A. Böcklin „Spiel der Wellen"
Von S o m m e r - Gcindersheim.
„Betrachtuiigeii beim Kopieren" müszke die Ileber-
schrift lciuteii. Es kommt beim Veschciuen voii Kuiist-
iverken dcircmf an, mit wus fiir Augeii maii die-
selbe» siehl.
Fiir deu Kuiistpcidagogeii ist es interessaiit, als
Kopist vor eiiiem groszeii Aleisteriverke der Kuiist
seiue Veobachtuugeu zp macheii. Da ist zunächst das,
ivas maii um sich herum hört, vou 2uteresse.
Auffüllig ist der gerliige Vesuch solcher Kuust-
stälteii, ivie die Piiinkothekeu Üii Alüiicheu, die doch
wnhrlich des Wallfahrteus iu heilige Tempel wert
siud. Wir lebeu i» der Zeil des Vopeus, uud Kuust
dieut alleufalls der allgemeiiieu Vilduug. DieS uud
üas musz maii keuueii, uud weuu uiau Neproduk-
tioiieu geseheu hat, so ist eiuer Pflicht Geulige ge-
scheheu.
Die meisteii Besucher im 3uli wareu — Ausläuder.
?lber die dlrt des Aesuchs war so, dasz vou sichtlichem
Geiiieszeu uud iuuerer Audacht uichts zu spüreu war.
Schwaszeud uud geräuschvoll uahke ab und au eiu
Trupp Meuscheu. Drollig, iu wieviel Ausspracheu
das Wort „Böckliu" geiiaiint wurde. 2ch verstand
uichk die weuigeii Aemerkuiigeii der Ausläuder, aber
sle werdeu wohl ähulich deueu der deutscheii Ae-
sucher geweseu seiu: „Sieh uur das geile Gesicht
deS Kerls uiikeu," „Veiuah uunustäudig", „tzm,
Vöckliu kouute was", „O, so grosz, das Vild wird
uicht billig seiu", „Eigeutlich uuuatürlich, solcheS
Wasser gibts gar uicht", „Warum er der eiuen
Nixe eiueu Fischleib gemalt uud der audern Beiue",
„die gloszeude Leiche kouuke wegbseibeu, sie verdirbt
deu schöueu Mädcheukopf". Dauebeu auch Urteile
wie „Eiu lustiges Spiel", „Sjeh uur, wie sie fliehen
vor dem Kerl da obeu", „wundervoll", „wird uie zum
Kilsch gezählt werüeu" u. a. Doch selteu geschah eS,
dasz jemaud weilte uud geuieszeud uud andächtig
schauke. Es wareu dies eutweder Alte oüer gauz
3uuge. Besouders die letzkereu standen oder saszeu
mit Augeu, die verrieteu, datz das Kuustwerk auf
sie wirkke, dasz sie das Gefühl hatteu, vor etwas
Groszem (in bezug auf iuuereu Wert) zu weilen. Das
war wohltuend: deuu es bewies, dafz im uubeein-
fluszkeu, uakürlichen Meuschen die Ehrfurcht vor der
Kuust steckt, die ihm ekwas zu, gebeu vermag. Die
Freude au der Farbe, am Objekt, die Vewun-
deruug für deu Meister, der das schuf.
Gerade dem Kuusterzieher gibk diese Beobachkuug
zu deukeu. Warum lieszeu es die uiitteu im Leben
Skeheudeu bei eiuer zusauimeufasseudeu Bemerkung
beweuden? Warum verweilteu sie uichk? Wareu
sie geuuszuufähig? Wareu sie übersättigt? Hakkeu sie
lieiue Zeit?
Das Letzkere ist gauz bestimmk einer der Griiude.
tzu kurzer Zeit viel seheu uud daher uichks seheu,
sknkk eiuige weuige Werke, die zum eigeneu Inneren
sprecheu, herauszusucheu uud bei ihnen'zu verweilen.
Eiue driugeude Aufgabe ergibk sich aus diesen
Lrscheiuuugeu: die uakürliche Aulage im juugeu
Meusche». so zu leikeu, dasz Geiiuszmeiischeu heran-
wnchseu, uichk Wisseude, souderu Sehenoe.
Damit ist gar uichts erreicht, wenn im Wiuter iu
Gesellschafte» auch mal iu veraltetem Gleise über
Kuust gesprocheu wird uud uiau uichks weiter sageu
knuu, alS: „tza, das kenu ich auch, im vorigeu
Sommer wareu wir iu der Neueu Piuakothek,
wuudervoll."
Vielleicht hat die fast offeue Verlegenheik dazu
geführk, dasz man diese Theuieu meidet uud sich lieber
Schmeling zuwendek oder deu Kaualschwimmeriuueu
uud Sechstagerenuen uud Pferdereniien uud Fusz-
ballmeisterschafteu uud Teiinisweltmeisteriuneu usw.
All das streugt weder deu Geist nu, uoch brauchl
das tzunere gewaltsam verbogeu zu werüeu. Nlau
liebt das Gesuude uud ist damit auf der Höhe. Noch
leben wir iu einer Zeit, da Gemütswerte iu daS
Kapitel „Gefühlsduselei" eiugereiht werden: deuu
das musz der tzugeud abgewöhut werdeu, damit sie
uicht verspottet und verlacht wird.
So die alke Schule. Ob die ueue Waudel schafst,
ob sie Geuieszer schaffk? Oder schafft sie selbst-
gefällige Meuschen, die das Wort „Kitsch" selbst-
Herrlich im Muude führen, die alles besser köuueu
als die groszeu Meister? Sagte man ihueu nicht, datz
iu jedem Kiude eiu Küusiler steckt, datz ihr frühesteS
Gestnmmei „Kuust" war, dasz alles, was irgeud eiueui
Diuge auf der Welt ähnlich sieht, Kitsch sei: deuu
Naturzeichueu uud -mcileu takeu uur die Alten, die
Verrosteten, die Mlnderwertigeu.
Treibt solche Kuustpädagogik uichk direkt dazu,
deu Tempeln der Kuust im groszeu Bogeu auszu-
weichen, da dort nur „Kitsch" aufgestapelt sei. Welche
Offeubaruug, welch Erlebuis liegt da nichk iu der
geschweifteu Linie mik eiuigeu Zackeu drau uud mit
eiuer rokeu Kugel ünuebeu. Das ist Kuust. Das ist
eiu Erlebuis. WaS solleu wir mit deu laugweiligeu
Porträts iu deu Aiuseen, so eiu explodierter Kopf,
wo eiu Auge uukeu, eius obeu uud die Geistesblihe
aus deu zertrümmerteu Schädelteilen sichtbar wer-
den, das ist eiu Erlebuis, etwaS Groszes. Dahin laszk
uus uusere ckigeud führen, auf dasz sie schöpferisch
gestalte, weil „uur der Ausdruck vouuöteu ist, der
für den Eindruck auf Meuschen gestaltet ist," uud
weil „der Ausdruck au sich nicht gestalteud ist, schou
nichk, weil er allzusehr uud allzuoft an der Gestnl-
tuug vorbeigeht, der Ausdruck musz gestaltet, also
„gestalteker" Ausdruck seiu, wenn er Eiudruck macheu
soll. Und darstelleuder Ausdruck? Darstelluug ist
uicht Ausdruck im Slune des AuSdrucks, der für den
Eindruck auf Meuscheu gestaltet ist; deuu Ausdruck
als „blxprssslo" — ich drücke aus, geht mit oder
ohue Willen über Darstelleu hiuweg — Lxprsssio
Ist wie linprsssio — ich drücke eiu", doch erst beeiu-
drückeud, weuu Gestaltuug sie hoch hebk. 3st der
Ausdruck „Ausdruck" iu der Verbiuduug „darstelleu-
der Ausdruck" also passeud? usw. So siehk derWeg
eiuiger uusrer Kuusterzieher aus. Wie wird die so
erzogeue lZugeud sich zum „Spiel der Welleu" stelleu?
Nuu, eiues ist gewisz. Auser Böckliu hak siäz be-
stimmt keiue Kopfschmerzeu gemacht über gestalteu,
auSdrückeu, gestalteudes AuSdriickeu usw., souderu
Von S o m m e r - Gcindersheim.
„Betrachtuiigeii beim Kopieren" müszke die Ileber-
schrift lciuteii. Es kommt beim Veschciuen voii Kuiist-
iverken dcircmf an, mit wus fiir Augeii maii die-
selbe» siehl.
Fiir deu Kuiistpcidagogeii ist es interessaiit, als
Kopist vor eiiiem groszeii Aleisteriverke der Kuiist
seiue Veobachtuugeu zp macheii. Da ist zunächst das,
ivas maii um sich herum hört, vou 2uteresse.
Auffüllig ist der gerliige Vesuch solcher Kuust-
stälteii, ivie die Piiinkothekeu Üii Alüiicheu, die doch
wnhrlich des Wallfahrteus iu heilige Tempel wert
siud. Wir lebeu i» der Zeil des Vopeus, uud Kuust
dieut alleufalls der allgemeiiieu Vilduug. DieS uud
üas musz maii keuueii, uud weuu uiau Neproduk-
tioiieu geseheu hat, so ist eiuer Pflicht Geulige ge-
scheheu.
Die meisteii Besucher im 3uli wareu — Ausläuder.
?lber die dlrt des Aesuchs war so, dasz vou sichtlichem
Geiiieszeu uud iuuerer Audacht uichts zu spüreu war.
Schwaszeud uud geräuschvoll uahke ab und au eiu
Trupp Meuscheu. Drollig, iu wieviel Ausspracheu
das Wort „Böckliu" geiiaiint wurde. 2ch verstand
uichk die weuigeii Aemerkuiigeii der Ausläuder, aber
sle werdeu wohl ähulich deueu der deutscheii Ae-
sucher geweseu seiu: „Sieh uur das geile Gesicht
deS Kerls uiikeu," „Veiuah uunustäudig", „tzm,
Vöckliu kouute was", „O, so grosz, das Vild wird
uicht billig seiu", „Eigeutlich uuuatürlich, solcheS
Wasser gibts gar uicht", „Warum er der eiuen
Nixe eiueu Fischleib gemalt uud der audern Beiue",
„die gloszeude Leiche kouuke wegbseibeu, sie verdirbt
deu schöueu Mädcheukopf". Dauebeu auch Urteile
wie „Eiu lustiges Spiel", „Sjeh uur, wie sie fliehen
vor dem Kerl da obeu", „wundervoll", „wird uie zum
Kilsch gezählt werüeu" u. a. Doch selteu geschah eS,
dasz jemaud weilte uud geuieszeud uud andächtig
schauke. Es wareu dies eutweder Alte oüer gauz
3uuge. Besouders die letzkereu standen oder saszeu
mit Augeu, die verrieteu, datz das Kuustwerk auf
sie wirkke, dasz sie das Gefühl hatteu, vor etwas
Groszem (in bezug auf iuuereu Wert) zu weilen. Das
war wohltuend: deuu es bewies, dafz im uubeein-
fluszkeu, uakürlichen Meuschen die Ehrfurcht vor der
Kuust steckt, die ihm ekwas zu, gebeu vermag. Die
Freude au der Farbe, am Objekt, die Vewun-
deruug für deu Meister, der das schuf.
Gerade dem Kuusterzieher gibk diese Beobachkuug
zu deukeu. Warum lieszeu es die uiitteu im Leben
Skeheudeu bei eiuer zusauimeufasseudeu Bemerkung
beweuden? Warum verweilteu sie uichk? Wareu
sie geuuszuufähig? Wareu sie übersättigt? Hakkeu sie
lieiue Zeit?
Das Letzkere ist gauz bestimmk einer der Griiude.
tzu kurzer Zeit viel seheu uud daher uichks seheu,
sknkk eiuige weuige Werke, die zum eigeneu Inneren
sprecheu, herauszusucheu uud bei ihnen'zu verweilen.
Eiue driugeude Aufgabe ergibk sich aus diesen
Lrscheiuuugeu: die uakürliche Aulage im juugeu
Meusche». so zu leikeu, dasz Geiiuszmeiischeu heran-
wnchseu, uichk Wisseude, souderu Sehenoe.
Damit ist gar uichts erreicht, wenn im Wiuter iu
Gesellschafte» auch mal iu veraltetem Gleise über
Kuust gesprocheu wird uud uiau uichks weiter sageu
knuu, alS: „tza, das kenu ich auch, im vorigeu
Sommer wareu wir iu der Neueu Piuakothek,
wuudervoll."
Vielleicht hat die fast offeue Verlegenheik dazu
geführk, dasz man diese Theuieu meidet uud sich lieber
Schmeling zuwendek oder deu Kaualschwimmeriuueu
uud Sechstagerenuen uud Pferdereniien uud Fusz-
ballmeisterschafteu uud Teiinisweltmeisteriuneu usw.
All das streugt weder deu Geist nu, uoch brauchl
das tzunere gewaltsam verbogeu zu werüeu. Nlau
liebt das Gesuude uud ist damit auf der Höhe. Noch
leben wir iu einer Zeit, da Gemütswerte iu daS
Kapitel „Gefühlsduselei" eiugereiht werden: deuu
das musz der tzugeud abgewöhut werdeu, damit sie
uicht verspottet und verlacht wird.
So die alke Schule. Ob die ueue Waudel schafst,
ob sie Geuieszer schaffk? Oder schafft sie selbst-
gefällige Meuschen, die das Wort „Kitsch" selbst-
Herrlich im Muude führen, die alles besser köuueu
als die groszeu Meister? Sagte man ihueu nicht, datz
iu jedem Kiude eiu Küusiler steckt, datz ihr frühesteS
Gestnmmei „Kuust" war, dasz alles, was irgeud eiueui
Diuge auf der Welt ähnlich sieht, Kitsch sei: deuu
Naturzeichueu uud -mcileu takeu uur die Alten, die
Verrosteten, die Mlnderwertigeu.
Treibt solche Kuustpädagogik uichk direkt dazu,
deu Tempeln der Kuust im groszeu Bogeu auszu-
weichen, da dort nur „Kitsch" aufgestapelt sei. Welche
Offeubaruug, welch Erlebuis liegt da nichk iu der
geschweifteu Linie mik eiuigeu Zackeu drau uud mit
eiuer rokeu Kugel ünuebeu. Das ist Kuust. Das ist
eiu Erlebuis. WaS solleu wir mit deu laugweiligeu
Porträts iu deu Aiuseen, so eiu explodierter Kopf,
wo eiu Auge uukeu, eius obeu uud die Geistesblihe
aus deu zertrümmerteu Schädelteilen sichtbar wer-
den, das ist eiu Erlebuis, etwaS Groszes. Dahin laszk
uus uusere ckigeud führen, auf dasz sie schöpferisch
gestalte, weil „uur der Ausdruck vouuöteu ist, der
für den Eindruck auf Meuschen gestaltet ist," uud
weil „der Ausdruck au sich nicht gestalteud ist, schou
nichk, weil er allzusehr uud allzuoft an der Gestnl-
tuug vorbeigeht, der Ausdruck musz gestaltet, also
„gestalteker" Ausdruck seiu, wenn er Eiudruck macheu
soll. Und darstelleuder Ausdruck? Darstelluug ist
uicht Ausdruck im Slune des AuSdrucks, der für den
Eindruck auf Meuscheu gestaltet ist; deuu Ausdruck
als „blxprssslo" — ich drücke aus, geht mit oder
ohue Willen über Darstelleu hiuweg — Lxprsssio
Ist wie linprsssio — ich drücke eiu", doch erst beeiu-
drückeud, weuu Gestaltuug sie hoch hebk. 3st der
Ausdruck „Ausdruck" iu der Verbiuduug „darstelleu-
der Ausdruck" also passeud? usw. So siehk derWeg
eiuiger uusrer Kuusterzieher aus. Wie wird die so
erzogeue lZugeud sich zum „Spiel der Welleu" stelleu?
Nuu, eiues ist gewisz. Auser Böckliu hak siäz be-
stimmt keiue Kopfschmerzeu gemacht über gestalteu,
auSdrückeu, gestalteudes AuSdriickeu usw., souderu