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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 28.1930

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Heft 12
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Meier-Graefe, Julius: Die Büste der Königin Nofretete
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https://doi.org/10.11588/diglit.7609#0504

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etwas Politisches dahinter. Die Sache sei daneben
gegangen, weil Ägypten mit der Politik kam. Sie
bilden sich ein, Borchardt habe sie damals be-
schummelt. Sie verstehen, da war es aus.

Nun ja, die Politik, in der Tat und freilich,
aber wieso eigentlich? Mir bat der Paris vor Jahren
den Fall erzählt. Es drehte sich um eine Kiste.
Nach seiner Darstellung ging alles in Ordnung,
und die Herren in Kairo waren nur zu schlampig,
in die Kiste zu gucken. Wenn ihnen daran lag,
hätten sie die Königin haben können. — Nehmen
wir einmal an, Paris habe sich die Schlamperei
dienen lassen, meinetwegen zu Unrecht. Nun kommt
die Politik. Wieso verlangt eigentlich die Politik
in solchem Fall die Zurückweisung einer fabulösen
Offerte, mit deren Annahme man den Ägyptern
noch einen Gefallen getan hätte? Sie waren so-
gar bereit, uns wieder graben zu lassen, was
bisher versagt ist. Man nennt das, glaube ich,
Prestige-Politik.

Gegen diesen und jeden Tausch läßt sich ein
Prinzip einwenden. Was einmal da ist, soll blei-
ben. Fängt man mit Tauschen an, kann einer
auch mal eine Perle weggeben. Schon dagewesen.
Der Leser erkennt ohne weiteres in dem Prinzip
den Niederschlag üblicher und solider Grundsätze
des Erwerbslebens. Es eignet sich zumal für
perlenreiche Museen, während es perlenarmen ge-
ringere Vorteile verheißt. Mit der latenten Vor-
aussetzung, Schafsköpfe als Leiter zu haben, läßt
sich weder eine Bank noch ein Museum steigern.
Berliner Museen waren in der Wahl der Vor-
fahren nicht vorsichtig genug, um sich an einen
unverrückbaren Zustand binden zu können, und
sind auf Umtausch angewiesen. Das Ägyptische
fängt, streng genommen, erst an. Es mußte sich
wie jeder beginnende Sammler zunächst mit be-
scheidenen Dingen begnügen, hat dabei Glück ge-
nug gehabt und kann sich darauf berufen, daß
ägyptische Sammlungen ersten Ranges in Europa
überhaupt kaum vorhanden sind. Selbst Louvre
und British-Museum besitzen nur sehr wenige
repräsentative Stücke des Alten Reichs, keines von
der Bedeutung des Ranofer, den wir refüsiert
haben.

Der Name Altes Reich läßt an Geschichtliches
denken. Unwillkürlich verbindet man mit ihm wie
mit frühen Epochen uns vertrauterer Kulturen die
Vorstellung des Primitiven. Christliche Darstellung

bedurfte vieler Jahrhunderte, um Kunst zu wer-
den. Erst nach Uberwindung des Primitiven kam
die Blüte, und sie behauptete sich, auch nachdem
die ursprünglichen Anlässe zu bildhafter Betäti-
gung verblaßt oder erloschen waren und die Vor-
herrschaft von der Plastik auf die Malerei über-
ging. Nicht so in Ägypten. In der dritten bis
fünften Dynastie, zwischen Z700 und 2500 v. Chr.,
also nahe am Anfang — wenigstens scheint es so,
weil man vorher nichts weiß — steht plötzlich
die Kultur in Blüte. Der Gipfel ist Plastik; Men-
schengestaltung, Gottgestaltung. Die Plastik be-
herrscht Bau und Natur. Keine Malerei umfaßt
solchen Umfang an Macht. Und diese Kunst hat
nichts von Ethnographie, gar nichts Primitives.
Der Kult, dem sie dient, läßt sie unbeschattet. Sie
steht dem Gefühl und dem Verstand heute leben-
der Menschen durchaus nahe. Wir glauben, mit
diesen Gestalten verkehren zu können. Die Tra-
dition hält sich zwei Jahrtausende ohne wesent-
liche Ablösung des Stofflichen und erreicht nie
wieder die Höhe des Alten Reichs. Zu dieser ver-
hält sich die achtzehnte Dynastie, die Zeit des
Amenophis, etwa wie ein Bau Napoleons zu den
Tempeln von Pästum oder wie italienische Ma-
nieristen des siebzehnten Jahrhunderts zu Raffael
und Michelangelo. Niedergehende Zeiten können
der Anlehnung an alte Vorbilder ausgezeichnete
Dinge verdanken. Das ist in Ägypten immer wie-
der in verschiedenen Graden geschehen, im Mitt-
leren Reich, im Neuen Reich, sogar noch ganz
zuletzt. Man denke an den sogenannten „Grünen
Kopf" im Berliner Museum, der wahrscheinlich
tausend Jahre später als die Nofretete entstand,
Zeugnis sorgfältigen Naturstudiums und glänzen-
des Handwerk. Die Nofretete besitzt nicht diese
traditionellen Werte und gehört in eine andere
bescheidenere Kategorie. Künstlerisch stehen an-
dere Amarna-Köpfe des Museums ungleich höher,
aber sie sind nicht bemalt. Die Büste der Königin
verdankt ihre Beliebtheit bei einem naiven Publi-
kum ihrem Anstrich.

Die meisten ägyptischen Statuen waren bemalt.
Die Farbe begleitete den Stein und fügte einen
für die künstlerische Wirkung mehr oder weniger
entbehrlichen Schmuck hinzu, den wir zumal dann
als solchen schätzen, wenn er nur noch aus Resten
besteht und nicht mehr naturalistisch zu stören
vermag. Den tragenden Rhythmus schafft der

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