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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft IV (April 1907)
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Pastor, Willy: Bildung durchs Auge: zur Reform-Zeichen-Ausstellung im Kunstgewerbemuseum
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Kolb, Gustav: Zu unseren Abbildungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0059

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43

Dichtungen u. s. w. aufgefordert werden, ungefähr auf dem Blatt zu skizzieren, wie sich die
Sache in ihren kleinen Köpfen spiegelt; das ist eine Gymnastik des Auges, ein Unterricht
im Sehen, der für die kommende Generation von unermesslicher Bedeutung werden kann.
Wir früher hatten im wesentlichen (es geht nicht anders, als hier schon oft Gesagtes
noch einmal zu wiederholen) eine Bildung durchs Ohr; die Bildung durchs Auge wurde
vielfach vernachlässigt. Buchmenschen wurden grossgezogen. Und wie schädlich die so
einseitig gedankliche Bildung selbst für die Betätigung des Verstandes wurde, beweisen
die zum Stöhnen elenden Aufsatzschemata, nach denen in den höheren Schulen gearbeitet
wurde, beweist der unglaublich niedrige Grad literarischer Kultur, mit dem sich die Ge-
lehrten noch heute zufrieden geben; beweist das Juristen-,,Deutsch“; beweisen neun von
zehn Briefen, die „akademisch Gebildete“ ruhigen Herzens der Post anvertrauen u. s. w. u. s. w.
Auch hier wird die Reform des Zeichenunterrichtes sich allmählich gut bemerkbar machen.
Gut schreiben kann niemand, der nicht zunächst gut sehen lernte. Man kann, wenn man
die Bildung durchs Auge missachtet, ein Leben lang sich um einen guten Stil bemühen und
doch über eine ge¬
wisse Dumpfheit des
schriftlichen Aus¬
drucks nicht hinaus¬
gelangen. Und von
Dürer bis Böcklin gibt
es reichlich Beispiele,
welche Treffsicher-
heitdie optische Schu¬
lung auch dem Unge¬
übten im sprachlichen
Ausdruck schafft.
Selbstverständ¬
lich ist es nicht Auf¬
gabe des neuen Zei¬
chenunterrichtes, ein
Geschlecht von Halb¬
künstlern und an¬
massenden Dilettan¬
ten zu schaffen. Das
Sehen soll gelernt
werden. Die Erkennt¬
nis wird allgemein,
wie viel besser die
Bildung durchs Auge
als die nur durchs
Ohr für das Leben

Abbildung 5,


vorbereitet. Im grossen Wettkampf der Nationen wären Engländer und Amerikaner nicht
so gut gerüstet, wenn sie die optische Schulung für irgendwelche philologischen Ideale ver-
nachlässigten. Und das macht die in aller Stille vollzogene Reform des Zeichenunterrichts
in Deutschland so wichtig, dass sie endlich darauf ausgeht, systematisch eine solche Schulung
zu pflegen, die wachere Menschen erzieht. Willy Pastor, „Tägliche Rundschau“.

Zu unseren Abbildungen.
Unsere heutige Kuns tb eilage zeigt clie erheblich verkleinerte Reproduktion
einer Ehrenadresse, die von Professor Hub eri ch-Stuttgart im Auftrag der Stadt
Mergentheim ausgearbeitet wurde. Das Original ist mit Aquarell- und Gouache-
farben auf Pergament gemalt. Leider können wir den farbigen Reiz des Originals
nicht wiedergeben. Einer näheren Erklärung bedarf die Adresse nicht. Sie ist ohne
 
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