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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft VII (Juli 1907)
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Hahn, Gustav: Phantasiezeichnen
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1. Jede Betätigung der Phantasie ist abhängig...
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Durch die These des Herrn Bender veranlasst...
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76

in demselben Masse als die Buchweisheit zunimmt, nimmt das Beob-
achtungsvermögen ab. Ein vermehrter Kunst- und Zeichenunterricht wäre
hiegegen das allerbeste Korrektiv. Dieser wird jedoch andauernd gestutzt. Woher
rührt das? Diejenigen, die heute hierüber zu befinden haben, haben jenen Zeichen-
unterricht genossen, an den sie nicht eben mit Hochachtung zurückzudenken ver-
mögen. Das soll natürlich kein Vorwurf gegen unsere Alten sein. Denn dass der
allgemein bildende Zeichenunterricht auf einem Irrweg sich befand, konnte eben
erst an seinen Erlichten erkannt werden; keiner von uns also hätte es besser
machen können. Dabei scheint es an einem zielbewussten Vertreter, der aus innerster
Ueberzeugung hätte reden können und müssen, bislang in der Oberstudienbehörde
gefehlt zu haben. Möge die Wahl des Zeicheninspektors uns diese Vertretung
bringen! Und möge es diesem dann gelingen, dem Zeichnen wieder diejenige
Achtung zu verschaffen, die ihm gebührt! Dann wird auch das Phantasiezeichnen
wie das Zeichnen überhaupt noch die erhofften Früchte tragen. G. Hahn.
*
1. Jede Betätigung der Phantasie ist abhängig von einem gesteigerten seelischen
Empfinden.
2. Das Empfindungsleben der Kinder tritt in den Entwicklungsjahren zurück hinter
der Betätigungslust körperlicher und geistiger Kräfte. „Nie sind Kinder so roh, wie in den
letzten Jahren der Knabenzeit. Die beinahe ritterlichen Züge, die man häufig an 8 —10jährigen
Knaben bei ihrem Verkehr mit schwächlichen und kränklichen Kameraden beobachten kann,
sind verschwunden; es zeigt sich im Gegenteil die Lust, solche arme Geschöpfe zu quälen
und zu verhöhnen . . . .“ (Perez Bernard). Dieses Zurücktreten des Gefühls ist schuld daran,
dass der 12jährige Junge die Freude am „Fabulieren“ verliert.
3. Wenn man dem 13jährigen Schüler die Aufgabe gibt, ein Sprichwort zu illustrieren,
so kann dabei schwerlich auf die Mitarbeit eines gesteigerten Empfindens gerechnet
werden. Die Arbeit zeigt daher nichts Empfundenes, sie ist „gehaltlos, oft geradezu kindisch“.
4. Werden ähnliche Aufgaben in den unteren Klassen gestellt, so fallen die Arbeiten
ein und desselben Schülers ausserordentlich verschieden aus, jedenfalls nie so gut als die
Schöpfungen, die derselbe Knabe ganz aus sich heraus zu Hause gefertigt hat; diese letzteren
Arbeiten sind in der Regel alle gleichmässig gut. Dies beweisst, dass die vom Lehrer ge-
stellte Aufgabe hie und da das Empfinden des Schülers gesteigert hat, dann gelingt die
Zeichnung, ist dies nicht der Fall gewesen, dann misslingt sie.
5. Die Kraft der Phantasie wird also nicht gefördert durch möglichst häufige Betäti-
gung derselben, sondern nur durch Steigerung und Vertiefung des Gefühlslebens.
6. Es bleibt als Hauptgewinn des Phantasiezeichnens die Uebung im zeichnerischen
Ausdruck. Eine Förderung der Fähigkeit, innerlich Geschautes zeichnerisch zum Ausdruck
zu bringen, wird nur dann eintreten, wenn der Schüler eine beabsichtigte Wirkung mit
aller Macht seines Empfindens erstrebt. Alle Phantasiezeichnungen, die ohne Erregung des
Gefühls entstanden sind, bringen keine Uebung im Ausdruck, sie sind Spielerei. Dies trifft
zu bei der Mehrzahl derjenigen Zeichnungen, welche Lösungen gestellter Aufgaben sind.
7. Wertvoll ist demnach nur die freiwillige Betätigung im Phantasiezeichnen. In
dieser Hinsicht kann der Lehrer allerdings vieles tun, indem er die Schüler auffordert, solche
Zeichnungen in den Unterricht mitzubringen.
Seit beinahe 3 Jahren vergeht keine Zeichenstunde in den unteren Klassen, in der
mir nicht mehrere zu Hause angefertigte Zeichnungen übergeben werden. Diese sind teils
die Lösung gestellter Aufgaben, teils vollständig freiwillige Aufgaben. Die hierbei gemachten
Erfahrungen sind in den obigen 7 Sätzen festgelegt. Bei den Aufgaben, die das Gedächt-
niszeichnen fördern sollen, beteiligen sich doppelt so viel Schüler als beim Phantasiezeichnen.
E. Bender.
Durch die Thesen des Herrn Bender veranlasst, möchte ich mir gestatten, meine per-
sönlichen Anschauungen und Erfahrungen auf diesem Gebiet nachträglich gleichfalls in
einigen Sätzen zusammenzufassen, wobei ich mich jedoch nicht auf das Phantasiezeichnen
 
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