Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0222
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Heft 5
DOI Artikel:Scheffler, Karl: Zur Ausstellung der Holzbildwerke des sechzigjährigen Ernst Barlach in der Akademie
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ERNST BARLACH, HOLZSCHNITT
MIT ERLAUBNIS VON PAUL CASSIRER, BERLIN
ZUR AUSSTELLUNG DER H O LZ B I LD WE R K E
DES SECHZIGJÄHRIGEN ERNST BARLACH
IN DER AKADEMIE
VON
KARL SCHEFFLER
Tlarlach hat in den letzten Jahren zwei Selbst-
bildnisse gezeichnet. Man darf annehmen, daß
er so, wie er sich selbst gesehen und dargestellt
hat, der Mit- und Nachwelt erscheinen möchte;
diese Zeichnungen sind darum in doppelter Weise
aufschlußreich.
Ein edles, sorgenvolles Antlitz! Ahnlich genug,
um den Künstler selbst nach zwanzig Jahren gleich
wiederzuerkennen. Aber auch bewußt stilisiert,
einen predigerhaften Zug betonend: ein Apostel-
kopf, der ohne weiteres für ein Abendmahl, eine
Kreuzigung zu benutzen wäre.
Daß dieser Wille zur Selbstidealisierung nicht
die Grille einer Stunde war, beweist das plastische
Lebenswerk an vielen Punkten. Auch in den
Plastiken kehrt Barlachs ausdrucksvoller Kopf
immerfort wieder. Der Künstler geht in eigener
Gestalt durch sein Lebenswerk, duldend oder un-
gestüm, leidend oder kämpfend, in Erscheinungen,
die hier etwas vom Don Quixote haben und dort
etwas Evangelistisches. Dieses Selbstbildniswesen,
diese Selbstbespiegelung verweist nachdrücklich
auf einen bestimmten Typus dem Pathos der Ein-
samkeit zuneigender neuerer Künstler, es verweist
auf van Gogh und Millet, auf Segantini, Casper
David Friedrich und ähnliche Gestalten.
Das alles ist eindrucksvoll und merkwürdig.
Doch genügt es nicht. Alle Bildnisse, die Barlach
uns von sich selbst gibt, betonen zu sehr das Ge-
dankliche, sogar das Literarische. Wir lernen
daraus den Menschen kennen, den Dichter phan-
tasievoll gestaltloser Dramen, den Beherrscher eines
198
MIT ERLAUBNIS VON PAUL CASSIRER, BERLIN
ZUR AUSSTELLUNG DER H O LZ B I LD WE R K E
DES SECHZIGJÄHRIGEN ERNST BARLACH
IN DER AKADEMIE
VON
KARL SCHEFFLER
Tlarlach hat in den letzten Jahren zwei Selbst-
bildnisse gezeichnet. Man darf annehmen, daß
er so, wie er sich selbst gesehen und dargestellt
hat, der Mit- und Nachwelt erscheinen möchte;
diese Zeichnungen sind darum in doppelter Weise
aufschlußreich.
Ein edles, sorgenvolles Antlitz! Ahnlich genug,
um den Künstler selbst nach zwanzig Jahren gleich
wiederzuerkennen. Aber auch bewußt stilisiert,
einen predigerhaften Zug betonend: ein Apostel-
kopf, der ohne weiteres für ein Abendmahl, eine
Kreuzigung zu benutzen wäre.
Daß dieser Wille zur Selbstidealisierung nicht
die Grille einer Stunde war, beweist das plastische
Lebenswerk an vielen Punkten. Auch in den
Plastiken kehrt Barlachs ausdrucksvoller Kopf
immerfort wieder. Der Künstler geht in eigener
Gestalt durch sein Lebenswerk, duldend oder un-
gestüm, leidend oder kämpfend, in Erscheinungen,
die hier etwas vom Don Quixote haben und dort
etwas Evangelistisches. Dieses Selbstbildniswesen,
diese Selbstbespiegelung verweist nachdrücklich
auf einen bestimmten Typus dem Pathos der Ein-
samkeit zuneigender neuerer Künstler, es verweist
auf van Gogh und Millet, auf Segantini, Casper
David Friedrich und ähnliche Gestalten.
Das alles ist eindrucksvoll und merkwürdig.
Doch genügt es nicht. Alle Bildnisse, die Barlach
uns von sich selbst gibt, betonen zu sehr das Ge-
dankliche, sogar das Literarische. Wir lernen
daraus den Menschen kennen, den Dichter phan-
tasievoll gestaltloser Dramen, den Beherrscher eines
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