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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft I (Januar 1907)
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Jacobi, Arnold: Zeichnen als Bildungsmittel: 137 Antworten sächsischer Hochschul-Professoren
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0017

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scheint, abgesehen von praktischen Vorteilen, unter unsern heutigen Verhältnissen
als ein notwendiges Bildungsmittel. Darum lautete die erste Frage:
Erscheint Ihnen das Zeichnen unter unsern heutigen Ver-
hält n iss s en als ein notwendiges Bildungsmittel?
Wie weit die Notwendigkeit des weiteren Ausbaues der Beobachtungsfähigkeit
durch Zeichnen und der Wert der Zeichenfertigkeit für die höheren Schüler ge-
würdigt werde, sollte die Beantwortung der zweiten Frage erkennen lassen:
Halten Sie es für ratsam und nötig, in allen Klassen der
höheren Schulen dem Z eichenunterricht Raum zu geben?“
Die Mitteilungen Nr, 6, 1906, dieses Vereins, die über diese Angelegenheit
berichten, können mit Genugtuung feststellen, dass das Ergebnis des Rundschreibens
ein hoch erfreuliches genannt werden dürfe. Es gingen 144 Antworten ein. Die
erste Frage wurde allgemein bejaht. Nur 3 Antworten stimmen bedingt zu, und
eine Antwort verneint die Notwendigkeit. Den Antworten auf die zweite Frage
fehlt allerdings diese Einmütigkeit. Verneint wurde aber auch sie nur in grösserem
Umfang von der philosophischen Fakultät (von 12 bei 29 Antworten), sonst aber nur
insgesamt von 6 Antworten. Die medizinische Fakultät beantwortete beide Fragen
bejahend.
Wir bringen hiermit eine der eingegangenen Antworten zum Abdruck, die in
entschiedener und scharfsinniger Weise den allgemeinen Bildungswert des Zeichnens
vertritt:
1. Sowohl beim Hochschulunterrichte wie im Verkehr mit dem gebildeten
Publikum habe ich wahrnehmen müssen, dass die im sogenannten Zeitalter der
Naturwissenschaften leider noch vorherrschende Teilnahmlosigkeit gegen die Natur-
gegenstände ihren Grund in mangelnder Auffassungsgabe für das Körperliche, seine
Form, Abmessung und Bewegung hat. Die Unfähigkeit, den Gesichtssinn zum
schnellen und richtigen Auffassen zu gebrauchen und dadurch zu einem Urteil über
das Wesen der Gegenstände zu gelangen, geht — wie schon Ihr Rundschreiben
hervorhebt — auf mangelndes Beobachtungsvermögen zurück, das uns Kultur- und
Stadtmenschen nicht mehr vom Lebenskämpfe
aufgenötigt wird. Als Ersatz für triebmässige Seh¬
fähigkeit muss daher die Erziehung zum Schauen,
Vergleichen, Beurteilen treten, damit weiteres
Schwinden unseres Auffassungsvermögens gehemmt
werde. Besser als alle mündliche Unterweisung
wirkt in jener Hinsicht das Zeichnen, denn nichts
führt so zwingend zum Erfassen des Wesentlichen
und Unterscheidenden eines Gegenstandes hin, als
die Aufgabe, ihn durch Stift und Pinsel möglichst
getreu wiederzugeben.
Wenn wir ferner die Betrachtung von Kunst¬
werken als Förderung der Geistesbildung /• und
sittlichen Vervollkommnung schätzen, liegt es nahe,
das Vermögen zum Kunstgenuss dadurch zu wecken
und zu steigern, dass wir unsere Kinder zum Nach¬
bilden und bescheidenen Selbstschaffen von Kunst¬
erzeugnissen anleiten. Demnach muss ich das
 
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