, Matisse, Picasso, Derain, Raoul Dufy, Juan
Gris und Jean Cocteau. Demgegenüber repräsentierte die
reichhaltige Sammlung des Botschafters de Margerie, in der
Illustratoren wie Carlegle, Dethomas, Louis Jou, Naudin und
Roubille häufig wiederkehrten, den strengen Geschmack und
bezeugt — eine Mahnungfürunsere Bibliophilen—, wie sehr die
französischen Luxusdrucke neben den lebendigen Klassikern
die bedeutenden neuen Autoren berücksichtigen. Koch.
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