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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 17.1882

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Zur Konkurrenz für einen öffentlichen Brunnen in Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5808#0312

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619

Zur Konkurrenz sür einen öffentlichen Brunnen in Leipzig.

620

Eher könnte man zu einer Übersicht über das
Geleistete gelangen, wenn man die Darstellungen nach
den Begriffen allegorisch, mythologisch, christlich-religiös,
heraldisch und — zoologisch klassifizirte. Die rein
zoologische Richtung, die sich bei dieser Konkurrenz
zuni erstenmale bemerklich gemacht haben diirfte, ist
ein Zeichen der Zeit und hängt zweifelsohne mit der
eifrigeren Pflege der Naturwissenschaften auf unseren
öffentlichen Bildungsanstalten zusammen. Doch Scherz
beiseite! Geben wir dem Ditz die Ehre, mit welchem
der Verfasser des in der Wüste nach Wasser schreienden
Elefanten das ganze sogen. „anonyme" Konkurrenz-
wesen und speziell das Ausschreiben des Leipziger Rates
hat geißeln wollen. Dieser Elefant, bei dem das
Lysippische Motiv des aufgestützten Fußes eine über-
raschende Verwendung gefunden hat, ist nämlich nicht
zoologisch, sondern allegorisch aufznfassen. Als der
monumentalste aller viersüßigen Erdenpilger entspricht
er der nn den Brunnen gestellten monumentalen An-
forderung vortrefflich, und nicht minder entspricht die
mit dursterweckender Wahrheit sich zu seinen FUßen aus-
breitende Wüste den durch die Örtlichkeit gegebenen
Verhciltnissen, insofern der Augustusplatz eine nur mit
Mühe durch Sprengwagen vor Ausschreitungen be-
wahrte sandige oder vielmehr staubige Ebene darstellt.
Endlich versinnlicht das durstige Ungetüm sehr treffend
den augenblicklichen Zustand der städtischen Wasser-
leitung, die nur an Sonn- und hohen Feiertagen dem
Luxus Konzessionen zu machen und den sonst so still-
nüchternen Schwanenteich mit einer anständigen Wasser-
säule zu berauschen imstande ist. Der Elefant mit
dem erhobenen RUssel und weit aufgerissenen Maule ist
als „trockener" Brunnen gedacht. Fürwahr, der denkende
Künstler ist noch eins so viel wert!

Das Preisgericht hat offenbar für den tiefen
Sinn der zoologischen Allegorie kein Verständnis ge-
habt, sein Wohlwollen vielmehr zwei Entwürfen zuge-
wandt, von denen der eine ebenfalls der allegorischen,
der andere der mythologischen Gattung angehört.
Dieses Wohlwollen scheint aber sür den, der zwischen
den Zeilen zu lesen versteht, nicht so ganz rückhaltslos
aus aller Herzen geguollen zu sein. Wir empfangen,
wenn wir an der Hand des Gutachtens die zur Be-
gutachtung gekommene Auswahl mustern, den einiger-
maßen peinlichen Eindruck, als seieu eigentlich nur ein
oder zwei Entwürfe der Rede wert, und diese beiden
Entwürfe, von denen der eine das verhängnisvolle
Motto „Monumental" führt, der andere das verlockende
Wort „Aphrodite" zum Schiboleth genommen hat, sind
der eine wegen klassischer, der andere wegen moralischer
Bedenken um den gebührenden Lohn gekommen. Jn
der That sind diese beiden Entwürfe die einzigen, die
lebendigeres Jnteresse erwecken, die in den Formen !

flüssig sind, wie das feuchte Element, dessen Lauf sie
zügeln, lenken und leiten sollen, dem Ohre zum Be-
hagen und dem Auge zum Wohlgefallen; beide sind
einer noch nicht ermüdeten Phantasie entsprungen und
zeigen keine Spur der von des Gedankens Blässe an-
gekränkeltenschöpferischen Thatkraft. Der von Eberlein
in Berlin herrührendeEntwurf „Monumental" läßtinder
ziemlich großen Ausführung keinen Zweifel darüber, daß
sein Urheber den Thon nicht nur zu kneten, sondern auch
zu formen versteht, um den spröden Stoff mit reichem
Leben zu erfüllen. Das Werk wirkte gegenüber der ganzen
Schar der umherstehenden Genoffen so gewaltig auf die
schaulustige Menge, daß die vox xoxuli sofort zu seinen
Gunsten entschied. Der von Prof. Doberenz in Breslau
herrührende Entwurf „Aphrodite" zeigtzwarweniger Ge-
schick in der Modellirung der Gestalten, dafür aber ein
sicheres Gefühl für die den Platzverhältnissen angemessene
Entwickelung des Brunnenstocks und des Grundrisses.
Die Stelle, auf welcher der Brunnen errichtet werden soll,
ist nämlich nicht ein Kreuzungspunkt für zwei sich schnei-
dende Straßen, auch nicht der Schneidepunkt der Diago-
nalen des ganzen Platzes, sie liegt vielmehr dem Museum
wesentlich näher als dem das Gegenüber bildenden
Theater. Dieser Umstand läßt die aus dem Kreise
oder dem Ouadrat entwickelte Grundform weit weniger
günstig erscheinen als eine oblonge Grundform und
eine auf dem langen Durchmesser der Elipse nach den
Seiten ausladende Gestaltung des Brunnenstocks der-
art, daß die Komposition sich auf dem architektonischen
Hintergrunde, den das Museum abgiebt, mit ihren
Hauptlinien klar und fest absetzt.

Aber Nr. 1 war den Preisrichtern zu barock, zu
sehr Louis XIV., um sich in die Nähe der von klassi-
scher Langerweile berückten Museumsfaffade wagen zu
können, ganz abgesehen von der gegenüberliegenden
Front des Theaters mit ihrer korinthischen Säulenhalle
und von dem seitwärts sich hinziehenden, nach Schinkels
Entwurf erbauten Augustenm. Und Nr. 2 mit der
splitternackten tänzelnden Aphrodite, als krönender Figur,
und mit den beiden sich in gar zu augenscheinlicher
Wollust räkelnden, zwei Tritonen in ihren spring-
brünnlichen Funktionen beeinträchtigenden Nymphen
würde an einem so öffentlichen Orte wie der Augustus-
Platz aufgestellt, auf die Sittenreinheit der Leipziger
Bevölkerung einen höchst bedenklichen Schatten geworfen
hgben. So etwas läßt man sich hier nur in ge-
schloffenen Räumen von Antwerpener Bürgers- oder von
Rheintöchtern, allenfalls auch von Walküren gefallen.
Das moralische Entsetzen über den Urheber dieser Nackt-
heiten hat auch bereits Ausdruck in unserer Lokalpresse
gefunden. Wenn der Plastische Makart die kluge Vor-
sicht gebraucht hätte, seinen Göttinnen wasserdichte
Regenmäntel umzuhängen — wer weiß, ob er nicht
 
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