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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 9.1929

DOI issue:
Hetf 10 (Oktober 1929)
DOI article:
Klauss, Otto: Was bedeutet uns Lessings Laokoon heute noch?, [1]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.27999#0273

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262

limgen ausdriicken will, so darf Birgil seinem Lao-
lloon unbedenklich den höchsten Äusdruck geben, ohne
dem eigensten Gesehe der Poesie zu schaden.

Hätte aber schon daS Schreien des Laolroon auch
der Schönheit des Bildwerkes nicht geschadet, fährt
Lessing fort, so hätke der Bildlrünstler zum anderen
beachten mtissen, dasz felne Kunst, die doch fllr die
Dauer geschafsen sei, alles zu vermeiden habe, was
nur einem einzigen Augenbliclr angehöre. Für
ihn gelte als zweites wichtiges Geseh: „Alles
„T r a n s i t o r is ch e", Aaschvorüberge-
hende ist von derWiedergabe in der
Bild.lru n st au s g e s ch l o s s en." Dazu gehöre
eben der Schmerz, der in Skein verewigt unerkräg-
lich oder lächerlich wirlren mllsse und auszerdem in
der Darstellung des höchsten Asfelrtes keine Skeige-
rung mebr zulasse und darum einen „unfruchkbaren
Akoment" aufweise. Das Mitgefllhl, das der Kllnst-
ler allenfalls dabel erwecke, sei der Kunst weniger
wichtig als die Hochachtung vor dem Werk.

Der Dichtlrunst erwachse diese Bindung nicht, da sie
den Borgang in der Äarstellung so rasch abwickeln
könne als die Wirklichkeit selbst und darum alle Un-
erträglichkeiten vermieden seien, weshalb wieder
Birgil seinen Laoiroon ungehemmt schreien lassen
lrönne.

Zusammenfassend stellt nun Lessing zunächst fest,
daß der gemeinsame Bildvorwurs beider Künstler
rein zufällig ist. Beide Kllnste können sich wohl im
gemeinsamen Stoff treffen, ohne gleichförmig zu wir-
ken oder in den Äerdacht der Nachahmung zu lrom-
men. Ihre Verschiedenheit setzt erst ein mit der be-
sonderen Art der Aehandlung und im verschiedenen
Gebcauch der Miktel. Diese Lrkenntnis wertet er zu
einem Borstosz gegen den Krikiker Caylus aus, dem
er nachweist, datz die Erfindung des Skoffes (wor-
unter er die Ausfindung versteht), das kleinste Ber-
dienst ües Kiinstlers sei. Das Wesen der Bildkunst
mache diesem oft unmöglich, gerade die schönsten Ge-
mälde deS DichterS nachzuahmen, während e i n bild-
hafteS Wort eine reiche malerische Kompositlon zu er-
geben vermöchte. 2n scharfer Weise wendet er sich
gegen die Sucht, Homer und die Alten auszubeuten
an Bildvorwürfen, da die Gegenwart mehr als genug
biete. Ilnd im Zusaminenhang damit erwirbt er jich
unsern Dank, indem er gegen die Allegoristerei seiner
Zeit wetterk, die sich nicht genug tun könne an Un-
verständlichkeiten.

Lkun hat sich Lelsing die Voraussetzungen erar-
beitet, die eine fruchtbare Ilntersuchung der Grenzen
von Malerei und Poesie ermöglicht. Der verschiedene
Darstellungswille beider Künste bedeutet eine grund-
sätzliche Einschräiikung, die Lessing folgendermaszen
gliederk: Die Malerei verwendet Zeichen räumlicher
Ordnuiig. Diesen Zeichen enksprechen Gegenstände
des Aaumes, also Körper. Die Malerei oehandelt
darum Körper und ihre besondere Aufgabe ist tzse
Darstellung der Schönhelt dieser Körper.

Die Poesie verwendek Zeichen zeitlicher Ordnung.
Diesen Zeichen enksprechen Gegenstände der Zeit-
foige, also Hnndluiigen, Äeweguiigen. Die Poesie be-
handelt darum Haiidlnngen.jind Bewegungen und es
ist Sache üer Dichker, dse Darstellung der Schönheit
In der Bewegung zu geben. (Aeiz.)

Aiideutungsweile kann die Malerei Bewegung
durch Körper schildern, die Poesie Körper durch Be-
weguiigen.

Das gemeinsame Gebiet beider Kllnste sind allo
„kollekkive Haiidlungen", d. h. solche, bei denen meh-
rere Personen zugleich bekeiligt sind. Ein Eingriff in
die Aechte der Malerei aber ist es, wenn die Poesie
Teile eines Gegenstandes oder Körpers, die zugleich
gesehen werden mützten, stiickweise aufzählt. Lessing
wendet sich damit gegen die Schilderungssucht seiner
schriftsteilernden Zeitgenossen.

Ein Eingriff in die Rechke der Poesie ist es, wenn
die Maler zwei nacheinanderfolgeiide Zeitpunkte in
einem Gemälde vereinigen.

Nach dieser notwendigen Wiedergabe einer Ueber-
sicht über den Gang der Lessingschen Antersuchung
gehen wir nun im einzelnen an die Beantwortung
unserer Hauptfrage in der Rejhenfolge der Gliede-
rung Lessings: „Was bedeuken uns die Begriffe Les-
sings von der Schönheit, von der Bewegtheit noq>
und wie stellen wir uns zu seiner Grenzziehung
zwischen Poesie und Malerel?"

Lessings grundsähliche Einstellung zur bildenden
Kunst tritt am deutlichsten >n Erscheinung im Haupk-
gesetze des Laokoon:

„Die höchste Aufgabe der bildenden
Kunst ist dieDarstellung der körper-
lichen Schönheit. tzn diesem einen Sahe
glaubte Lessing alles gesagt zu haben, was er für das
Wesentliche der Bildkunst hielt, was diese von der
Dichtkunst unterschied und sie — durch die Beschrän-
kung auf das Körperliche — dieser zugleich unkertan
machte. Die Gülkigkeit dieses inhaltsreichen Gesehes
erschien ihm dreifach erwiesen durch die unbedingte
Zustimmung Winkelmanns, durch den unantastbareii
künstlerischen Beleg der Laokoongruppe und durch
die zwingende Logik seiner eigenen philosophischen
Schluszfolgerungen. Das kühne Wagnis Lessings von
seiner ersken Festsehung, datz bei den Alten
Schönheit das höchsie Geseh der bilden-
den Kunst gewesen sei, zu dieser erweiterten, die
gesamke Bildkunst aller Äölker einbegreifenden Fas-
sung seines Gesetzes schien auch seiner Zeit durchaus
gegltickt zu sein. Erst die mannigfaltige Umordnung
aller bildktinstlerischen Erkennknisse seit Lessing, die
unter dem Eindruck der Neuentdeckung und Wieder-
elikdeckung anderer künstlerischer Zeiken und Bölker
vor sich ging, konnte den Glauben an das Dogma
erschlltkern, datz die körperliche Schönheit die vor-
nehmste Darstellungsaufgabe der Kunst sei. Die An-
tike, die für Lessing noch Miktelpunrk alles künst-
lerischen Geschehens war, erlebke durch bereichernoe
Ausgrabungen eine künstlerische und geistesgeschicht-
liche Neuwerkung und eine gesamtkrikische Ein-
gliederung in das Weltgeschehen. Der Werk und
die eigentliche Schönheit griechischer Kunst wurde an
den neuaufgefundenen Werken der 2. Hälfte des V.
und des VI. tzahrhunderks v. Chr. erkannt. Dabei
zeigte sich deutlicher als zuvor, datz die griechische
Kunst neben ihren idealisierenden auch stark realisie-
rende Skilperioden aufzeigte, und datz der griechische
Formwille am Geschmack verschiedenster Zeiten ge-
messen nur bedingk sich in das Geseh der Schönheik
einspannen lätzt. Zum mindesten aber sehen wir das
Ideal der Schönheit einer starken Wandlung unter-
worfen. Gerade der körperliche Schönheitskanon
des Laokoon, der Lessing gültig schien, häkke dem
SchönheikSempfinden der höchsten künstlerischen Zeiten
 
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