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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 9.1929

DOI Heft:
Heft 3 (März 1929)
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Kolb, Gustav: Von unserer Vereinsamung
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https://doi.org/10.11588/diglit.27999#0061

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Deutsche Blätter sür Zeichen-Kunst- und Werkunterricht

Zeitschrift des Reichsverbandes akad.geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrertnnen

Derantwortlich für dte Schrtfkieitung: Professor Gustav Kolb, Stuttgart
Druck und Verlag: Lugen hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestratze 18
Für Besprechungsexcmplare, Niederschriften oder anbere Sinsendungen srgendwelcher Art
wird esne Derantworilichkeit nur dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind
Schreibt sachlich klar und einsach! Meidet alle entbehrlichen Fremdwörter!

Von unserer Vereinsamung. Von G. Kolb — Äber die Krisis der Pubertät und ihre Aberwtndung im
Zeichen-- und Kunstunterricht. Von Heinrich Schäfer, Simmern. — Aber den Zusammenhang zwischen Mustk
und bildender Kunst. iSchluß). Von Hans Keller, Stuttgart. — Wer soll den Kunstunterricht erteilen?Bon
Hans Herrmann, Werl (Westf.) — Kinder als Farbenhörer. Von Oswald Zienau. — Der Rauch unserer
Fabriken. Von Walter Lange, Göppingen. — Dte Zeit 1917 bis 1928. Von Dr. Karl v- Lorck. Gestalten
und Schmücken. Von Wargot Grupe. — Internaiionale Dereinigung für Kunstunterricht. Don Ernst Fritz,
Dortmund. — Umschau. — Sprechsaal. — Buchbesprechungen. — Inserate.

9. Iahrqang März 1929 tzest 3

Von unserer Vereinsamung

Im Geleitwort des lehten Hefies sprach ich am
Schluh von unserer Vereinsamung. Diese Verein-
samung des Zeichenlehrers innerhalb der höheren
Schule und ihrer Lehrerschaft ist wirklich da, und
kaum einer von uns wird sie nicht schon schmeczlich
empfunden haben. Sie ist — normale Verhältnisse
vorausgeseht — weder von der einen noch von der
anderen Seite gewollt oder gar absichtlich verschuldek.
Sie ist vielmehr in Berhältnissen begriindet, auf die
wtr keinen Einfluh haben. Durch persönliche Bezie-
hungen kann sie wohl gemildert, aber nicht aus der
Welk geschafft werden.

Eigentlich sollke die Lehrerschaft aller Schulen und
Schularten, im Hinblick auf das einheitliche Ziel der
Erziehung unserer äugend, eine innere Gemeinschafi
bilden. Darüber sprach ich früher schon einmai. Aber
davon sind wir in Wirklichkeik, wie jeder sehen kann,
weit entfernt. Diese Gemeinschast ist nichk einmal
innerhalb der Lehrerschaft der einzelnen Schulen und
Schularten vorhanden. Hier zeigt sich eben, abgesehen
von menschlichen, allzu menschlichen Triebfedern, Lie
Zerrissenheit unseres Bildungswesens und unserer
Schulgesinnung als getreues Spiegelbild der Bll-
dungskrisis unserer Zeit, die wiederum nur ein Teil
unserer allgemeinen Kulturkrisis ist.

Die Gemeinschaft der Lehrer der höheren Schulen
ist zudem durch ihre Spaltung in verschiedene Fach-
gebieke gefährdet. Wie groh ist da die Gefahr, das
Bildungsgut, das man selbst verkritt, im Gegensah
zu den anderen Schulfächern einseikig zu werten!
Man spürt es wohl, wie dte Berbreter der verschie-
denen Fachgruppen enger zusammenrücken, unker sich
einen geschlossenen Block bilden, wenn Entscheidun-
gen in Werkungsfragen der einzelnen Fächer zu tief-
fen sind. Die Frage nach dem Bildungswert
der einzelnen Fächer, die die Kernfrage sein sollke,
trilk bei solchen Enkscheidungen, die häufitt durch Ab-
stimmungen, also Lurch Mehrheiisbeschlüsse getrof-
fen werden, allzuleicht in den Hintergrund.

Wer ist nun bei solchen Abstimmungen übler daran
als die Vertreter der Künste! Sie stnd in dsr Min-
derheit innerhalb der Lehrerschaft der HLHeren Schule
und haben bei Wertungsfragen für gewöhnllch auf
keine Ankerstützung zu rechnen. So geht es nur allzu-
oft, wie Dr. S. Echwarz, der Direktor der Domreal-
schule in Lübeck, einmal ausführte: ,Da dle Ber-
treker der wistenschaftlichen Fächer bei der Abstlm-
mung über die Wertung der einzelnen Fächer unter
sich waren, vergah man eben das Zeichnen."

Kann man die Vereinsamung des Zeichenlehrers in-
nerhalb der höheren Schule kreffender lns Llcht stellen!

Damik ist auch die überaus schwierige Skellung
des Zeichenlehrers im Lehrerrat gekennzelchnet. 2n
mikkleren und kleineren Städken ist er oft dgr einzlge
Bertreter seines Faches. And wenn er in der Hand-
habung des Wortes nicht geschickt ist, so kann er
eine klägliche Rolle spielen. Dabei muß noch bedachk
werden, dah es eigentlich natürlich begründek ist, wenn
er nicht workgewandt ist. Wer durch Beranlagung,
Borbildung und Beruf im bildhafken Drnken, Bpr-
stellen und Gestalten verwurzelt ist, wer die Weit
und die Kultur durch dieses Mitkel erlebt und in stch
nachgestaltek, der kann das sprachlich begriffliche Ver-
ständigungs- und Ausdrucksmittel eben nlchk so be-
herrschen wie der Wissenschastler. Seine Stärke be-
ruht In der bildhasten inkuitiven Schau und dadurch
ist er, wie niemand besser wuhke als Goekhe, natur-
gemäß dem begrifflichen Denken und Formulteren
abgewandt.

Wir müsten uns heute mik der Andeutung dieser
psychologischen Tatsachs begnügen, die den Zeichen-
lehrer, abgesehen von allen beruflichen Gestchtspunk-
ten, auch persönlich und menschlich verelnsamk. Doch
kann diese Bereinsamung auch wieder eine Quelle
von Kräften und Erkennknisten sein. Sagk doch schon
Lionardo, der Maler und Zeichner soll einsam sein:
„Nur wenn man allein ist, gehört man flch völlig an."

G- Kolb.
 
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