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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft I (Januar 1907)
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Kolb, Gustav: Einladung zum Abonnement
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Bender, Ernst: Einiges über das "Blockieren"
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0012

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Mit diesem Programm tritt die „Kunst und Jugend“ vor die Lehrerschaft
und hofft auf eine wirksame Unterstützung durch Haltung der Zeitschrift. Die Ein-
führung des obligatorischen Zeichenunterrichts an der Volksschule, die
in Baden im Frühjahr schon erfolgen wird und auch in Württemberg geplant
ist, wird weitere Lehrerkreise vor die Notwendigkeit stellen, ein derartiges Fachorgan
zu halten. Möge es in Zukunft kein Schulhaus mehr geben, in dem die
Kunst der Jugend vorenthalten werden muss. Das ist unser Wunsch,
den wir hinausrufen mit der ersten Nummer unserer Zeitschrift, die als Höchstes
anstreben will, dieser bisher immer noch vernachlässigten Seite unserer Jugend-
bildung zu ihrem Recht zu verhelfen.
Der Schriftleiter: Zeichenlehrer Kolb.

Einiges über das „Blockieren“.
„Ein Mann schmückte jeden Finger seiner Hand mit einem kostbaren Ringe.
Einer derselben enthielt einen prächtigen Diamanten, doch niemand beachtete den
wertvollen Stein. „Die armen Leute haben kein Verständnis dafür,“ so tröstete
sich der reiche Mann. Ein Kenner aber sagte: „Nein, Dir fehlt das Verständnis,
entferne die andern Ringe und jeder wird Deinen Diamanten bewundern.“ Diese
Geschichte kam mir in Erinnerung beim Durchlesen folgender Sätze aus einer sehr
bemerkenswerten Veröffentlichung über den Zeichenunterricht: „Das Prinzip des
geradlinigen Zuschnittes muss bis ins kleinste Detail durchgeführt werden, selbst bei
der kleinsten Linie ist erstens die absolute Richtung, d. h. der Grad ihrer Ab-
weichung von der Senk- oder Wagerechten, und zweitens ihre relative Grösse, die
sich nach dem Verhältnis der übrigen Strecken richtet, mit Bestimmtheit festzustellen.
So zeichnet auch der geübte Künstler ruckweise in geraden Absätzen.“
Der geradlinige Zuschnitt bis ins kleinste Detail, das schien auch mir einst
das sicherste Kennzeichen des künstlerischen Zeichnens. Ein bedeutender Künstler,
der uns von Zeit zu Zeit beim Aktzeichnen korrigierte, öffnete mir erst die Augen
zum Schauen auf das Grosse, das Entscheidende in Form und Bewegung. In der
ihm eigenen ungeschminkten Weise konnte er oft sagen: „Was wollen Sie eigentlich
mit dem Gestrichel sagen, Sie sind doch wahrhaftig nicht hier, um ein Geduldspiel
mit geraden Stäbchen zusammenzustellen! Wenn Sie kein Verständnis dafür haben,
worin das Charakteristische, das Wesentliche, das Lebende in diesem Modell steckt,
wenn Sie nichts anderes sehen können und wollen als kleine Stückchen der Um-
risslinie, dann gehören Sie nicht herein in den Aktsaal.“ Mit wenigen derben
Linien bedeckte er dann die zahlreichen, mit mehr oder weniger merklichen Ab-
neigungswinkeln sich aneinanderreihenden Strecken unserer Zeichnung — und vor
unsern Augen entstand aus bisher toten Formen kraftvolles Leben. Lenbach sagte
einst zu seinen Schülern: „An jeder Form sind es nur wenige wesentliche Linien,
welche dieselbe charakterisieren, sie von andern ähnlichen unterscheiden. Diese
wenigen Linien müssen die Grundsteine der sich entwickelnden Zeichnung sein,
aus ihnen heraus muss sie geboren werden.“ Wie aus Fig. 3 zu ersehen ist, sind
nun diese charakteristischen Linien, welche der Form ihr eigenes Gepräge geben,
in der Hauptsache gerade Linien. Wenn nun „der geübte Künstler ruckweise in
geraden Absätzen zeichnet“, so ist seine Art zu zeichnen doch etwas wesentlich
verschiedenes von dem, was man unter dem „Prinzip des geradlinigen Zuschnittes
 
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