Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 9.1929

DOI Heft:
Heft 9 (September 1929)
DOI Artikel:
Muth, Georg Friedrich: Ueber die zierkünstlerische Entwicklung des Kindes, [2]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.27999#0244

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
234

Ergebnisse und Aufgaben.

Frühere Versuche und neue Auf-
gabe ». Die wlssenschaftliche Bearbeitung der zier-
liünstlerischen Enkwicklung des Klndes stühke sich zu-
nüchst anf Atassenversuche/^^ Diese nonnten, troh
der angeblich nakurwissenschaftlichen Genauigkeit, init
der sie durchgeführt wurden, nur allergröbste Ergeb-
nisse zutage fördern.

Mher an die Haupkaufgaben führke die Ilnker-
suchung von Einzelenkwicklungen heran, wobei aller-
oings zunächst nur die ferkigen Arbeiten berücksich-
tigk wurden? 2n weikeren Ilntersuchungen erst wurde
auch der Werdegang der Arbeit verfolgt- und, ohne
dasz das psychologische Moment auszer acht gelassen
wurde,^ besonders auf die ästhekisch-erkennknis-theo-
retische Seite der Ausgabe geachtet.

Wünschensivert indessen scheint noch, dasz alles
Künstliche bei den Bersuchen ausgeschaltet werde. Sie
inüszten ganz aus der jeweiligen Lebenslage und den
dabei hervortretenden Lebensbedürfnissen, zu denen

Kerschenilelner, Dle Enlwlcklung der zrlchnerischsn Vega-
bung. IWS. - _

1 Melne inshrsach ungesllhrlen, in der Jelischris! sllr ange-
wundle Psychologle veröfsenillchlen Arbellen.

2 Vgl. dlc Berichle übsr Slldegund, Waliher nnd Inge.

u Es sei erwühnl, dag das voihandene Malerlal auch nach der
psychvanalyllschen Sciie ergebnisreich is!.

nakttrlich auch das künstlerische Gestalteu und Ge-
nieszen gehört, erwachsen, wie das ja auch schon in
den früheren Versuchen hei Gelegenheit geschah?

Dann, so ist zu vermuten, wird es auch möglich,
bis zu den ersten Anfängen der Ornamentik vorzu-
dringen; denn gewisz ist, dasz das Urornament nichk
an Gebrauchsgegenständen aufgetreten ist, sehr wahr-
scheinlich dagegen, dasz es dazu öiente, den Wert
eines lieben Menschen anzuerkennen.

Sehr wahrscheinlich auch Ist, dajz die Zierkunst
nicht als eine isolierke Kunst hervortrat, sondern in
engstein Zusammenhang mit der Selbstdarstellung des
Menschen, in Berbindung init Tanz und sprachlich-
inusikalischer Berlautbarung: Am Änfang steht
esn Tanz, rezitativartige Berskunst
und Schmuck umfassende Gesamtkunst.
Ein Veispiel davon bok der oben mikgeteilte Bänder-
tanz Hildegunds.

Und nun geht mein Vorschlag dahin: Entwick-
lungspsychologisch geschulte und ästhetisch interessierte
kinderliebe Kreise mögen diesen ersten Änfängen ihre
ganze Aufmerksamkeit schenken. Äls besonders glln-
stig für die erforderlichen Beobachtungen scheint mir
der Aufenthalt am Strand, wenn die Kleinen — mög-
lichst in völliger Nacktheit — im Sande spielen, Atu-
scheln finden, die von älteren Angehörigen zu durch-
bohren wären (herumliegende spihe Feuersteine und
ein wenig feuchter Sand ermöglichen das leicht), und
alles weitere wäre „der rektenden Stunde" zu über-
lassen. Kein Zweifel, dasz dann das Künstlerisch-
Schüpferische eleinenkarisch bei den sich ergebenden
Spielen hervorbrechen musz.

Ergebnisse: Zweck vorliegender Arbeit kann
nicht sein, eine abschlieszende Theorie der kindlichen
Zierkunst zu geben: sie will aber anregen, darnach
zu suchen. Sie wird zu finden sein: denn ein Vlick
schon auf die hier mitgekeilten Meihen lehrk, dasz
es sich bei der Kinderornamentik so wenig wie bei
anderen geistigen Leistungen des Kindes um bedeu-
kungslose Spielereien, um reine Zufälligkeiten han-
delt: vielmehr überrascht die Folgerichkigkeit, mit
der, namentlich solange die Schule nicht einwirkt, der
Ablauf sich vollziehk. Das lst die erste Feststel -
lung. Und nun gilt es, die Gesehmäszig-
keit dieser Entwicklung i m groszen und
in allcn ihren Einzelheiten zu erfor-
s ch e n.

Eine z w e i t e F e st st e l l u n g: Wenn wir den
ornamenkalen Ablnuf überblicken, so drängt sich uns
mik aller Deutlichkeik die auch sonst bestäkigke Er-
kennkniS auf, dnsz Enkwicklung nicht gleichbedeulend
mit stetiger Höherentwicklung ist: der Fort-
schritt auf gewissen Gebieken wird ofk
durch Stillstand oder V e r k ü m m e r u n g
auf anderen teuer erkauft. So wie der
Höhepunkk in der Ornamentik in der nordischen Neo-
likhik kaum zu übertreffen Ist, so gibt es beim Kinde
eine zierkllnstlerische Ho6)spannung, die ungefähr
mit der in der gleichen Zeit (2K- bis 6 eiahre) her-
vorkretenden Bewegungs- und Tanzkunst zusammen-
fällt. e!n dieser Zeik wird mit rührender Einsühlung
in die Strukkur öes Gegenstandes dessen laten -
ter Nhythmus erfaszk und mit trieb-

» Vgl. z. V. dle Füchergeschichle, D. Volksgsist, L. Bl.,
Sv. Zohrg., S. 8.
 
Annotationen