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der Griecheu nichk enlsprochen. Der Kanon eines
Polpklel oder Lysipp unkerscheiden sich so grundsäh-
lich im Formgedanken und im Formwillen, dah eine
Llenderung ded gesamken klinstlerischen Lebensgeflihls
und eine damit verbundeire andere Einstellung zum
„Schönen" schlechthin als notwendige Boraussehung
angenommen werden muh. Die besondere Bekonung
dessen, wns nnn eigentlich schön ist an einem Bild-
werk, nnterliegt alsv schon innerhalb der zeiilich und
örtlich so begrenzten griechischen Kunstepoche fork-
wnhrenden Berschiebnngen. Wenn also immerhin
das erste Geseh Lessings von der Schönheit bei den
Alten bedingtermaszen Gnltigkeit hak, so ist Lessings
Schritt, diese Schönheit als körperliche Schönheit
vorweg zu vezeichnen und dann in einem allgemein
gttlkigen Geseh der gesamken Aildkunsk zuzudiktieren
mehr als ktihn zu nennen.
Nachdem die Anziehung Winkelmanns und die
Anschauung der Laokoongruppe zur Stützung dieseS
Bersuches ausgeschallek sind, können wir mit Lessing
nur noch durch blosze Schliisse zu einer Anerkennung
seineS Gesehes kommen. Ilnsere wichtigste und
nächste Frage nuf diesem Wege wird lauken müssen:
Was verltehk denn eigentlich Lessing selbst unter
körperlicher Schönheit, und weiterhin: deckk sich
dieser Begrifs tiberhaupk mit dem Schönheitsbegriff
der Ankike? 3m 20. Kapitel des ersken Teils seines
Laokoon ftthrk Lessing daraufbezüglich wörtlich aus:
„Körperliche Schönheit entskehk aus der ttbereinstim-
menden Mirkung mannigfaltiger Teile, die sich auf
einmal iibersehen lassen." Das klingk vielver-
sprechend und sagt entweder alles oder nichts. Wir
mtissen jedenfalls diese abstrakk begriffliche Erkiä-
rung mik vielfachen anderen Aeuszernngen im Laokoon
und in den Fragmenken zusammenhalten, um zu der
Anschanung zu kommen, dasz fiir Lefsing Schönheit
des Körpers zunächst gleichbedeutend ist mit der
Schvnheik seiner körperltchen Formen, seiner ana-
komischen Berhälknisse und Veziehungen, kurz seiner
Gegenltänülichkeit. Trohdem aber Lessing Immer von
Anchahmung und Darstellung der Nakur redet, lehnt
auch er im Grunde die platke Nakurnachahmung ab,
die durch blosze Geschicklichkeit nur Aehnlichkeit mit
der Nakur zu erreichen sucht. Der Kttnstler habe eben
darin seinen Geschmack und sein Künstlertum zu
zeigen, dasz er das^Schöne, d. h. den schönen Körper
in schöner Stellung und schöner Umgebung zum
Hauptgegenstande seiner Kunst mache und seine künst-
lerische Vorstellung zu einem Idealbild verdichte.
Aber für Lessing liegk doch immer die Schönheit des
Organischen in der Wahrheit des Anakomischen und
wird vielfach diese Mahrheit des Anatomischen zu-
gleich zur Wahrheit des Künstlerischen. DaS Wesen
griechischer Kunst faszt Lessing damit nur zum Teil.
Das nakurhaft Körperliche ist wohl deren Boraus-
sehung und niemand wird leugnen wollen, dah das
Schönheitsempfinden der Griechen fttr den schönen
Körper, das sich in der Palästra und in den Gym-
nasien gebildet hat, nicht in ihrer Kunst in der belon-
deren sinnlichen Artung alles Organischen sich wieder-,
spiegelt. Wir kommen aber mik dieser Tatsachenfeskstel-
iung dem G e st a l t u n g s p r i n z i p der Antike, das
sich im Kontrapost, im Krafklastgeseh, im rhythmitchen
Proportionsgeseh an ihren betten Werken der Plastik
und Archikektur auswirkt, nicht nahe. Was soil auch
der Maszstab der Schönheik des Körpers über den
eigentlichen bildkttnstlerischen Wert etwa des Par-
khenonfrieseS aussagen können? Gerade das, was
unS die Antike wertvoll macht, ihre eigengesehliche
Formung als Bildkunst, muszte Lessing entgangen sein.
Wie anders wäre es sonst möglich gewesen, dasz er
die der Antike im Geistigen und Formalen verwandte
Schönheit der herrlichen Stiftersiguren des Naum-
burger Domes, die ihm von Leipzig aus leicht erreich-
bar waren, übersehen konnke. Oder mllssen wir an-
nehmen, dasz er sie wie Goekhe bei seinem Be-
suche gar nicht zu Gesicht bekam? Bor diesen
Meisterwerken miktelalterlicher Kunft, denen die
Ankike nichks Vesseres und nichks Schöneres gegen-
ttberstellen kann, hätke er fühlen müssen, dasz das
Schönheitsgeseh der Kunst ein anderes sein muh als
das der körperlichen Schönheit, dasz der Endzweck
der bildenden Kunft ein höherer sein muh, als bloszes
Bergnügen und die Schaffung „angenehmer Be-
griffe". Bor der künstlerischen Ileberzeugungskraft
oer Bamberger Apostel- und Prophekenreliefs hätke
er erkennen müssen, dasz ein Kunstwerk auch
ohne die Wahrheit des Anatomischen gut sein kann,
dasz es eine Wahrheit des Ausdrucks enthalken kann,
die werkvoller ist, als jeder Bersuch, schöne Körper in
schönen Stellungen wiederzugeben!
(Fortsehung folgt.)
Theorie und Praxis ^
Bon E. Behler - Frankfurk a. M.
Die Theorie.
lledec deuksche Zeichenlchrer weisz nachgerade, dasz
sich die fachllchen Bekrachkungen und Auseinander-
sehungen in- und auszerhalb dieser Zeikschrift immer
eindeutiger um die Fcage üer Gestaltung drehen.
Schon daraus ist zu ersehen, vmr.iv.elch.er Michtigkeik
ihre Klärung fttr uns Zeichenlehrer sein musz. Ls ist
vielleichk auch das Hnupkverdienst der Marktbreiter
Tngung, (iiber die an üieser Slelle vor knrzem ein-
gehend berichtek worden isk) den Begriffsinhalk der
Äeskaltung griindlich besprochen zu haben. Soeben ist
im Berlag von Dr. Benno Filser, Augsburg, eine
Schrifk erschiene», in welcher der Einberufer und
Leiter der Tagung, Dr. Leo Weismantel, unter dem
Titel „Bom Willen deutscher Kunsterziehung" die
Ergebnisse noch einmal übersichklich, ausführlich und
klar zusammenfaszk. Kornmann hat in Markkbreit in
einem muskergttltig formulierten Referat wiederum
die Grundsähe der Theorie Briksch enkwickelt. Der
Name Britsch ist jehk auf allen Zungen und in
allen Ohren. Es gibt bereits eine stattliche Schar,
die in der Theorie Britsch den Auftakt zu einem
neuen, zu dem entscheidenden Enkwicklungsabschnitt
der deutschen Kunsterziehung sieht und deshalb
strengste Gefolgschast übt. Es gibt andere, welche die
Ueberzeugung gewonnen haben, Aritsch könne uns
der Griecheu nichk enlsprochen. Der Kanon eines
Polpklel oder Lysipp unkerscheiden sich so grundsäh-
lich im Formgedanken und im Formwillen, dah eine
Llenderung ded gesamken klinstlerischen Lebensgeflihls
und eine damit verbundeire andere Einstellung zum
„Schönen" schlechthin als notwendige Boraussehung
angenommen werden muh. Die besondere Bekonung
dessen, wns nnn eigentlich schön ist an einem Bild-
werk, nnterliegt alsv schon innerhalb der zeiilich und
örtlich so begrenzten griechischen Kunstepoche fork-
wnhrenden Berschiebnngen. Wenn also immerhin
das erste Geseh Lessings von der Schönheit bei den
Alten bedingtermaszen Gnltigkeit hak, so ist Lessings
Schritt, diese Schönheit als körperliche Schönheit
vorweg zu vezeichnen und dann in einem allgemein
gttlkigen Geseh der gesamken Aildkunsk zuzudiktieren
mehr als ktihn zu nennen.
Nachdem die Anziehung Winkelmanns und die
Anschauung der Laokoongruppe zur Stützung dieseS
Bersuches ausgeschallek sind, können wir mit Lessing
nur noch durch blosze Schliisse zu einer Anerkennung
seineS Gesehes kommen. Ilnsere wichtigste und
nächste Frage nuf diesem Wege wird lauken müssen:
Was verltehk denn eigentlich Lessing selbst unter
körperlicher Schönheit, und weiterhin: deckk sich
dieser Begrifs tiberhaupk mit dem Schönheitsbegriff
der Ankike? 3m 20. Kapitel des ersken Teils seines
Laokoon ftthrk Lessing daraufbezüglich wörtlich aus:
„Körperliche Schönheit entskehk aus der ttbereinstim-
menden Mirkung mannigfaltiger Teile, die sich auf
einmal iibersehen lassen." Das klingk vielver-
sprechend und sagt entweder alles oder nichts. Wir
mtissen jedenfalls diese abstrakk begriffliche Erkiä-
rung mik vielfachen anderen Aeuszernngen im Laokoon
und in den Fragmenken zusammenhalten, um zu der
Anschanung zu kommen, dasz fiir Lefsing Schönheit
des Körpers zunächst gleichbedeutend ist mit der
Schvnheik seiner körperltchen Formen, seiner ana-
komischen Berhälknisse und Veziehungen, kurz seiner
Gegenltänülichkeit. Trohdem aber Lessing Immer von
Anchahmung und Darstellung der Nakur redet, lehnt
auch er im Grunde die platke Nakurnachahmung ab,
die durch blosze Geschicklichkeit nur Aehnlichkeit mit
der Nakur zu erreichen sucht. Der Kttnstler habe eben
darin seinen Geschmack und sein Künstlertum zu
zeigen, dasz er das^Schöne, d. h. den schönen Körper
in schöner Stellung und schöner Umgebung zum
Hauptgegenstande seiner Kunst mache und seine künst-
lerische Vorstellung zu einem Idealbild verdichte.
Aber für Lessing liegk doch immer die Schönheit des
Organischen in der Wahrheit des Anakomischen und
wird vielfach diese Mahrheit des Anatomischen zu-
gleich zur Wahrheit des Künstlerischen. DaS Wesen
griechischer Kunst faszt Lessing damit nur zum Teil.
Das nakurhaft Körperliche ist wohl deren Boraus-
sehung und niemand wird leugnen wollen, dah das
Schönheitsempfinden der Griechen fttr den schönen
Körper, das sich in der Palästra und in den Gym-
nasien gebildet hat, nicht in ihrer Kunst in der belon-
deren sinnlichen Artung alles Organischen sich wieder-,
spiegelt. Wir kommen aber mik dieser Tatsachenfeskstel-
iung dem G e st a l t u n g s p r i n z i p der Antike, das
sich im Kontrapost, im Krafklastgeseh, im rhythmitchen
Proportionsgeseh an ihren betten Werken der Plastik
und Archikektur auswirkt, nicht nahe. Was soil auch
der Maszstab der Schönheik des Körpers über den
eigentlichen bildkttnstlerischen Wert etwa des Par-
khenonfrieseS aussagen können? Gerade das, was
unS die Antike wertvoll macht, ihre eigengesehliche
Formung als Bildkunst, muszte Lessing entgangen sein.
Wie anders wäre es sonst möglich gewesen, dasz er
die der Antike im Geistigen und Formalen verwandte
Schönheit der herrlichen Stiftersiguren des Naum-
burger Domes, die ihm von Leipzig aus leicht erreich-
bar waren, übersehen konnke. Oder mllssen wir an-
nehmen, dasz er sie wie Goekhe bei seinem Be-
suche gar nicht zu Gesicht bekam? Bor diesen
Meisterwerken miktelalterlicher Kunft, denen die
Ankike nichks Vesseres und nichks Schöneres gegen-
ttberstellen kann, hätke er fühlen müssen, dasz das
Schönheitsgeseh der Kunst ein anderes sein muh als
das der körperlichen Schönheit, dasz der Endzweck
der bildenden Kunft ein höherer sein muh, als bloszes
Bergnügen und die Schaffung „angenehmer Be-
griffe". Bor der künstlerischen Ileberzeugungskraft
oer Bamberger Apostel- und Prophekenreliefs hätke
er erkennen müssen, dasz ein Kunstwerk auch
ohne die Wahrheit des Anatomischen gut sein kann,
dasz es eine Wahrheit des Ausdrucks enthalken kann,
die werkvoller ist, als jeder Bersuch, schöne Körper in
schönen Stellungen wiederzugeben!
(Fortsehung folgt.)
Theorie und Praxis ^
Bon E. Behler - Frankfurk a. M.
Die Theorie.
lledec deuksche Zeichenlchrer weisz nachgerade, dasz
sich die fachllchen Bekrachkungen und Auseinander-
sehungen in- und auszerhalb dieser Zeikschrift immer
eindeutiger um die Fcage üer Gestaltung drehen.
Schon daraus ist zu ersehen, vmr.iv.elch.er Michtigkeik
ihre Klärung fttr uns Zeichenlehrer sein musz. Ls ist
vielleichk auch das Hnupkverdienst der Marktbreiter
Tngung, (iiber die an üieser Slelle vor knrzem ein-
gehend berichtek worden isk) den Begriffsinhalk der
Äeskaltung griindlich besprochen zu haben. Soeben ist
im Berlag von Dr. Benno Filser, Augsburg, eine
Schrifk erschiene», in welcher der Einberufer und
Leiter der Tagung, Dr. Leo Weismantel, unter dem
Titel „Bom Willen deutscher Kunsterziehung" die
Ergebnisse noch einmal übersichklich, ausführlich und
klar zusammenfaszk. Kornmann hat in Markkbreit in
einem muskergttltig formulierten Referat wiederum
die Grundsähe der Theorie Briksch enkwickelt. Der
Name Britsch ist jehk auf allen Zungen und in
allen Ohren. Es gibt bereits eine stattliche Schar,
die in der Theorie Britsch den Auftakt zu einem
neuen, zu dem entscheidenden Enkwicklungsabschnitt
der deutschen Kunsterziehung sieht und deshalb
strengste Gefolgschast übt. Es gibt andere, welche die
Ueberzeugung gewonnen haben, Aritsch könne uns