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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 9.1929

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Heft 3 (März 1929)
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Schäfer, Heinrich: Über die Krisis der Pubertät und ihre Überwindung im Zeichen- und Kunstunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.27999#0062

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Äber die Krisis der Pubertät und ihre Äberwindung im
Zeichen- und Kunstunterricht

Bon Heinrich Schäfer- Simmern, Stud.-Rak an der Musterschule in Frankrfurt a. M.

Vgl. dazu die Abbildung.

„stedes normale Kind besihk, allein krafk seiner
Kindheik, eine Fülle von Anlagen und Möglichkeiken,
die meisk mit dem Einkritt in die Geschlechtsreife,
mik dem Aufhören des Wachskums, vollends mit dem
Einkrikt in das Berufsleben der Erwachsenen ver-
schwinden. Dieses Schicksal ist nakurgemäß und un-
abänderlich. Nur der Ausnahmemensch rektet von
der Fülle kindlicher Pokentialität Entscheidendes in
die Aktualikät der erwachsenen Leistung hinüber."
sA. HarÜaub: Frankfurter Zeitung bei Besprechung
Debrunners Seelenfrühling. 21. 10. 28.)

Dieser Ansicht A. Harklaubs kreken alle die-
jenigen bei, die vermöge ihrer wenigen Einstcht in die
Werkstätken kunsk-pädaaogischer Erziehung sich kein
klares Bild von der Wirkung der Geschlechksreife
machen können und die darum rein intellekkuell eine
weikereEnkwicklung prvduktivenSchaffens beim Kinde
sich nichk vorskellen können. Darum versucht auch
Herr Dr. G. F. Harklaub, Mannheim, in seinem Vor-
trag „Ueber Impressionismus, Expressionismus und
Neue Sachlichkeit" sKunst und stugend 1927, S. 189),
den er Pfingsken 1927 auf unserer Haupkkagung in
Karlsruhe hielt, uns klar zu machen, daß „das mit
Rechk zurüchgestellke Gebiet des nachahmenden, kech-
nisch wisienschafklichen Zeichnens nachgeholk werden
müsie, wobei den jungen Menschen klar zu machen
ist, daß eine saubere'LInearzeichnung zu zunächst
kechnisch wisienjchafklichen Zwecken auch eine reine,
wahrhaft ästhetisch zu bewertende Oualikät zu haben
vermag, wofür unsere jüngste Kunst guke Vorbllder
lieferk". Harklaub stehk hierin die weikere pädago-
gische Arbeik mik dem Eintrikt der Geschlechtsreife-
zeik, ohne einen Zusammenhang mit dem zu finden,
was vorher in kindlich phantastischem Schaffen ge-
leiskek wurde. Würden wir seinen Anregungen
Folge leisten, so wäre mik dem Eintritt des Kindes
in die Pubertäkszeit unsere eigentliche Kunsterziehung
und unsere Arbeik im Dienske der Menschenbildung
erledigk. Damik wäre gerechtfertiflk, daß der Zeichen-
und Kunstunkerrichk am humanistischen Gymnastum
in der Oberstufe als Pflichkfach nicht einfleführt
worden ist. Mik der Möfllichkeit der Weiterfüh-
rung künsklerisch gestaltender Ausdrucksfähigkeik
über die Puberkäkszeit hinaus stehk und fällk unsere
gesamte Kunsterziehungsleistung.

Wenn auch die eigensprudelnde Bekäkigung des
Kindes vor der Geschlechksreife in ihrer Wirkung
auf das Gestaltungsvermögen gesicherk ist und dieses
Schaffen dem jungen Menschen zum Erlebnis-Aus-
druck geworden i!t, wenn ferner durch die Ark freier
phankastevoller Gestalkunq des Kindes ihm ein un-
verlierbarer Schah an Erinnerungen, schövferischer
Freuden gegeben ist und ihm die Möglichkeit zum
Verständnis des Wesens der Gefkalkungsprozesse
für dauernd erhalten bleibk, so must es nack der
Krisis der Puberkät dahin kommen, dast er die Fähig-
keik erhälk, nun sein gesamkes vorheriges geskalken-
des Tun in Zusammenhang mik dem Erscheinungs-
gemäßen der Welt und ihren Dingen zu bringen,
um daraus seine eigene Melt aufzubauen.

Wenn man das Wesen der Pubertätszeit, die bei
diesem früh, bei jenem späker einkritt, näyer beleuch-
ten will, so erscheint es rein nakurwisienschaftlich so
zu liegen, datz dem jungen Menschen durch die wer-
dende Geschlechksreife zum erstenmal der starke
Ilnterschied der Geschlechker bewußk wird und er
anz von selbst auf irgend eine Ärt und Weise
ewußt oder unbewußk den Drang zum anderen Ge-
schlecht verspürt. Sein ganzes sinneres wird erfüllk
von dem „Wie" der Annäherung, das durch scharfes
Ueberlegen, ja sogar durch List irgendwle zu einer
Lösung kommen muß. Dazu brauchk keineswegs nur
serueller Drang der Grnnd der Annäherung zu sein.
Meistens ist sogar nur das Ziel die Ilnkerhaltung
mik der Freundin. Rein gedanklich kreken zum
erstenmal im Leben des siugendlichen logische Denk-
verbindungen auf, die mit einem gefühlsreichen
erokischen Erlebnishunger genährt stnd und so -en
ganzen Menschen einfangen. Ileberhaupk ist der
Drang nach vollkommen neuem Erlebnis, üas auch
den erwachenden logischen Verstand beherrschk, ein
wesentliches Zeichen der seelischen Wandlung wäh-
rend der Puberkäk. sie nach den verschiedenen seeli-
schen Begabungen und vorhergegangenen Entwick-
lungsmöglichkeiten ist dieser Wandlungsprozeß
äußerst verschieden. Bei dem von Natur aus
roh Veranlagten, desien Bildungsmöglichkeik
und Anregung dazu noch durch Ilmgebung fiark ver-
nachlässigt sind, macht man immer wieder die Er-
fahrung, Üaß sie der rein sexuell erotischen Reife und
ihrer Äuswirkung unkerliegen. „Die nagende und wei-,
terfreffende sexuelle Phankaste zerstört die gesamten
inneren Kräfke und die Geschlosienheit der jugend-
lichen Seele. Sie fördert und verstärkt die Bitterkelk
des Lebens, ste nimmt dle lehken Kräfte des seelischen
Aufbaus und Glaubens hinweg und eröffnek das
Tor zum psychisch-phystschen Siechkum." Daß damik
verbunden auch segliche Weiterführung produktiven
künstlerischen Gestalkens für lanae Zeik aussehen
kann, ist selbstverständlich. Diesen Nakuren muß man
eben ihre Zeit lasien, bis ste später in gewiffe
geistige Konflikte kommen und sie versuchen wer-
den, alle die anderen Probleme der Melt, die stch
nun infolge des logischen immer stärker enkwickelten
DenkvermögenS zu einem verwickelten Komplex zu-
sammenballen, irgendwie zu lösen suchen. Hier seht
die Arbeit des Kunsterziehers von neuem wieder
ein, indem er dem Zugendlichen durch innerlicke An-
regung und Bereicherung über diesen Konflikk zu
einer neuen Arbeiksmöglichkeit verhilft, auf die ich
noch zu sprechen komme.

Nichk bei allen führt die erwähnke sexuelle Krisis
zur tiefsten Tiefe, bei solchen von besserer
Ärk wird die Sehnsuchk nach geistigem Gegengewicht
hervorgerufen. Bei diesen nicht so stark sexuell ver-
anlagten Nakuren, die doch in hocherokischer Span-
nung leben. sind alle Zeichnungen und Malereien so
stark von bnnlichen Reizungen durcksekk, daß die
erwähnte Wandlung gewalkige Gefühlsbereich.erung
und Erweikerung bringt und diese ste vor ei'ner Er-
 
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