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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

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Heft III (März 1907)
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Bender, Ernst: Bericht über die "Reformzeichenunterricht-Ausstellung" im Lichthofe des Kunstgewerbemuseums in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0040

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26

nächsten Zeichenstunde die Haltung eines Mannes, der eine schwere Last auf dem
Rücken trägt. Oefters nimmt auch der Lehrer oder ein Schüler vor der ganzen
Klasse die betreffende Stellung ein, gezeichnet wird sie aber aus der Erinnerung,
nicht nach dem Vorbild. Als Aufgabe kann auch gestellt werden: die Darstellung
eines bekannten Hauses, einer Zimmereinrichtung, einer Landschaft. Beim Phantasie-
zeichnen wird der Schüler aufgefordert, ein Märchen, ein Gedicht oder ein bekanntes
Sprichwort zu illustrieren. Am Schlüsse dieses Berichtes soll die Frage kurz
erörtert werden, ob solche Uebungen einen wirklichen Wert haben. Die Ausstellung
zeigte Gedächtnis- und Phantasiezeichnungen von allen Klassen, einfache Gegen-
stände in schlichter Darstellung und umfangreiche Kompositionen, z. B. eine Eis-
bahn, belebt von einer sich darauf tummelnden Jungenschar, eine auffahrende
Batterie, eine Schlittenpartie und dergleichen mehr. Was nun die im systematischen
Zeichenunterricht gefertigten Arbeiten betrifft, so kann die Aufgabe eines kurzen
Berichtes nicht darin bestehen, alles aufzuzählen, was in den einzelnen Klassen
gezeichnet wurde, nur auf die lebhaftesten Eindrücke, welche die Ausstellung beim
Besucher hinterliess, soll hier eingegangen werden.
Was zeichnet der Schüler am liebsten?
Die Ausstellung zeigte, dass das Stoffgebiet, welches sich für den Zeichen-
unterricht eignet, ein ausserordentlich grosses ist: Gegenstände des Haushaltes in
Stube und Küche, Spielzeug der Kinder, Werkzeug des Handwerkers, Gartengeräte,
Kunstformen, die Pflanze, das Tier, der Mensch und die Landschaft. Gab nun die
Ausstellung einen Fingerzeig für das, was der Schüler am liebsten zeichnet? War
zu erkennen, dass er gewisse Aufgaben mit ganz besonderer Liebe gelöst hatte?
Ein Kunstmaler, der sämtliche Zeichnungen eingehend besichtigt hatte, sagte: „Das
Liebste von allem, was ich gesehen habe, sind mir doch die Arbeiten, die nach
Naturformen und nach der Landschaft gefertigt wurden; mit welcher Liebe sind
schon in den untersten Klassen die Vogelfedern, die Blätter in den herbst-
lichen Färbungen, die Schmetterlinge gezeichnet. Die Liebe zur Natur zeigt sich
in allen Klassen bis oben hinauf.“ An vielen Zeichnungen lag es auf der Hand,
mit welchem Eifer der Schüler die Darstellung einer Blume, einer Frucht, eines
Vogels, einer Landschaft übernommen hatte. Da war z. B. auf einem Blatte ein
Buch oder eine Zigarrenkiste mit grösster Nachlässigkeit gezeichnet, der viel schwie-
rigere Distelzweig daneben aber so fleissig beobachtet, dass die Vermutung nahe
lag, die Hand des Lehrers habe mitgeholfen, was sich bei näherer Besichtigung
jedoch als sehr unwahrscheinlich erwies. Die Vorliebe des Schülers für Natur-
formen zeigte sich auch bei Objekten, die durchaus keine anziehende, lebhafte Farbe
zeigen, wie z. B. bei Tannenzapfen, Nüssen, Mohnköpfen und anderen Kapselfrüchten.
Es soll die Aufgabe einer späteren Nummer dieser Zeitschrift sein, auf die Fülle von
Naturformen hinzuweisen, welche sich in den einzelnen Klassen verwenden lassen.
Dass die Natur eine Modellkammer ist, die für jede Stufe Vorbilder in reichster
Auswahl bietet, wird jeder sofort erkennen, der sich die Mühe gibt, zu suchen.
Ist es ratsam, dem Schüler sobald wie möglich die selbständig’e Farbbehand-
lung zu überlassen, also nicht nur das Anlegen mit Farbe, sondern
auch das Mischen derselben?
„Die Farbe interessiert den Schüler mehr als die Form, nie wird er die Form
mit Eifer und Fleiss zeichnen, wenn ihm die Darstellung der Farbe vorenthalten
 
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