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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 9.1929

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Hetf 10 (Oktober 1929)
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Klauss, Otto: Was bedeutet uns Lessings Laokoon heute noch?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27999#0272

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261

cmS beantwortet zu hören. Mir inüssen mit Herder
erkennen: „WaS Lessing aus diesem Wege vom
Innern der Kunst findet, freillch nlmmt erS
auf: nber mir noch immer Lessing, der poetlsche
Kunstrichker, der sich selbsk Dichter fühlt."

DieGrenzen des Laokoon liegen dar-
u m nicht nur — wie wir noch hören werden —
in falschen hiskorischen Doraussetzun-
gen, in der v e r z e I h l i ch e n Unkenntnis
der Enkwicklung griechischer Kunst, in
der einseikigen Aevorzugung des An-
tiken vor dem Germanischen, sondern
vor allem in d,er falschen Grundein-
stellung Lessings zur bildenden Kunst
überhaupt. Der Lavkoon ist das Werk eines
Dichters und das Bekennknis eines Dichters zur
Dicht k u n st. Die Gefahr die Garve erkannte, datz
in der Sprache des Dichters „die Seele oft von ihrem
eigenen Lichke geblendet werde", sehen wir heute
deuklicher alS sene Zeit in der Berdunkelung der bild-
künstlerischen Angelegenheiten vor den poetischen.
Der Laokoon enkhält wohl Lessings Theorie der Bild-
kuust, aber nirgends ein Bekenntnis zu dieser
Kunst.

Lessing ist ein Lharakker und ein Bekenner. Was
er schrieb, erlebke er und er schrieb nur was er
glaubke. Äber Lessing war ein Berstandesmensch und
sein Geist grotz geworden in einer rationalistischen
Zeik. Es ist ihm wirklich ernst, wenn er Winkelmann
zurufk, dajz man auch durch blotze Schlüsse auf das
Gesetz der Schönheit kommen könne. Folgerichkig
sucht er den Begriff der Kunst nicht durch Änschau-
ung, sondern durch begriffliches Denken. Die Lao-
koongruppe ist ihm nichk Erlebnis, sondern Gegen-
stand wissenschaftlicher Denkarbeik. Wir sehen den
gelehrken Liebhaber vor dieser Vliike der Äildkunst
— Lesling uimmk sie für die schönste, die griechische
Kuust hervorbrachte — Unkersuchungen anttellen nach
Herkunft, Bau, Ark und Zweck. Der Philosoph in
ihm suchk ihre metaphysische'Wurzel, der Historiker
dte geschichklichen Bindungen, der Forscher den Auf-
bau zu ergründen, und der Kunstrichker ordnet sie nuk
dem ganzen Scharfsinn seiner Logik nach Linie und
Form den Künsken ein. llhres Duftes aber hat er
keinen Hauch verspürti

Wir spllren nichk den Zauber der Wirkung auf ihn,
den dieses Werk »erskändlicherweise auf die Men-
schen der klassischen Zeiken ausübke, wir hören nicht
die Lrgriffenheit Michelangelos, Winkelmanns und
Herders aus seinen Worken sprechen und sehen ihn
so gefiihlsarm vor diesem Werke stehen, wie vor all
den Bildwerken in Dresdeu, Nom und Beapel, über
die seine Äeisekagebücher sich gelangweilt ausschwei-
gen. Lessing isk Aesthekiker, aber er.isk nlcht cmpfäug-
lich für das Vild künstlerische. llene innere Bereik-
schaft und Einfühlungsfähigkeit, die Boraussetzuug
isk, um zur Kunsk zu kommen, mangelt ihm mehr, als
ivir uns zugestehen wollen.

Hier liegen die Grenzen seiner persönlichen Be-
gabung und die tieferen Ursachen der Begrenztheil
aller kunstkritischen Erkennknisse im Laokoon. Hier
' finden wir zugleich die Greuzen -deL Laokoon als
philosophlschem Werk.

Wo der Schöpfer eines solchen Werkes nicht sein
ganzes Lebensgefühl ausskrömk, sich selM, gleichsam
seine Menschlichkeik aufgibk, wird seine Weltanschau-

ung immer nur Zeitanschauung bleiben und vergäng-
lich sein. Lessings Genius versagte in dieser einen
Seite seines Wesens; darum kann der Laokoon wohl
weikerwirken in seiner literarischen Form, seine Er-
kenntnisse vom Wesen der Bildkunst aber mllssen
seiner Zeit verhafket bleiben.

*

Wir haben nach einer kurzen Ilnkersuchung der
Vedeukung des Laokoon für seine Zeik versucht, seine
Bedeukung für uns zuerst im allgemeinen abzulesen
an seiner likerarischen Form und seine Grenzen auf-
zufinden in der Bedingtheik der Zeikanschauung, die
sich im Laokoon spiegelk und in der Bedingtheit der
PersönlichKeit Lessings. Wenn wir nun in unserer
Detrachkung weikerschreiten zur Untersuchung der be-
sonderen Bedeutung des kunstkrikischen Gehalts
dieser Schrift, so wird sich zunächst die Nokwendigkeit
ergeben, zusanimenfassend ihren llnhalk wlederzu-
geben. Wenn der streng durchgeführte Berzicht Les-
sings auf jede eingehendere vergleichende Anschau-
ung dem 18. tzahrhunderk weniger Schwierigkeit der
klaren Erfassung ieiner Gedanken bereitet hat, ja
für die Bolkstümlichkeit in den damals bildarmen
breiken Schlchken sogar fördernd, oft vielleicht Bor-
aussehung war, so vermissen wir, von der Fülle guter
Reproduktionen Berwöhnke, diese Anschaulichkeit
umso mehr. Ein ebenso strenger Berfolg seiner Ge-
dankengänge ist nichk nur ein Gebot der Ehrfurchk,
sondern Boraussehung zum wirklichen Berständnis
seiner Lehre.

Ein Gelehrtenstreit leitet den Laokoon ein. Winkel-
manns Bergleich des laukschreienden Laokoon des
Dichters Birgil mit dem schmerzlich seufzenden Lao-
koon des Bildhauers Polydoros in seiner Geschichke
der Kunst des Altertums gibk Lessing den äutzeren
Anstosz, die grundsähliche Frage nach dem Warum
dieses Ilnterjchiedes aufzuwerfen. Sein likerarisch
geführter Nachweis, daß bei den Griechen auch der
Äusdruck des höchsken Schmerzes als der nakllrliche
und würdige Ausdruck eines groszen Helden und
einer großen Seele zu gelken habe, berechkigk ihn,
nach dem künstlerischen Grund der Mätzigung des
Schmerzensausdruckes bei der Plastik gegeniiber dem
gesteigerten Ausdruck bei Birgil zu fragen. lteder
dieser Künskler wolle doch Helden zeigen und Teil-
nahme fllr sie erwecken. Er findek die Erklärung
dieser Berschiedenheik !n der Absichk der Kllnskler,
nur das darzustellen, was den Borkeil ihrer beson-
deren Kunst vor allen andern ausmache, was aber
auch die Grenzen nicht überschreite, die ihnen von
ihren besonderen Geskalkungsmitteln gesteckt seien.
Er skellk fest, datz der kiefske Grund zur Äkätzigung des
Ausdruckes für den Bildhauer darin bestanden haben
müsse, datz beiden ÄltenSchönheit das
höchste Geseh der bildendenKunstge-
wesen sei. Schönheik aber dürfe nichk durch entstel-
lenden Ausdruck gestörk werden, weil die Annehm-
lichkeik der Form vor Ausdruck gehe. Selbst wenn
ekwa Nokwendigkeiten der Neligion diesen Äusdruck
zur Charakkerisierung von Götkern und gewissen
Wesen verlange, so ichränke das nichk ein, datz Ber-
gnügen der Höhere Endzweck der Kunst
sei, da der Künstler nur in völliger Freiheik das Ge-
seh der Schöne achten könne. Weil nun aber die
Dichtkunst keine Schönheit der Körper geben kann,
da ihr die Wirklichkeik dieses Schönheitsideal nicht
bietek, sondern die Schönheit der Seele durch Hand-
 
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