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Schüler nicht schon in den unteren und mittleren Klassen zur Anspannung der
ganzen Kraft erzogen, dann wird auch in der Oberstufe das Endziel nicht erreicht
werden, nämlich diejenige Korrektheit, welche frei ist von Verzeichnungen, die nur
auf den fehlenden guten Willen und auf Gedankenlosigkeit zurückzuführen sind.
Die Ausstellung zeigte eine Anzahl von Arbeiten, bei denen die oberflächlich
und unverstanden gegebene Form die Ursache war, warum man sich über die ge-
radezu glänzend gegebene Farbe nicht recht freuen konnte.
Bei vielen der eben erwähnten Zeichnungen war nicht nur die Form mangel-
haft, sondern auch die Auffassung durchaus unkünstlerisch. Es machte den Ein-
druck, als ob das Interesse des Schülers auch hiefür die einzige Richtschnur sein
sollte. Zu welchen Verirrungen dies hie und da führte, möge ein Beispiel zeigen.
Ein sehr fleissig durchgeführtes Aquarell zeigte eine holländische Milchkanne. Die
Spiegelungen auf dem blank geputzten Messing hatten den Schüler offenbar am
meisten interessiert, sie zeigten ihm einen Mitschüler, die
Fenster des Zeichensaales mit Durchblicken auf Himmel, Abbildung u2.
Bäume und Häuser. Alles dies war mit grösster Pein-
lichkeit und beachtenswertem Können durch geführt-, aber
eines fehlte: die eigenartige, metallische Wirkung des
Messings mit seinen hellglänzenden gelben Lichtern,
welche scharf begrenzt aus dunklerer Umgebung hervor-
blitzen. Das Viele, das in die Lichtseite hineingezeichnet
war, machte dieselbe fast dunkler als die Schattenseite.
Aehnlich war es bei einer Reihe anderer Zeichnungen,
die Hauptwirkungen kamen nicht zur Geltung, weil die
jugendlichen Zeichner es nicht gelernt hatten, der Gesamt-
wirkung zulieb auf die Darstellung von Einzelheiten zu
verzichten. Das Interesse des Schülers hängt vielfach an
Zufälligkeiten, der Unterricht soll ibn zur künstlerischen
Auffassung führen. Der griechische Maler Apelles wurde
einst gefragt, wer der grössere Künstler sei, er oder Polygnot. Apelles antwortete:
„Polygnot kann viel mehr wie ich, nur eine Kleinigkeit habe ich ihm voraus; ich
weiss, wann es Zeit ist, den Pinsel wegzulegen, ich weiss, wieviel man darstellen
darf, und was man weglassen muss.“ Diese „Kleinigkeit“ aber machte ihn zum
grösseren Künstler. Die Ausstellung in Berlin zeigte durchweg eine vorzügliche
frische Technik, eine glänzende Behandlung der Farbe; an vielen Arbeiten aber
fehlte das Verständnis für künstlerische Auffassung. Es schien, als ob in manchen
Schulen hierauf gar kein Wert gelegt und die Aufgabe des Unterrichts lediglich in
der zeichnerischen Betätigung des Schülers gesucht werden würde. Derselbe soll
nach Herzenslust zeichnen und malen und das Auge im Beobachten, die Hand im
Darstellen üben. Das Mittel, das jedem, auch dem wenig Veranlagten, zu einem
gewissen Erfolge verhelfen kann, ist das Interesse. Als Zeichenobjekt ist daher
alles willkommen, was dem Schüler Freude macht; ohne Bedenken werden selbst
Vorbilder benützt, die in ästhetischer Hinsicht nur schädlich wirken können. So
wurde z. B. in der Quarta nach Stoff- und Tapetenmustern gezeichnet, die in Form
und Farbe nur einem sehr tiefstehenden Geschmacke zusagen konnten. Wenig
kritisch schien man auch zu sein bei der Verwendung von ausgestopften Vögeln.
Diese Modelle waren vielfach ohne jegliches Verständnis für eine dem Leben ent-
Schüler nicht schon in den unteren und mittleren Klassen zur Anspannung der
ganzen Kraft erzogen, dann wird auch in der Oberstufe das Endziel nicht erreicht
werden, nämlich diejenige Korrektheit, welche frei ist von Verzeichnungen, die nur
auf den fehlenden guten Willen und auf Gedankenlosigkeit zurückzuführen sind.
Die Ausstellung zeigte eine Anzahl von Arbeiten, bei denen die oberflächlich
und unverstanden gegebene Form die Ursache war, warum man sich über die ge-
radezu glänzend gegebene Farbe nicht recht freuen konnte.
Bei vielen der eben erwähnten Zeichnungen war nicht nur die Form mangel-
haft, sondern auch die Auffassung durchaus unkünstlerisch. Es machte den Ein-
druck, als ob das Interesse des Schülers auch hiefür die einzige Richtschnur sein
sollte. Zu welchen Verirrungen dies hie und da führte, möge ein Beispiel zeigen.
Ein sehr fleissig durchgeführtes Aquarell zeigte eine holländische Milchkanne. Die
Spiegelungen auf dem blank geputzten Messing hatten den Schüler offenbar am
meisten interessiert, sie zeigten ihm einen Mitschüler, die
Fenster des Zeichensaales mit Durchblicken auf Himmel, Abbildung u2.
Bäume und Häuser. Alles dies war mit grösster Pein-
lichkeit und beachtenswertem Können durch geführt-, aber
eines fehlte: die eigenartige, metallische Wirkung des
Messings mit seinen hellglänzenden gelben Lichtern,
welche scharf begrenzt aus dunklerer Umgebung hervor-
blitzen. Das Viele, das in die Lichtseite hineingezeichnet
war, machte dieselbe fast dunkler als die Schattenseite.
Aehnlich war es bei einer Reihe anderer Zeichnungen,
die Hauptwirkungen kamen nicht zur Geltung, weil die
jugendlichen Zeichner es nicht gelernt hatten, der Gesamt-
wirkung zulieb auf die Darstellung von Einzelheiten zu
verzichten. Das Interesse des Schülers hängt vielfach an
Zufälligkeiten, der Unterricht soll ibn zur künstlerischen
Auffassung führen. Der griechische Maler Apelles wurde
einst gefragt, wer der grössere Künstler sei, er oder Polygnot. Apelles antwortete:
„Polygnot kann viel mehr wie ich, nur eine Kleinigkeit habe ich ihm voraus; ich
weiss, wann es Zeit ist, den Pinsel wegzulegen, ich weiss, wieviel man darstellen
darf, und was man weglassen muss.“ Diese „Kleinigkeit“ aber machte ihn zum
grösseren Künstler. Die Ausstellung in Berlin zeigte durchweg eine vorzügliche
frische Technik, eine glänzende Behandlung der Farbe; an vielen Arbeiten aber
fehlte das Verständnis für künstlerische Auffassung. Es schien, als ob in manchen
Schulen hierauf gar kein Wert gelegt und die Aufgabe des Unterrichts lediglich in
der zeichnerischen Betätigung des Schülers gesucht werden würde. Derselbe soll
nach Herzenslust zeichnen und malen und das Auge im Beobachten, die Hand im
Darstellen üben. Das Mittel, das jedem, auch dem wenig Veranlagten, zu einem
gewissen Erfolge verhelfen kann, ist das Interesse. Als Zeichenobjekt ist daher
alles willkommen, was dem Schüler Freude macht; ohne Bedenken werden selbst
Vorbilder benützt, die in ästhetischer Hinsicht nur schädlich wirken können. So
wurde z. B. in der Quarta nach Stoff- und Tapetenmustern gezeichnet, die in Form
und Farbe nur einem sehr tiefstehenden Geschmacke zusagen konnten. Wenig
kritisch schien man auch zu sein bei der Verwendung von ausgestopften Vögeln.
Diese Modelle waren vielfach ohne jegliches Verständnis für eine dem Leben ent-