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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 1.1907

DOI Heft:
Heft X (Oktober 1907)
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Kolb, Gustav: Die badische Landeszeichenausstellung in Karlsruhe
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https://doi.org/10.11588/diglit.31624#0131

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111

Die badischen Lehrgänge zeigen allerdings in oberen Klassen etwas mehr
Freiheit. Ich bin aber der Anschauung, dass auf allen Stufen, von unten bis oben
streng, gebunden und frei zugleich gearbeitet werden soll. Gewisse grundlegende
Disziplinen müssen dem Schüler auf streng systematischem Weg beigebracht werden.
Dazu ist die Schule da. So muss der Schüler von Anfang an in der Auffassung
des Wesentlichen und Charakteristischen, in den verschiedenen Darstellungswegen,
im Gebrauch der Farbe, im Sehen und Darstellen von perspektivischen Ver-
kürzungen, Verschwindungen und Verschiebungen, in dem verständnisvollen Zeichnen
von Ueberschneidungen, in der Hervorhebung des Organischen u. a. mehr syste-
matisch nach einem klaren Plan unterrichtet werden.
Daneben aber muss Raum sein zur freien Betätigung der Schüler. Es
muss ihnen Gelegenheit geboten sein,
worbenen Hilfsmitteln frei zu schalten
nungen, die nur eines Anstosses oder
hören zum Köstlichsten, was in der
Schule geleistet wird. Sie quellen aus
der schöpferischen Kraft des Kindes
hervor, in ihnen offenbart sich die In¬
dividualität des Schülers am reinsten.
Sie bilden daher auch die wertvollsten
Fingerzeige für den Lehrer.
Gerade aber solche freien Schüler¬
zeichnungen vermisste ich, abgesehen
von einigen Ausnahmen, in der Aus¬
stellung, besonders auch in den Unter-
und Mittelklassen. Offenbar wird
ihnen von oben herab kein Wert bei¬
gemessen. Aus diesen Gründen findet
jedenfalls das Phantasiezeichnen
auch keine Pflege. Ich glaube daraus
entnehmen zu dürfen, dass das Ziel
des Unterrichts in den badischen Mit¬
telschulen einseitig darauf gerichtet ist,
den Schüler sehen und das Beobachtete
darstellen zu lehren.
Mehr und mehr bricht sich aber
die Ueberzeugung Bahn, dass ein
Zeichenunterricht, der nicht zugleich
auch bestrebt ist, die schöpferischen
Kräfte des Schülers, seine Erfindungsgabe und Gestaltungskraft anzuregen und
nach Möglichkeit zu entwickeln, seine Aufgabe nur halb erfüllt. Freilich ist das
die weitaus schwierigste Aufgabe, deren Lösung kaum erst begonnen ist.*)
Mit ihrer Lösung aber hat die Reform erst ihren Abschluss erreicht. Baden
steht in der Entwicklung seines Zeichenunterrichts gerade vor der Schwelle dieses
Problems. Hier darf es nicht Halt machen, wenn nicht, bei allen bisherigen Er-
rungenschaften, die voll anzuerkennen sind, eine Verknöcherung und Erstarrung
des Unterrichts eintreten soll.

mit den im systematischen Unterricht er-
und zu walten. Solche freie Schülerzeich-
einer Anregung des Lehrers bedürfen, ge-

Abbildung 7.


Darum: Macht alle Kräfte frei. Gebt Freiheit den tüchtigen Lehrern, —
sie verdienen es; gebt aber auch mehr Freiheit dem Schüler! Dann werdet ihr noch
mehr herausholen aus ihm, mehr Eigenes und Persönliches als dies bisher der Fall war.
G. Kolb.

*) Vergl. die Ausführungen von J. Strzygowski in seinem Werke : „Die bildende Kunst der Gegen-
wart“. Verlag von Quelle & Meyer, Leipzig,
 
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