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seien, während es im Sinne der Kunst lediglich Anf-
gnbe des Beschnuers sei, sich dns, wnS der Seele n e u
cnkgegenkreke voll nnzueignen.
Wir erinnern uns, dnsz die Kunst der Primikiven
oder der Erpressionilten in einer reich ausgebildeten
Bildersprache die Einzelzustände einer Bewegung
bildlich wiedergegeben hak, um den Bewegungsablauf
zu veranschaulichen. Mns Lessing also dazudenken
läszt, ist hier meist schon dnzugezeichnet. Snndro Vok-
ticelli skellt in einer Zeichnung Danke in der Anter-
welt mik zwei Köpsen dnr, um die Anrast beim Er-
blicken der kauseichfältigen Eindrücke zu schildern.
Der Bamberger Reliefkünstler drehk den Oberkörper
seines hefkig debntkierenden Apostels in der Hüfke nus
einer reinen Borwärtsbewegung der unteren Körper-
hälfte in eine völlige Rllckwärtswendung. Bon Marc
Chagall kennen wir mehr als ein Bild, das Figuren
mkt Doppelköpfen, mit Wiederholungen des eigenen
3chs usw. zeigt. Wenn diese einst nakürliche Bild-
sprache in der modernen Kunst häufig zu einem raffi-
nierten Neporkerstil geworden ist, so können wir ge-
rade dnrin drastisch die Absicht zum Ausdruck gebrachk
sehen, die Zeit auch in der Bildkunst zu überwinden.
(Schlusz folgt.)
Lheorie und Praxis
Ein Work zu dem Aufsah von E. Behler-Frankiurt a. M. Heft 10
Bon G. Kolb.
llch begrüsze die vorausgegangenen Ausführungen.
Wir können dle heuke für uns im Bordergrund
stehenden Frngen nicht sachlich und ruhig genug
erörkern, damik Klärung und womögllch Einigung
erzielt wird. Dasz es sich nicht um Einigung in metho-
dischen Fragen im engeren Sinne handeln knnn —
das wäre auch gar nichk erstrebenswert — sondern
nur um dns Grundsähliche, sehe ich voraus. Dazu
möchken auch die nachfolgenden Worke helfen.
Zunächst, es ist wahr: die Lage vieler unserer
Amksgenossen lsk recht schwierig geworden. Was
heuke von unS verlangk wird, wenn man den „Anker-
richt im Gesknlten" forderk, ist vielfnch eine völlige
^ Ilmkehrnng dessen, wns wir wührend unserer beruf-
s lichen Borbildung gelehrt wurden. Iin Alittelpunkt
des Studienplanes ünserer Kunstlehranstalten skand
ehemals sund steht vielfnch auch heute noch) das auf
anntomische Richkigkeit abzielende WahrnehmungS-
sludium. Der „Wahrnehmungsakt" (nicht der „Bild-
akk", wie Prof. Adolf Hölzel forderke) war und ist —
abgesehen von Ausnahmen — der Kern dieses Sku-
diums. Dieses Bemühen nahm man als künstle-
risches Schaffen, und wir überkrugen es, als wir ins
Lehramk einkraken sinngemäsz auf den eigenen Ilnter-
richt. Wir glaubken alle wohl einmal tich schliesze
mich selbstverständllch ein), ein Ankerricht, der das
auf „Richkigkeik" abzielende Abbilden der Gegen-
skände lehre, wäre an sich schon Kunskunkerricht.
llm Vanne mühevoller täglicher Pflicht, abseits auf
einsamem Posken, hat wohl mancher Ämksgenosse
den schon lange, seit einem clahrzehnk aber .immer
dringlicher ertönenden Ruf nach einer grundsählichen
iAmstellung der Ankerrichksgesinnung Überhörk oder
svielleichk auch angenommen, eS handle sich dabei um
-eine vorübergehende, vom „Erpressionismus" verur-
! sachke Modeskrömung. 3n den selkensten Fällen waren
' auch Führer, ekwa Borgesehke, „Zeichenberater" da,
- dic uns häkten beraken und weikerführen können.
(Wenn einmal eine Geschlchke der Not unseres Stan-
des geschrieben werden sollke,-wäre auch auf dieses
vielfache Bersagen der Leiker des Zeichenunterricdks-
wesens hinzuweisen. „löhr führk ins Leben ihn hin-
eln, Ihr laszk den Armen schuldig werden, dann über-
laht ihr ihn der Pein . . .")
Welche Aeberraschung, ja Bestürzung musz es nun
bei vielen Amtsgenossen verursachen, auf einmal
Worte zu vernehmen, wie die: „Kunst ist nicht Dar-
stellung von Natur, sondern Geftaltung" oder„Richtig
im Sinne eines nakurwissenschaftlichen" Wirklichkeits-
begriffes ist etwas anderes als richkig im Sinne bil-
dender Kunst. c!in Sinne bildender Kunst ist nur das
richtig, was einheitlich geskaltet ist", oder „das
Nakurskudium unserer Kunstschulen führt in der
Regel nichk zur Kunst, weil es nicht der Erarbeitung
von Borftellungszusammenhängen dient. Die all-
gemeine Meinung, dasz solches Tun, das im Grunde
seines Wesens unkünstlerisch ist, dennoch nökig sei
zur Erarbeikung des Borstellungsbesihes, dessen der
Künstler bedürfe, beruht auf einem clrrkum" (siehe
Gustaf Britsch)!
Müssen solche Worte manchen unker uns nicht wie
Hammerschläge in den Ohren klingen, die das
Anterrichtsgebäude zerschmettern, in dem man sich
so manches llahr schon wohnlich, vertrauk und ruhe-
voll eingerichtet hatke?!
Damit ist die jehige Not vieler unserer Amts-
genossen gekennzeichnek, eine Not, die nur durch
gründliches Amlernen behoben werden kann. Doch
nicht dadurch etwa, dasz man sich der „Britsch-
Theorie" besinnungslos !n die Artne wirft, alles von
ihr erhoffend. Es ist heute dringend notwendig —
Frih hak es schon in Heft 8 gekan — zu warnen:
Diefe „Theorie" ist nichts anderes, als was sie sein
will: eine Erkenntnistheorie der bildenden Kunst, sie
ift also keine Theorie oder gar Methodik des Anter-
richks im bildnerischen Gestalten.
Umlernen!
Anser Arbeitsgebiet bedarf nicht nur einer neuen
ktinstlerischen Erkenntnisgrundlage, sondern ebenso,
ja noch mehr einer neuen seelenkundlichen Vegrün-
dung. Diese künstlerischen und seelenkundlichen und
allgemein erkennkniswissenschaftlichen Grundlagen,
deren wir bedürfen, sind schon da. Dajz sie uns ge-
rade heute geworden ist, ist kein Zufall, sondern im,
„Paideuma" unserer Zeit begründek, wie Leo Frobe- s
seien, während es im Sinne der Kunst lediglich Anf-
gnbe des Beschnuers sei, sich dns, wnS der Seele n e u
cnkgegenkreke voll nnzueignen.
Wir erinnern uns, dnsz die Kunst der Primikiven
oder der Erpressionilten in einer reich ausgebildeten
Bildersprache die Einzelzustände einer Bewegung
bildlich wiedergegeben hak, um den Bewegungsablauf
zu veranschaulichen. Mns Lessing also dazudenken
läszt, ist hier meist schon dnzugezeichnet. Snndro Vok-
ticelli skellt in einer Zeichnung Danke in der Anter-
welt mik zwei Köpsen dnr, um die Anrast beim Er-
blicken der kauseichfältigen Eindrücke zu schildern.
Der Bamberger Reliefkünstler drehk den Oberkörper
seines hefkig debntkierenden Apostels in der Hüfke nus
einer reinen Borwärtsbewegung der unteren Körper-
hälfte in eine völlige Rllckwärtswendung. Bon Marc
Chagall kennen wir mehr als ein Bild, das Figuren
mkt Doppelköpfen, mit Wiederholungen des eigenen
3chs usw. zeigt. Wenn diese einst nakürliche Bild-
sprache in der modernen Kunst häufig zu einem raffi-
nierten Neporkerstil geworden ist, so können wir ge-
rade dnrin drastisch die Absicht zum Ausdruck gebrachk
sehen, die Zeit auch in der Bildkunst zu überwinden.
(Schlusz folgt.)
Lheorie und Praxis
Ein Work zu dem Aufsah von E. Behler-Frankiurt a. M. Heft 10
Bon G. Kolb.
llch begrüsze die vorausgegangenen Ausführungen.
Wir können dle heuke für uns im Bordergrund
stehenden Frngen nicht sachlich und ruhig genug
erörkern, damik Klärung und womögllch Einigung
erzielt wird. Dasz es sich nicht um Einigung in metho-
dischen Fragen im engeren Sinne handeln knnn —
das wäre auch gar nichk erstrebenswert — sondern
nur um dns Grundsähliche, sehe ich voraus. Dazu
möchken auch die nachfolgenden Worke helfen.
Zunächst, es ist wahr: die Lage vieler unserer
Amksgenossen lsk recht schwierig geworden. Was
heuke von unS verlangk wird, wenn man den „Anker-
richt im Gesknlten" forderk, ist vielfnch eine völlige
^ Ilmkehrnng dessen, wns wir wührend unserer beruf-
s lichen Borbildung gelehrt wurden. Iin Alittelpunkt
des Studienplanes ünserer Kunstlehranstalten skand
ehemals sund steht vielfnch auch heute noch) das auf
anntomische Richkigkeit abzielende WahrnehmungS-
sludium. Der „Wahrnehmungsakt" (nicht der „Bild-
akk", wie Prof. Adolf Hölzel forderke) war und ist —
abgesehen von Ausnahmen — der Kern dieses Sku-
diums. Dieses Bemühen nahm man als künstle-
risches Schaffen, und wir überkrugen es, als wir ins
Lehramk einkraken sinngemäsz auf den eigenen Ilnter-
richt. Wir glaubken alle wohl einmal tich schliesze
mich selbstverständllch ein), ein Ankerricht, der das
auf „Richkigkeik" abzielende Abbilden der Gegen-
skände lehre, wäre an sich schon Kunskunkerricht.
llm Vanne mühevoller täglicher Pflicht, abseits auf
einsamem Posken, hat wohl mancher Ämksgenosse
den schon lange, seit einem clahrzehnk aber .immer
dringlicher ertönenden Ruf nach einer grundsählichen
iAmstellung der Ankerrichksgesinnung Überhörk oder
svielleichk auch angenommen, eS handle sich dabei um
-eine vorübergehende, vom „Erpressionismus" verur-
! sachke Modeskrömung. 3n den selkensten Fällen waren
' auch Führer, ekwa Borgesehke, „Zeichenberater" da,
- dic uns häkten beraken und weikerführen können.
(Wenn einmal eine Geschlchke der Not unseres Stan-
des geschrieben werden sollke,-wäre auch auf dieses
vielfache Bersagen der Leiker des Zeichenunterricdks-
wesens hinzuweisen. „löhr führk ins Leben ihn hin-
eln, Ihr laszk den Armen schuldig werden, dann über-
laht ihr ihn der Pein . . .")
Welche Aeberraschung, ja Bestürzung musz es nun
bei vielen Amtsgenossen verursachen, auf einmal
Worte zu vernehmen, wie die: „Kunst ist nicht Dar-
stellung von Natur, sondern Geftaltung" oder„Richtig
im Sinne eines nakurwissenschaftlichen" Wirklichkeits-
begriffes ist etwas anderes als richkig im Sinne bil-
dender Kunst. c!in Sinne bildender Kunst ist nur das
richtig, was einheitlich geskaltet ist", oder „das
Nakurskudium unserer Kunstschulen führt in der
Regel nichk zur Kunst, weil es nicht der Erarbeitung
von Borftellungszusammenhängen dient. Die all-
gemeine Meinung, dasz solches Tun, das im Grunde
seines Wesens unkünstlerisch ist, dennoch nökig sei
zur Erarbeikung des Borstellungsbesihes, dessen der
Künstler bedürfe, beruht auf einem clrrkum" (siehe
Gustaf Britsch)!
Müssen solche Worte manchen unker uns nicht wie
Hammerschläge in den Ohren klingen, die das
Anterrichtsgebäude zerschmettern, in dem man sich
so manches llahr schon wohnlich, vertrauk und ruhe-
voll eingerichtet hatke?!
Damit ist die jehige Not vieler unserer Amts-
genossen gekennzeichnek, eine Not, die nur durch
gründliches Amlernen behoben werden kann. Doch
nicht dadurch etwa, dasz man sich der „Britsch-
Theorie" besinnungslos !n die Artne wirft, alles von
ihr erhoffend. Es ist heute dringend notwendig —
Frih hak es schon in Heft 8 gekan — zu warnen:
Diefe „Theorie" ist nichts anderes, als was sie sein
will: eine Erkenntnistheorie der bildenden Kunst, sie
ift also keine Theorie oder gar Methodik des Anter-
richks im bildnerischen Gestalten.
Umlernen!
Anser Arbeitsgebiet bedarf nicht nur einer neuen
ktinstlerischen Erkenntnisgrundlage, sondern ebenso,
ja noch mehr einer neuen seelenkundlichen Vegrün-
dung. Diese künstlerischen und seelenkundlichen und
allgemein erkennkniswissenschaftlichen Grundlagen,
deren wir bedürfen, sind schon da. Dajz sie uns ge-
rade heute geworden ist, ist kein Zufall, sondern im,
„Paideuma" unserer Zeit begründek, wie Leo Frobe- s