Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

DOI Heft:
Heft IV (April 1907)
DOI Artikel:
Reuff, Wilhelm: Winterfreuden im Zeichenunterricht
DOI Artikel:
Pastor, Willy: Bildung durchs Auge: zur Reform-Zeichen-Ausstellung im Kunstgewerbemuseum
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0058

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
42

Schüler waren 12—13jährig und jeder nahm den Vordermann als Vorbild. Das war ein Kneten
und Formen! Unter fröhlicher Kritik entstanden bald 2 Dutzend Büsten, die wert waren
mit der Platte festgehalten zu werden. Natürlich keine Aehnlichkeit mit dem Vorbild, aber
durchweg Charakterköpfe. Hier ein römischer Feldherr, daneben ein altes lachendes Weibchen,
weiterhin ein Idiotengesicht u. s. w. Köstlich war es, diese Produkte zu beschauen. Urechte
und individuelle Kunst, welche nur Beihilfe durch Hinweise hatte. Vielleicht mag da oder dort
ein Kollege sagen: „Verlorene Zeit!“ Doch möge ersieh beruhigen, sie war vom Rektorat
genehmigt. Wir aber zogen bei untergehender Sonne im Bewusstsein unsrer Künstlerschaft
heim, und der Erfolg war, dass die grösseren Knaben jetzt an Stelle der nicht mehr zu
unseren Lehren passenden ABC-Schneemänner richtige zu machen versuchen und auch zu
machen verstehen.
Mögen diese Zeilen im nächsten Winter Veranlassung zu ähnlichen wirklich dank-
baren Uebungen geben. W. Reuff, Sindelfingen.

Die Ausstellung von Schülerzeichnungen in Berlin.
Diese Ausstellung, über die Kollege Bender in Heft III eingehend berichtet hat,
erregte grosses Aufsehen in weiteren Kreisen. Sehr erfreulich ist auch, dass sich die Presse
eingehend mit dieser Angelegenheit beschäftigte. Von den vielen Pressäusserungen möge
eine, die aus der Feder eines bekannten Kunstkritikers stammt, hier Platz finden:
Bildung durchs Auge.
Zur Reform-Zeichen-Ausstellung im Kunstgewerbemuseum.
Langsam bekommen wir nun doch die Schulreform, die uns not tut. Im Lichthofe des
Kunstgewerbemuseums ist eine Ausstellung von Zeichnungen und kleinen Bildern zu sehen,
die vom Landesverein preussischer Zeichenlehrer veranstaltet und von etwa 60 höheren
Knaben- und Mädchenschulen beschickt wurde. Die Ausstellung zeigt uns, wie die Lehrer
der besten Schulen ihren Zöglingen — man kann nicht sagen das Zeichnen (damit hat man
uns gequält), sondern: das Sehen lehren.
Den Gang des Unterrichts skizziert eine kleine Geleitschrift für die Ausstellung so:
„Wie die primitive Bildkunst der Naturvölker mit gedächtnismässig gebildeten Darstellungen
— meist figürlichen Inhalts — beginnt, so nimmt auch der erste Kunstunterricht seinen Aus-
gang vom beschreibenden uncl erzählenden Darstellen aus der Allgemeinvorstellung; wir
fangen mit dem kindlichen „Malen“ an. Die Zeichnungen sind eine Art Bilderschrift, in
welcher die einzelnen Vokabeln nur das Typische der Form enthalten. — Allmählich setzt
die unmittelbare Naturnachahmung ein. Dabei werden zunächst Gegenstände aus dem
Gesichts- und Interessenkreise des Kindes gewählt, die ohne eigentliche Perspektive dar-
stellbar sind: allerlei Geräte und Spielzeuge, auch Blumen, bunte Schmetterlinge und Käfer,
farbige Vogelfedern u. a. — Wie man durch Nachahmung der Perspektive und der Beleuch-
tung auf der Fläche den Eindruck des Körperlichen und der Tiefenausdehnung hervorbringt,
lernt der Schüler etwa von seinem 12. Jahre systematisch. Von nun an ist das Stoffgebiet
unbegrenzt. Ausgeschlossen ist prinzipiell kein Gegenstand mit Ausnahme aller Surrogate der
Natur. Auch in der Technik wird die weitestgehende Freiheit gewährt. In den bescheidenen
Naturstudien soll der Schüler das Künstlerische der Erscheinung erfassen und darstellen
lernen. Eine besondere Stellung nehmen diejenigen Naturstudien ein, welche eine Bildwirkung
erstreben; sie sind vornehmlich Uebungen des Geschmackes. — Durch skizzierendes Schnell-
zeichnen nach Natur und aus dem Kopfe soll der Schüler sich jene Leichtigkeit im graphischen
Ausdruck an eignen, die das Zeichnen zur mühelosen Formenschrift und erst dadurch zu
einem im Leben brauchbaren Instrument macht. ■— Das konstruktive Zeichnen bildet eine
notwendige Ergänzung des freien Zeichnens, wenn es als eine künstlerisch-technische, auf
die Erziehung des Raumvorstellungsvermögens und des Sinnes für Architektonik gerichtete
Uebung betrieben wird. Ein Erfolg auf diesem Gebiet ist wesentlich durch im Freihand-
zeichnen erworbene Fähigkeiten bedingt.“
Man überzeuge sich, wie bereits die jüngsten Schüler angehalten werden, sich klar zu
werden über das, was sie eigentlich sehen und sahen; wie sie dann nach der Lektüre von
 
Annotationen