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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 9.1929

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Heft 3 (März 1929)
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Zienau, Oswald: Kinder als Farbenhörer
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https://doi.org/10.11588/diglit.27999#0071

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vornherein zu vermeiden. Hier und da werden in
Deutschland — so in Schulen in Zena, Altona und
Schwerin — und in Wien seit längerem schon teils
vereinzelt. teils fortlaufende Versuche mlt „Farben-
hören" von Kindern durchgeführt. Nach einer Be-
schreibung läht man „beim Zeichen- und Malunter-
richt Musik spielen" oder es wurde nach einer
„ähnlichen Methode" verfahren. Hiernach sollen nun
„die Leistungen auch ganz Zugendlicher hervorragende
künstlerische Bedeutung" erreicht haben. Mir scheint
aber, datz diese stets knapp gegebenen Angaben
nicht genügen, um einwandfrei Methode und Re-
sultat und die inneren Zusammenhänge zwischen bei-
den erkennen zu lassen. Cs genügt aber auch zu wls-
sen, daß und wo solche „Farbenhör"-Bersuche in
Schulen angeskellt werden. Denn an eine ver-
gleichende Analyse oüer eine grundsähliche Polemik
ist hier nicht gedacht und soll die Kennzeichnung der
Grundlage dleses „Farbenhör"-1interrichts In den
genannten Schulen nur erkennen lassen, welche
methodischen Bersuchsunterschiede und welchen Er-
kenntniswert der von mir in einer Helsingforser
Schule beobachtete „Farbenhör"-Unterrichk für die
eventuell weitere Klärung dieses hochinteressanken
Problems hat.

2m Durchschnitt genommen, ist das Unkerrichks-
niveau des finnischen Schulwesens nichk allzu hoch
und reicht bei weitem nichk heran an die geforderten
Leistungen in deutschen Schulen. Was aber beim
Besuche ftnnischer Schulen auffällt, ist die schon
immer vorbildltch fürsorglich bedachte Schulhygiene,
die auch in den ältesten Schulbauten durch Gesamk-
anlage oder typische Einzeleinrichtungen hervorsticht.
Daneben deuten Bildwerke oder Skulpkuren einhei-
mischer Kllnsklerschaft in Schulklassen und Aulen
darauf hin, dah auch die allgemeinerzieherii^en Ein-
wirkungen eines guten Kunskwerkes auf die kindliche
Psyrbe seit jeher nicht unterschäht wurden.

Sind im allgemeinen die Helsingforser Schulen
aber doch nur Andxutungen eines gewollten natür-
lich-künstlerischen Erziehungsprinzips, so wurde sol-
ches Erziehungsprinzip durchweg vorangestellt in
der 1925 in Benuhung genommenen Schule der
Direkkorin Fräulein Lisa Aagman. Die archi-
tekkonische Note des Schulbaues und die künsk-
lerische 2nnenausskakkuna aller Schulräumlichkeiten
— so auch der langgeskrecklen Korridore — enk-
sprechen dem Grundsah einer unbewußt wlrkenden
Erziehung des Kindes zum künstlerischen Sehen, das
hier bei jeglicher Gelegenheit vertieft wird zum be-
wuhten Aufnehmen und Geniehen eines Kunsk-
werkes. Was 1920 noch ein ärmlicher und primikiver
Holzbau war. ist 1925 zu einem wahren Schulpalast
geworden. Schon der Einkritt in die Halle mik
Kleiderablage läßk offenbar werden, üaß Archikektin
und Schulleikerin im liebevollsten Eingehen sich dem
Berlangen des Kindes nach ungekünstelk-einfachen
Linien und Flächen, die kunskaewerblich belebt wor-
den sind, beugten, um dann umso zielsicherer über-
leiken zu können zum Gewahrwerden und Berstehen
kunsthandwerklichen und künstlerischen Schaffens,
Ilm nicht allzusehr abzuschweifen, muß verzichtek
werden, auf nähere Einzelheiken einzugehen oder
Wertungen der Einzelstücke dieser Ausstaktung zu
geben, Es mag genügen. den Nahmen gezeiqt zu
haben, in dem in Finnland erstmalig und bis jeht
noch einzig versucht wird, das kindliche Erfassungs-

und lehtmögliche Ausdrucksvermögen für ein Kunst-
werk heraufzusteigern durch „Farbenhören".

Die Anregung zum „Farbenhör"-Unterrichk hak die
2nspekteurin für den Zeichenunterricht in Finnland,
ein Fräulein Törnudd, gegeben: den Unkerricht selbst
leitet ebenfalls eine Lehrerin, ein Fräulein Hedberg.

2n einem großen Turn- und Musiksaal mit Bühne
stehk in einem weiten Halbkreise die 8. Klasse der
Schule, Schülerinnen und Schüler im Alter von
17 bis 18 2ahren, um einen Flügel herum, auf dem
eine der Schülerinnen ein umfangreiches Motiv
aus dem „Zmpromptu I" des finnischen Komponisten
2ean Sibelius spielt. Die lehten Töne verklingen durch
den Saal, eine besinnliche Minute noch, und die Klasse
steigt in den gut durch Seiten- und Oberlicht erheÜ-
ten und praktisch-bequem elngerichteken Zeichensaal
hinauf, um die malerische Verarbeitung des klang-
lichen Eindrucks durchzuführen. — Das ist die Me-
thodik des „Farbenhör"-UnkerrichkS in dleser Hel-
singforser finnischen Schule.

Der „Farbenhör"-Unkerricht in dieser Schule ist
bisher ausschließlich auf die genannte Altevsstufe be-
schränkt geblieben. ES handelt flch also um das
schon erwachsene Kind, das je nach seiner geistlgen
Enkwicklung und der äußeren Lebensgestalkung in der
Familie oder in anderer gesellschaftlicher Umgebung
schon ganz bestimmke Einstellungen bzw. Boraus-
sehungen für die Lösung einer solchen besonderen
Aufgabe mitbringt. Charakter und Begabungen
zeichnen flch in solchem Lebensalker schon in den
ersten festeren Umrissen ab, aus dem Lebensmilieu
heraus haben sich bereits bestimmte Begriffe und
Auffassungen von den allgemeinen Lebenserscheinun-
gen gebildet, Einstellungen zu geistigen, kllnstlerischen
und noch anderen Zeikproblemen stnd anfänglich ge-
formt und ist das von den Entwicklungsbesonder-
heiken dieser Iugendjahre stark beeinflußte Seelen-
leben sensibler denn in allen späteren Lebensperioden.
So vielgestaltige Untergründe also das künstlerische
Erleben dieser jungen Menschen hak, so vielgestal-
kige Ausdrucksformen werden sich herausbilden,
ganz gleichgültig, ob es sich um die farbige Analyse
eines Tonmotives oder um andere Inkerpretakion
eines anderen Kunstwerks handelk. Und das stels
gesluft von der innerlich unbeteiligt und nur erlernk
gelösten Schulaufgabe bis zum subtilst verinnerlichken
seelischen Erschöpfenwollen klangfarbenen Sinnen-
erlebnisses voll hinreißendsten Zaubers.

2ean Sibelius ist als Musiker der erdgebundene
Tondichker seines Bolkes, aus seinen Tönen spricht
tiefverinnerlichkes Heimakempfinden des nakional so
bewußten und im Gefühl der volklichen Einzigartig-
keik und Unabhängigkeit so stolzen Finnenkums. Und
gerade die schon erwachsenere 2ugend fleht in dem
Musiker Sibelius den Bertoner ihres starken Na-
tionalgefühls. Woraus sich wohl auch erklärt, daß
die malerische Wiedergabe seines Imprompkus nicht
selken zur Geskalkung improvisiert landschafklicher
Heimatsmokive hinlenkke, wie denn auch noch bei
einem Tonmokiv von Eino Kesky, Am Wiesenbach
betikelt, sich die gleiche Bevorzugung solcher Form-
gebung beobachken ließ, Znteressant auch für Rück-
schlüsie auf die Psyche dieser jungen Finnen im be-
sonderen und sicher auch berechtigt als allgemeinere
Feststellung, daß der künsklerische Ausdruckswille des
Kindes sich vorwiegend anschaulich-gegenstänülich
 
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