Deutsche Blätter für Zeichen-Kunst- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akad. geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwortlich für die Schriftleitung: Professor Gustav Kolb, Stuttgart
Drnck und Verlag: Eugen tzardt G. m. b. tz. Stuttgart, Langestraße 18
Fin' VesprechilligScrcriplarc, Nlcbcrschrifteii oder andere Eliisciidiiiigeii irgendwelcher Vrt
wi " ' " ' . ' . ...
wird eine Veraiitwortlichkeit imr daim überiiommeil, weim sie erbeten "worden
Schrcibt sachlich klar imd siiisach l Meidet alle eiitbehrlichen Fremdwörterl
siiid
„Ich bin in Sorge". Von G. Kolb. — Äber die zierkünstlerische Entwicklung des Kindes. Von Dr- Georg
Friedrich Muth, Vensheim. — Die Bildgestaltung in Komposition und Motiv. Von Ernst Würtenberger,
Karlsruhe. — Ein Neforinversuch anf der Oberstufe. Von Frantzen, tzannover. - Zeichenunterricht und
Leistnngsnote. Von August Arensmeier, Barmen. — Die Phantasie. Das Wesen dsr Gestaltungskraft. G. Kolb.
— Ein Vergleich zwischen seminaristischer n. freier Zeichenlehrerausbildung. VonNichard Hohly.—Äbermeinen
Ilnterricht. Von Stnrm, Corbach, Waldeck. — Ilmschau. — Sprechsaal- — Vuchbesprechungen. — Inserate. —
9. Iahrgang
August 1929
„Ich bin in Sorge"
(Ein Wort zn dem Sprechsaal — Seufzer in Heft 8)
,-i^
Aechk so, wer in Sorge ist, der ist schon der be-
schanlichen Anhe entronnen, die wir henke meiden
miissen, wie das Gift. Der „fanstische Mensch", der
„iminer strebend sich beinnht", der immer ein Wer-
dender, nie fertig ist, der ist nns bikter not in dec
jehigen Zeit der Not-Wenhe unseres Arbeiksgebiekes,
einer Not-Wende, die anfs innigste verfiochten ist
mit der Zeitenwende, in der wir mitten drin stehen.
EngeS Skandesbewusztsein ist heuke fiir uns Tod-
siinde. Standesbeschrcinkt ist es aber, eine Erkennt-
niStheorie, die nns vielieichk weiterbringen irann, ab-
znlehnen, weii ihr Urheber „Nichkfachmann" ist. Mir
haben aile Ilrsache dankbar zu sein fiir jedes Lichk,
das unseren Weg erhellt, gleichviel, von wem es enk-
ziindet wird. Der „Wchtfachmann" ist unter Ilmstän-
den vorurtelisloser, unbefangener, auch kann er mehr
lieberschau iiber das Ganze haben, während der
„Fachmann" leicht im Spezialistentum, in Verein-
zelnng und Absonderung sich verrennk, in starren aus-
gefah'renen Geleisen skecken bleibt. Hat das die. Ge-
schichke unseres ArbeitSgebiekes — wie übrigens auch
die Geschichke anderer Gebieke — nicht bewiesen?
Man denke nur an Georg Hirth! Wurde er von der
znnfiigen Zeichenlehrerschafk zuerst nicht miszverstan-
den, mit Gründen bekämpfk, die uns heute völlig
nnverständlich sind? Von seiner Geschichte soll man
lernen.
Die Zauptfrage ist heute. doch.wohl die: Mollen
wir den Knnstunterricht? Oder wollen wir bei den
Lrrnngenschaften von 19t>ll stehen bleiben? Wer den
Knnstünkerricht will — und das trifft fiir uns alle doch
woht zu —, mnsz sich um seine Erkenntnis-Grund-
lagen bemiihen. Obwohl es das Wichtigste ist: eS ge-
nügk doch nicht, eine „Persönlichkeit", ein „Kerl" zu
sein. Bor 40 und mehr ilahren gab es in unserem
Stande gewisz auch Persönlichkeiten, und doch ging
man im Ilnkerricht ausnahmslos in der ürre.
Zu dem Versönlichkeiksprinzip — Frih hat es schon
hervorgehoben — musz vielmehr ein Sachlichkeiks-
prinzip treten, das auf überpersönlichen Gnindlagen
und Erkenntnissen, in unserem Fall namentlich auf
seelenkundlichen und künstlerischen Erkenntnissen be-
ruht. Daraus ist auch zu enknehmen, dasz es nicht
richtig ist zu sagen: „üeder hak mit seiner Meinung
rechk, wenn sie ihm Herzenssache ist." Eine solche
Anschauung kann leicht zu einem Ruhepolster werden.
Gefühl und Herz genllgen eben nicht zur überpersön-
lichen wissenschaftlichen Begründung unseres Arbeits-
gebietes.
Der Zeichenunterricht von 1000 war vorwiegend im
zergliedernden, im bewuszken Sehen und Dar-
stellen des Erscheinungsgemähen verhaftek. Darum
konnte er nicht Kunstunterricht sein. Der Kunstunter-
richt wendet sich an die gestaltenden Kräste, die sich
aus das schauende Erleben gründen, das uns den
Strom der Bilder schenkt, ohne dajz wir eS wollen,
bewujzt anstreben können. Bewusztes, zergliederndeS
Sehen und Darstellen einerseits und schauendes Er-
leben andererseits sind einander entgegengeseht wie
Geist und Seele, wie begriffliche ErkennkniS und
intuitive Erkenntnis. Beide zusammen erst geben
das Ganze. Das bewuszte Sehen und Darstellen, das,
wie ich schon oft betonte, immer eine unerläszliche
Mfgabe des Zeichenunterrichts sein wird, wuröe
Zeitschrift des Reichsverbandes akad. geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwortlich für die Schriftleitung: Professor Gustav Kolb, Stuttgart
Drnck und Verlag: Eugen tzardt G. m. b. tz. Stuttgart, Langestraße 18
Fin' VesprechilligScrcriplarc, Nlcbcrschrifteii oder andere Eliisciidiiiigeii irgendwelcher Vrt
wi " ' " ' . ' . ...
wird eine Veraiitwortlichkeit imr daim überiiommeil, weim sie erbeten "worden
Schrcibt sachlich klar imd siiisach l Meidet alle eiitbehrlichen Fremdwörterl
siiid
„Ich bin in Sorge". Von G. Kolb. — Äber die zierkünstlerische Entwicklung des Kindes. Von Dr- Georg
Friedrich Muth, Vensheim. — Die Bildgestaltung in Komposition und Motiv. Von Ernst Würtenberger,
Karlsruhe. — Ein Neforinversuch anf der Oberstufe. Von Frantzen, tzannover. - Zeichenunterricht und
Leistnngsnote. Von August Arensmeier, Barmen. — Die Phantasie. Das Wesen dsr Gestaltungskraft. G. Kolb.
— Ein Vergleich zwischen seminaristischer n. freier Zeichenlehrerausbildung. VonNichard Hohly.—Äbermeinen
Ilnterricht. Von Stnrm, Corbach, Waldeck. — Ilmschau. — Sprechsaal- — Vuchbesprechungen. — Inserate. —
9. Iahrgang
August 1929
„Ich bin in Sorge"
(Ein Wort zn dem Sprechsaal — Seufzer in Heft 8)
,-i^
Aechk so, wer in Sorge ist, der ist schon der be-
schanlichen Anhe entronnen, die wir henke meiden
miissen, wie das Gift. Der „fanstische Mensch", der
„iminer strebend sich beinnht", der immer ein Wer-
dender, nie fertig ist, der ist nns bikter not in dec
jehigen Zeit der Not-Wenhe unseres Arbeiksgebiekes,
einer Not-Wende, die anfs innigste verfiochten ist
mit der Zeitenwende, in der wir mitten drin stehen.
EngeS Skandesbewusztsein ist heuke fiir uns Tod-
siinde. Standesbeschrcinkt ist es aber, eine Erkennt-
niStheorie, die nns vielieichk weiterbringen irann, ab-
znlehnen, weii ihr Urheber „Nichkfachmann" ist. Mir
haben aile Ilrsache dankbar zu sein fiir jedes Lichk,
das unseren Weg erhellt, gleichviel, von wem es enk-
ziindet wird. Der „Wchtfachmann" ist unter Ilmstän-
den vorurtelisloser, unbefangener, auch kann er mehr
lieberschau iiber das Ganze haben, während der
„Fachmann" leicht im Spezialistentum, in Verein-
zelnng und Absonderung sich verrennk, in starren aus-
gefah'renen Geleisen skecken bleibt. Hat das die. Ge-
schichke unseres ArbeitSgebiekes — wie übrigens auch
die Geschichke anderer Gebieke — nicht bewiesen?
Man denke nur an Georg Hirth! Wurde er von der
znnfiigen Zeichenlehrerschafk zuerst nicht miszverstan-
den, mit Gründen bekämpfk, die uns heute völlig
nnverständlich sind? Von seiner Geschichte soll man
lernen.
Die Zauptfrage ist heute. doch.wohl die: Mollen
wir den Knnstunterricht? Oder wollen wir bei den
Lrrnngenschaften von 19t>ll stehen bleiben? Wer den
Knnstünkerricht will — und das trifft fiir uns alle doch
woht zu —, mnsz sich um seine Erkenntnis-Grund-
lagen bemiihen. Obwohl es das Wichtigste ist: eS ge-
nügk doch nicht, eine „Persönlichkeit", ein „Kerl" zu
sein. Bor 40 und mehr ilahren gab es in unserem
Stande gewisz auch Persönlichkeiten, und doch ging
man im Ilnkerricht ausnahmslos in der ürre.
Zu dem Versönlichkeiksprinzip — Frih hat es schon
hervorgehoben — musz vielmehr ein Sachlichkeiks-
prinzip treten, das auf überpersönlichen Gnindlagen
und Erkenntnissen, in unserem Fall namentlich auf
seelenkundlichen und künstlerischen Erkenntnissen be-
ruht. Daraus ist auch zu enknehmen, dasz es nicht
richtig ist zu sagen: „üeder hak mit seiner Meinung
rechk, wenn sie ihm Herzenssache ist." Eine solche
Anschauung kann leicht zu einem Ruhepolster werden.
Gefühl und Herz genllgen eben nicht zur überpersön-
lichen wissenschaftlichen Begründung unseres Arbeits-
gebietes.
Der Zeichenunterricht von 1000 war vorwiegend im
zergliedernden, im bewuszken Sehen und Dar-
stellen des Erscheinungsgemähen verhaftek. Darum
konnte er nicht Kunstunterricht sein. Der Kunstunter-
richt wendet sich an die gestaltenden Kräste, die sich
aus das schauende Erleben gründen, das uns den
Strom der Bilder schenkt, ohne dajz wir eS wollen,
bewujzt anstreben können. Bewusztes, zergliederndeS
Sehen und Darstellen einerseits und schauendes Er-
leben andererseits sind einander entgegengeseht wie
Geist und Seele, wie begriffliche ErkennkniS und
intuitive Erkenntnis. Beide zusammen erst geben
das Ganze. Das bewuszte Sehen und Darstellen, das,
wie ich schon oft betonte, immer eine unerläszliche
Mfgabe des Zeichenunterrichts sein wird, wuröe