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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft XII (Dezember 1907)
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Bender, Ernst: Entgegnung auf den Bericht über das Zeichnen an den badischen Schulen
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Kolb, Gustav: Anmerkung der Schriftleitung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0146

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Klassen zu tun. haben, clie häufig über 40 Schüler zählen). Die grosse Bedeutung
des Interesses und der Apperzeption für das Gelingen einer Zeichnung erkennen
wir an; man wird aber zugeben, dass die Erregung und Wachhaltung dieser Kräfte
in erster Linie von der pädagogischen Befähigung des Lehrers abhängt. Es kann
eine Klasse den ganzen Sommer über im Dreien zeichnen — wenn der Lehrer es
nicht verstellt, anzuregen , die freie Natur allein wird es nicht tun. Eine Richt-
schnur für den Zeichenunterricht in Baden ist nicht nur das Interesse des Schülers,
sondern auch der Gedanke, dass jede künstlerische Arbeit eine geistige Arbeit ist
und dass das Verständnis dafür planmässig geweckt werden muss. Der Unterricht
soll daher in ständiger Wahrung des künstlerischen Gesichtspunktes nach einem
wohlüberlegten Lehrgänge vom Leichteren zum Schwierigeren erteilt werden. In
den unteren Klassen wird der führende Wille des Lehrers sich deutlich ausprägen,
während die Persönlichkeit des Schülers sich mehr in den oberen Klassen aber auf
solider Basis entwickeln wird. Diese solide künstlerische Basis wurde von den her-
vorragendsten Karlsruher Künstlern ausdrücklich anerkannt und gelobt. Man sage
nicht, dass ein derartiger Zeichenunterricht einseitig darauf gerichtet sei, den Schüler
Sehen und das Beobachtete darstellen zu lehren, dass die schöpferische Tätigkeit
des Schülers dabei zu kurz komme. Eine schöpferische Tat ist jede künstlerische
Wiedergabe eines Naturvorbildes, denn „bei der Wiedergabe der Natur komponieren
wir viel mehr als wir kopieren“. Was nun die Phantasie betrifft, so hat sie ihren
Ursprung in dem Innenleben der Seele. Menschen , die innerlich nichts erleben
und ausleben können, werden niemals in schöpferischem Sinn ihren Beruf ausfüllen.
Es ist eine interessante Tatsache , dass alle genialen Menschen der Kunst nahe
stehen; nicht immer, aber stets bei den Grössten und Allseitigsten zeigt sich auch
die Fähigkeit, in der Natur zu leben, aus ihr neue Kraft und Anregung für ihr
Innenleben, die Wurzel ihrer Kraft, zu schöpfen. Der Zeichenunterricht kann sehr
viel tun zur Vertiefung des Gemütes durch Oeffnen der Augen für die Natur. Der
Jungbrunnen der Natur ist kein leeres Märchen. Wenn in Baden Lehrer auf die
Pflege des Phantasiezeichnens verzichten , so tun sie es deshalb, weil sie erkannt
haben , dass es sich hierbei nur um den Ausfluss eines kindlichen Empfindens
handelt, das sich nicht über ein gewisses Alter hinaus wachhalten lässt, und dass
die grosse schöpferische Kraft der Phantasie, die das Leben des Einzelnen inner-
lich so reich macht auch ohne glänzende äussere Lebenslaufbahn , dass diese auf
ganz anderer Grundlage beruht. Und wenn ein Lehrer auf Grund dieser Erkenntnis
in anderer Weise die Grundlage schaffen will für diese belebende und bereichernde
Kraft, wenn er das Innenleben der Seele zu wecken und zu fördern sucht dadurch,
dass er die Jugend der Natur nahe bringt, dass sie dieselbe verstehen und lieben
lerne , so ist er zu dieser Auffassung und Ausübung seines Berufes auch durch
vieles Nachdenken und durch selbständiges Gehen auf eigenen Wegen gekommen.
Anmerkung der Schriftleitung: Bendel.
1. In meinem Bericht wurde keineswegs bestritten, dass in den badischen Schulen
Einzelunterricht stattfindet. Dass dies wenigstens in den Oberklassen überall der Fall
ist, ging aus den ausgestellten Arbeiten dieser Klassen unzweideutig hervor. Bezüglich der
Unter- und Mittelklassen konnte das aus den aufgelegten Lehrgängen allerdings nicht ohne
Weiteres ersehen werden. Auf diesen Punkt bezog sich aber mein Bericht nicht. Im Gegen-
teil, ich gebe nicht nur zu, dass diese Lehrgänge mit Einzelunterricht durchgeführt werden
können, sondern ich behaupte sogar, dass dies in den meisten Fällen der Fall sein muss.
Warum? Weil diese „Lehrgänge“ häufig mit Gegenständen zusammengestellt waren, die in
den seltensten Fällen so oft zu beschaffen sind, dass sie von allen Schülern zu gleicher Zeit
gezeichnet werden können.
Ich wandte mich nur dagegen, dass das System der systematischen Lehrgänge den Unterricht
der Unter- und Mittelklassen beherrscht und dass man freie Arbeiten der Schüler, die neben
dem systematischen Unterrichtsgang entstehen, vermisse. (Man beachte aber, dass die Begriffe
systematischer Lehrgang und systematischer Unterrichtsgang für mich nicht dasselbe bedeuten.)
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, möchte ich übrigens betonen, dass ich
den Mass en unter richt durchaus nicht verwerfe. Im Gegenteil, er kann, in richtiger
Weise angewendet, vorzügliche Dienste leisten, unter Umständen sogar unentbehrlich sein,
besonders bei einer grossen Schülerzahl.
2. In meinem Bericht wurde auch nicht bestritten, dass in Baden die Natur in den
Zeichenunterricht einbezogen wird, im Gegenteil, ich habe das an verschiedenen Stellen
 
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