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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 9.1929

DOI Heft:
Heft 6 (Juni 1929)
DOI Artikel:
Müller, F.: Das Erleben und die bildhafte Gestaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.27999#0143

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Deutsche Blätter für Zeichen-Kunst- und Werkunterricht

Zeitschnft des Reichsvcrbandes akad.geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen

Verantwortllch für die Schriftlcitung: Prosessor Gustav Kolb, Stuttgart
Druck und Verlag: Eugen tzardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestrage 18

FHr BclprcchniigSexcinplarc, Nicderschriitcii odcr oiidere Eiiiscndimgcii irgendwclchcr ?Iri
wird cine Aerinitworiltchkeit iiur dliim iiberiiomiiieii, wcmi sic crbstcii worücn sind
Schrcibt sachlich klar imd einsachl Meidct allc ciitbchrlichcn Fremdwörterl

Das Erleben nnd die bildhafte Gestaltnug, Bon Fritz Müller. — Zur Lage. Bilduugsaufgaben, Verbands-
anfgaben. Bon Georg Sliehler, Leipzig, — Die Modellsainiulung im ueuzeitlicheu Zeichcnnnterricht, Vou
Prof, Michel, Kassel. — Erinnerungen an Finnland, Sommer 1928, Vou tzedwig Klein, Mainz. — Formeu
nnd Gietzen ein Slückchen Neuland. Von Ernst Renpke, Frankfnrt n, M- — Bildruck anf Gewebe uud Bild-
teppich als Schnlerarbeiten, Bon Paul Sohft, Freiburg in Schl. — Die Wandbilder in der Aula des Staatl.
Realgymnasinms zn Wiesbaden, Von Kurt Iäckel, Wiesbaden, — Iur Geschichte des Bastells. — Ein Weg
zn neuer Form. Bon Max Kruse. — Bachofcn uud wir. — Buchbesprechungeu. — Beilagenhiuweis.

0. Iahrcfcmg Iuni 1929 Heft 6

Das Erleben und die bildhafte Gestaltung

Von F, M iil l e r.

ün der Besprechung liiinstlerischer Dinge skehen die
Wortc „crleben" nnd „Erlebnis" obencin. Wer inil
Knnst irgendwie zu lun hat, sei es alS Schafsender
oder als Geniefsender, slihl.l die Bedeutung, die daS
„Erleben" nuf seinei» Gebiel hnt, Weil jeder dieS
inchr odcr wcnlger fühlt, niag eS pralitisch ohne Be-
lang sein, ob alle, die das Wort anwenden, dninit
bewufst den eigentlichen und urspriinglichen Sinn
verbinden, Denn die ineist sehr helislchtig'en Wort-
prägungeii der deutschen Sprache werden durch den
üahrhunderte nitcn Gebrauch in der Regel so vcr-
dunlielk und abgejchlisfen, datz sie in der IlingangS-
sprache inehr gewohnheitS- als sinngeiiiäsz angewendel
werde», So ergehl eS aiischeinend auch deni Moit
„erleben", Es ist iin sprachlichcn Berkehr mehr ein
Modewort geworden, während es in der Psycho-
logie eine fest uiiischriebene Bedeutung hak. än seiner
4lnwenüung auf die Kunst aber verbindet man mit
ihin ganz aligeinein daS Gefühl von einein seclisch
bedeutsainen Borgang, ohne sich über dessen Mesen
iin eiiizclnen ^lechcnschaft zu geben,

DaS Lrleben ist durchauS subjektiv u»d von unseriii
Geiste nnd Willen so gut wie unabhängig, Weil eS
sich dabei, wie dnS Worl sagt, um „Leben" handelt,
ifl cS wie dicses ursprünglich unbewufit und steigt
nur bei erheblicher seelischer Erregung übcr die
Schwclle dcS Belvlisztseins, Scnchd g e steigerten
Lebensvorgänge ineint der Sprachgebrauch, wenn
voin Lrlcben iin besonderen die Rede ist. 2ni Grunde
näinlich erleben wir iniiner, so lange wir überhanpt
lebcn, sei es auch nur daS Lllltägliche, iinmer Wieder-
iiehrcndc, das meist im linkerbewufztsein verhnrrt,

ohne deSwegen unwirksain zu sein. Das Ilnter-
bewutztsein enthäll ja gerade die B e r e i t s ch a f t s-
g rundlagen des höheren Erlebens, weshalb die-
seS auch ost wie ein Lrleidnis iiber uns koinmt
und uns „erfajzt" und „hinreifzt", ohne dafz wir uns
über dcssen Itrsache iminer Rechenschast geben liönn-
ten, da es ofl doch nur unscheinbare Dinge sind, die
ein starkes Erleben auslösen.

Das Wort „erleben" bedeutet ein „Hinzuleben",
eine Mehrung des Lebens in Gestalt von Lebens-
besitz und Lebensgefühl. So spricht inan auch vom
„Erarbeiten" als von einer Mehrung des gegenständ-
lichen oder geistigen Besitzes durch Arbeit, oder voni
„Lrkämpfen" als von dem Gewinn einer erstreblen
Sache durch den Kampf. Das in dem Erleben zu dem
biSherigen Lebensinhalt Hinzukommende ist ein see-
lischer Lebenswerk, nichk etwa ein Mehr an sogsnann-
tem animalischen Leben oder an Lebenszeit. Man
sagt zwar „daS werde ich nicht mehr erleben" und
meint die Lebenszeit, aber das Leben an sich, wenn
es nicht iiberhaupt mit der Seele identisch ist, steht
jedenfalls mit ihr in innlgsler Beziehung, und so ist
das Erleben im eigentlichen Sinne immer Las Hinzu-
leben seelischer Bestandteile.

Die Viologie, die das physische Leben untersucht,
kennk auch ein Erleben im physiologischen Sinne.
Sie meint damik die durch äuszere Ilmstände veran-
laszten Lebensvorgänge, die einen beskimmenden Ein-
flusz auf die LebenStätigkeit herbeiführen, wohl gar
dem Lebensablauf eine andere Richtung geben. Äm
besten läszt sich dieses physiologische Erleben wegen
der Einfachheit der betreffenden Erscheinuiigen an
 
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