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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 9.1929

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Heft 2 (Februar 1929)
DOI article:
Keller, Hans: Ueber den Zusammenhang zwischen Musik und bildender Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27999#0038

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30

Aeber den Zusarnmenhang zwischen Musik und bildender Kunst

Von Hans Ke ller, Stuttgart. //E

Grundlegendes.

Alle Kunst geht zurück an eine geineinsame Wur-
zel, die ruht in der dunklen Erde des Unevgründlichen.
Dies Unergründliche, das schaffende Prinzip schlecht-
hin, ist — ungreisbar — sür alle Dersuche der Gnt-
fchleierung, entzieht sich in seinen lehten Tiefen dem
forschenden Verstand des Menfchen. Es schenkt sich
nur dem, der gesonnen i'st, semen Offendarungs-
chavakter anzuerkennen und heilig zu roahren. Aus
üi-eser einheitlichen Murzel wuchsen ve.schiedene
Arme in die Höhe, von denen jeder seinen eigenen
Weg ging. Der Mensch spürte naturhast dle geord-
nete Zusammengehürigkeit seiner Sinne. Er spürte
den Zusammenhang von Auge und Aand, von Ohr
und Stimme usf. Er fand in ihnen Werkzeugs, um
seine innere Lebensbewegung auszudvücken, um
einem lnsknktiven,Drang zu folgen, sich mitzuteilen.

Entstehen der bildenden Kunst.

Er beugte sich nieder zur Erde, nahm ein Stück
vou ihr in die beiden hohlen Hände und formte die
Urform, die Kugel. Er zerskörte wieder, blldeke
sie neu, bis er zufrieden war. Und seine Lusf» seine
Freude an diesem Spiel trieb ihn zu weitevem Bil-
öen. Nach und nach fand er neue Möglichkeiten:
die Welt der Farben ging ihm auf. DerMensch wuchs
daran, und da er noch nachiwandlerisch eingebettet
war in das grohe Weltgeschehen selbst, flotz das
Gesetz der Weltbewegung, der Ähythmus, von selbst
ein in all sein Tun. So entstand die bildende Kunst.

Enkstehen der Musik.

Ein anderes Mal ging der Mensch über die
Erde, er hörte die Bewegung und den Kkang
seiner eigenen Schritte. Es erwachte seine Stimme
und glich sich an dem Matz und der Bewegung
des Schreitens. Aus der inneren Lebensenergie
heraus schwangen nun auch die übrigen Glieder
mit: Ls enkstand- der Tanz. Gleichzeitig flotz her-
vor der eintönige melodische Gesang: das, was wir
die primitive Melodik nennen. So kam der Mensch
zur Musik.

Also beide Welten, das Plastisch-Bildnerische einer-
seits, das Musikalisch-Bewegie andererseits, sie
strömen beide hervor aus dem llrguell dev rhyth-
mischen Lebensbewegung!

Rhythmische Lebensbewegung! Was versteht man
darunter? M)ythmus ist G e s eh, istBewegung,
ist Einheit. Rhythmus ist ge s e tzmritz i g e r
Kräfteskrom, der alles Lebendige als
Einheitsbewegung durchwaltek.

Zeik und Raum-

3m Mustkalischen, das ja herauswächst aus dem
Zeitlichbewegten, atmet die rhythmische Kraift als der
ununterbrochene Flutz, ais der einheitliche Bewe-
gungsvorgang der Töne in der Zeit! Das bildhaft-
rhythmische Geschehen vollzieht sich dagegen im
Raum! Damit haben wir einen gvunülegenden Un-
terschied der beiden Welten herousgestsllt. Was im
Raume lebk, istfatzbar, ist nebeneinander-
wefende Gegenwart. Was dagegen in der
Zeit lebt, ist e w i g e B e r w a n d I u n g, unfatz -

bares Nacheinander. Das Bildwerk strahlt
auf vor dem Beschauer als fertige Einheit. Das Ton-
werk rollt sich alimählich ab vor seinem Ohr, und erst
nach dem Berklingen des letzken Tones, ersk. nach-
dem schon alles vorbei ist, kommt dem Hörer die
Gesamtheit ins Bewutztsein. Man kann allge-mein
formulieren: Bild - Kunst i st r h y k h m i s ch g e -
gliederter R aum.. Musik istrhykhmisch
g e g l i ed erte Zeit!

Aus diesen Grundtaksachen ergibt sich die beson-
dere Eigenwelk, die ureigene Schaffensdomäne, einer
jeden Kunst.

Das eigsntümliche Bereich der bildenden Kunst
umfaßt alle Form-, Farb- und Lichterleb-
nisse! Alles räumlich Tast- bM. Schaubare ge-
hörk ihr vor allem zu eigen. fledenfalls kann man
sagen: 3ede Lebensvegung mutz in Form-, Farb- und
Lichterlebnis übergegangen sein, um zu bildender
Kunst werden zu können.

Das besondere Bereich der Mosik..

Die Musik dagegen ist angewiesen auf -ie Welt
der „tönend-bewegten Formen"! Alles. was sich in
Klanglich-Hörbares und zugleich zeitlich sich Wandeln-
des umfetzen lätzit, gehört ihr zu eigen. Die ,Mu-
stk, die gleichsam wie das Rauschen des Windes oder
wie ein flüchtiger Dufk den Raum durcheilt, ist der
Bergänglichkeik unterworfen mehr, als jede ander«
Kunst.

' Die Menschen haben aber ein Mittel gefunden, sie
fsskzubannen in den Raum. Sie haben eine Ark Ton-
geomekrie erfunden, mit Hilfe deren dte schiwebenden
Tonempftndungen gewissermatzen in ihrem Grundritz
ssstgehalten werden: das Notenbild! Durch die Noten-
schrift werden eigentlich erst die Tonvorstellungen
verräumlichk. Ohne Notenschrift gäbe es steine
Kunst der Mustk! Die Mustk könnte nichk als
Kunst hinausgestellt werden. Durch das Notenbild
bekommk die Musik erst den zwei-dimensionalen Cha-
ra'kter, den sie als Kunst trägt. Sie übersetzk die Ton-
shöhen)unterschiede in ein A e b e r e i na nd e r, und
das zeitliche Nacheinander in «in Nebeneinan-
der. Die Tonvorstellungen des Mustkers werden so
in ein graphisches Neh eingefangen, ordnen stch nach
polaren Richtungsgegensätzen (Bertikale und Hori-
zontale) und klettern und ranken sich an diesem sche-
makischen Gerüst herauf und herab wie an einem
Spalier. Solch ein Gerüst hat die bildende Kunst
nicht nötig, da ste ja im Raume lebt und natur-
gemätz dauert. Die bildende Kunst hat eine Di-
menston weiker zur Berfügung; die Ttefendimen-
sion. 3u der Malerei allevdings, realtstisch angefehen,
nur in i'llustonärem Sinn, aber künstlerisch angesehen
ist auch sie drei-dimensional.

Ein weikerer llnkerschied der beiden Kunstgebiete:
Mustk ihrem Wesen nach ist unabhänglger von der
äutzeren sinnlichen Welt, andererseiks deshalb auch
mehr abstrakt, weniger konkrek. Fhr darin verwandt,
gleichsam eine Brücke bildend zur konkrek-stnnenhaf-
ten Plastik und Malerei, ist -ie Architeklur, die schon
die „gefrorene Mustk" genannt wurde. Es gibk Zei-
ten, da die einzelnen Künste übergreifen von ihrem
Sondergebiet in das einer anderen Kunst:
 
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