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Zur Konkurreiiz für einen öffentlichen Brunnen in Leipzig.
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die Gunst, weun nicht des Preisgerichts, so doch des
vielköpfigeu Wesens gewonnen haben würde, welches
gemeinhin als Publikuni bezeichnet wird.
Noch zwei andere Entwürfe, bei denen die Feuch-
tigkcit angemessene Berücksichtigung gefunden hat, be-
handelt das Gutachten mit einem gewissen Wohlwollen,
um dann mit scharfer Wendung auf den Hämmel zu
komnien, dem es die Ehre des ersten Preises zugedacht.
Der recht niedliche, mit hübschen Details durchsetzte
Entwurf ist das Ergebnis einer Verbindung uä Iroo
zwischen dem Bildhauer Heinz Hoffmeister und dem
Architekten H. Stöckhardt, beide in Berlin. Dies
Ergebnis eines jener künstlerischen Kompagniegeschäste,
die man als auf dem Prinzip der Arbeitsteilung
beruhend auch wohl als eine 8i§natrira tsrnporiZ be-
trachten darf, gemahnt, was die Gesamtanordnung
anlangt, lebhaft an den Donnerschen Brunnen auf
dem Neuen Markt in Wien. Der Brunnenstock ist
init seinem Schalenwerk, seinen Putten und Tritonen
sehr niedlich und ansprechend, bringt es jedoch zu
keiner großen Gesamtwirkung, zu keinem geschlossenen
Spiel der Hanptlinien. Nicht minder gefällig sind die
drei Flußgöttinen Elster, Pleiße und Parthe, die sich
auf der Brüstung des Sammelbeckens niedergelässen
haben. Dem Urteil des Preisgerichts können wir in-
sofern beipflichten, als dieser Entwurf unter den-
jenigen, die für denAufstellungsort, ihrem Formcharakter
und ihrer Höhen- und Breiteentwickelung nach noch
am geeignetsten erscheinen, der gelungenste ist. Nicht
aber sind wir einverstanden mit der Erteilung des
ersten Preises, nachdem man die oben erwähnten, bei
weitem originelleren und phantasievolleren Entwürfe
aus Grüuden des guten Geschmacks und der strengen
Moral zu den Toten geworfen. Der zweite Preis
wäre hier wohl am richtigen Platze gewesen; der erste
hätte dann für die engere Konkurrenz aufgespart wer-
den können, zu der, wie verlautet, auch die beiden in
erster Reihe belobten, aber nicht pramiirten Künstler
eingeladen worden sind, ein Akt der Höflichkeit, der auf
Zurückweisung von seiten der Begrüßten den besten
Anspruch hat.
Statt dessen hat man den zweiten Preis einem
Entwurfe zuerkannt, welcher aus einem dreiköpfigen
Kompagniegeschäst hervorgegangen ist und den Erbauern
unserer neuen Peterskirche, Hartel und Lipsius
(ersterer Baumeister in Leipzig, letzterer Professor am
Polytechnikum in Dresden), sein architektonisches Ge-
rüst und einem jungen Dresdener Bildhauer aus der
Hähnelschen Schule namens Behrens seinen bild-
lichen Schmuck verdankt. Da uns die Vorzüge, die
diesen Entwurf vor einem Dutzend anderer Durch-
schnittsleistungen auszeichnen, durchaus nicht einleuch-
ten wollten, so suchten wir Rat bei dem Gutachten.
Danach bestehen diese Vorzüge „in dem mvnumenta-
len Charakter der einsachen Gesamtanlage und in
der bewegten Komposition der wirkungsvoll profilirten
Seitcngrnppen"; außerdem bemerkt das Gutachten —
man weiß nicht ob im lobenden oder tadelnden Sinne —
der Entwurf sei ziemlich flüchtig skizzirt und „daß die
Proportivnen, das Massige des Mittelbaues und ins-
besondere die Motivirung der krönenden Gruppe Be-
denken erregt hätten". Aus dieser etwa auf die Censur
Nr. 3 hinauslaufenden Be- oder Verurteilung zogen
wir den Schluß, daß eigentlich wohl nur der Bild-
hauer den Preis verdient haben konne. Da diese An-
erkennung nun aber nicht durch die Flüchtigkeit der
Skizze allein motivirt sein konnte, so gaben wir uns
die erdenklichste Mühe die Schvnheiten der den Brun-
nenstock umschließenden Reliefs und der vier, die Ecken
des in der Grundform wenig erfreulichen Hauptbeckens
flankirenden Gruppen ausfindig zu machen, was aber
bei Ver Flüchtigkeit der Behandlung, die entweder auf
einen etwas späten Entschluß oder auf genialen Leicht-
sinn deutet, keine so begueme Sache war. Der Ge-
danke, um dessen Verkörperung es sich handelte, war
leicht herausgefunden durch das Motto des Entwurfs
„Ariou und die Wasserwelt". Auf der Höhe der Brun-
nensäule sieht man den göttlichen Sänger mit beiden
Beinen auf einem Delphin knieen, also in einer Posi-
tion, die zweifellos den Vorzug der Neuhe.it hat.
Um die Brunnensäule schlingt sich ein in vollen For-
men ausgearbeitetes Relies, dessen Gewurstel soviel er-
kennen läßt, daß es sich um allerhand wassersüchtige
Fabelwesen männlichen und weiblichen Geschlechts han-
delt, die in einer Art von Schwimmübung mit Musik-
begleitung begriffen sind. Die auf die Ecken des Unter-
baues postirten Seepferde verraten sich hingegeu auf
den ersten Blick als sehr nnmusikalisch gesinnte Bestieu,
welche vor den Tönen der Leier Reißaus nehmen und
die auf ihren Rücken und an ihren Flanken voltigiren-
den, übrigens auch nicht mit Badeanzügen versehenen
Meerestöchter trotz ihrer musikalischen Anlagen er-
barmungslos zu entführen im Begriff sind. Um eines
dieser anscheinend stark zum Barocken neigenden See-
pferde schlingt sich die bekanntlich zur Sommerzeit sehr
erwünschte Seeschlange, welche in ihrer Verachtung
der Tonkunst sogar so weit geht, dem unglücklichen
Arion ihren Gischt (der freilich nur aus chemisch ge-
prüftem, völlig eisenfreiem Wasser bestehen wird) in den
Nackenzusveien. Was mag derJüngerApollsda oben auf
dem Delphin nur stngen, fragt man sich, daß die Wasser-
welt von so viel Bosheit und Entsetzen ergrisfen wird?
Wir glauben uns zu der Annahme berechtigt, daß der
denkende Künstler an das Loreleylied gedacht hat:
Jch weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin —
Zur Konkurreiiz für einen öffentlichen Brunnen in Leipzig.
622
die Gunst, weun nicht des Preisgerichts, so doch des
vielköpfigeu Wesens gewonnen haben würde, welches
gemeinhin als Publikuni bezeichnet wird.
Noch zwei andere Entwürfe, bei denen die Feuch-
tigkcit angemessene Berücksichtigung gefunden hat, be-
handelt das Gutachten mit einem gewissen Wohlwollen,
um dann mit scharfer Wendung auf den Hämmel zu
komnien, dem es die Ehre des ersten Preises zugedacht.
Der recht niedliche, mit hübschen Details durchsetzte
Entwurf ist das Ergebnis einer Verbindung uä Iroo
zwischen dem Bildhauer Heinz Hoffmeister und dem
Architekten H. Stöckhardt, beide in Berlin. Dies
Ergebnis eines jener künstlerischen Kompagniegeschäste,
die man als auf dem Prinzip der Arbeitsteilung
beruhend auch wohl als eine 8i§natrira tsrnporiZ be-
trachten darf, gemahnt, was die Gesamtanordnung
anlangt, lebhaft an den Donnerschen Brunnen auf
dem Neuen Markt in Wien. Der Brunnenstock ist
init seinem Schalenwerk, seinen Putten und Tritonen
sehr niedlich und ansprechend, bringt es jedoch zu
keiner großen Gesamtwirkung, zu keinem geschlossenen
Spiel der Hanptlinien. Nicht minder gefällig sind die
drei Flußgöttinen Elster, Pleiße und Parthe, die sich
auf der Brüstung des Sammelbeckens niedergelässen
haben. Dem Urteil des Preisgerichts können wir in-
sofern beipflichten, als dieser Entwurf unter den-
jenigen, die für denAufstellungsort, ihrem Formcharakter
und ihrer Höhen- und Breiteentwickelung nach noch
am geeignetsten erscheinen, der gelungenste ist. Nicht
aber sind wir einverstanden mit der Erteilung des
ersten Preises, nachdem man die oben erwähnten, bei
weitem originelleren und phantasievolleren Entwürfe
aus Grüuden des guten Geschmacks und der strengen
Moral zu den Toten geworfen. Der zweite Preis
wäre hier wohl am richtigen Platze gewesen; der erste
hätte dann für die engere Konkurrenz aufgespart wer-
den können, zu der, wie verlautet, auch die beiden in
erster Reihe belobten, aber nicht pramiirten Künstler
eingeladen worden sind, ein Akt der Höflichkeit, der auf
Zurückweisung von seiten der Begrüßten den besten
Anspruch hat.
Statt dessen hat man den zweiten Preis einem
Entwurfe zuerkannt, welcher aus einem dreiköpfigen
Kompagniegeschäst hervorgegangen ist und den Erbauern
unserer neuen Peterskirche, Hartel und Lipsius
(ersterer Baumeister in Leipzig, letzterer Professor am
Polytechnikum in Dresden), sein architektonisches Ge-
rüst und einem jungen Dresdener Bildhauer aus der
Hähnelschen Schule namens Behrens seinen bild-
lichen Schmuck verdankt. Da uns die Vorzüge, die
diesen Entwurf vor einem Dutzend anderer Durch-
schnittsleistungen auszeichnen, durchaus nicht einleuch-
ten wollten, so suchten wir Rat bei dem Gutachten.
Danach bestehen diese Vorzüge „in dem mvnumenta-
len Charakter der einsachen Gesamtanlage und in
der bewegten Komposition der wirkungsvoll profilirten
Seitcngrnppen"; außerdem bemerkt das Gutachten —
man weiß nicht ob im lobenden oder tadelnden Sinne —
der Entwurf sei ziemlich flüchtig skizzirt und „daß die
Proportivnen, das Massige des Mittelbaues und ins-
besondere die Motivirung der krönenden Gruppe Be-
denken erregt hätten". Aus dieser etwa auf die Censur
Nr. 3 hinauslaufenden Be- oder Verurteilung zogen
wir den Schluß, daß eigentlich wohl nur der Bild-
hauer den Preis verdient haben konne. Da diese An-
erkennung nun aber nicht durch die Flüchtigkeit der
Skizze allein motivirt sein konnte, so gaben wir uns
die erdenklichste Mühe die Schvnheiten der den Brun-
nenstock umschließenden Reliefs und der vier, die Ecken
des in der Grundform wenig erfreulichen Hauptbeckens
flankirenden Gruppen ausfindig zu machen, was aber
bei Ver Flüchtigkeit der Behandlung, die entweder auf
einen etwas späten Entschluß oder auf genialen Leicht-
sinn deutet, keine so begueme Sache war. Der Ge-
danke, um dessen Verkörperung es sich handelte, war
leicht herausgefunden durch das Motto des Entwurfs
„Ariou und die Wasserwelt". Auf der Höhe der Brun-
nensäule sieht man den göttlichen Sänger mit beiden
Beinen auf einem Delphin knieen, also in einer Posi-
tion, die zweifellos den Vorzug der Neuhe.it hat.
Um die Brunnensäule schlingt sich ein in vollen For-
men ausgearbeitetes Relies, dessen Gewurstel soviel er-
kennen läßt, daß es sich um allerhand wassersüchtige
Fabelwesen männlichen und weiblichen Geschlechts han-
delt, die in einer Art von Schwimmübung mit Musik-
begleitung begriffen sind. Die auf die Ecken des Unter-
baues postirten Seepferde verraten sich hingegeu auf
den ersten Blick als sehr nnmusikalisch gesinnte Bestieu,
welche vor den Tönen der Leier Reißaus nehmen und
die auf ihren Rücken und an ihren Flanken voltigiren-
den, übrigens auch nicht mit Badeanzügen versehenen
Meerestöchter trotz ihrer musikalischen Anlagen er-
barmungslos zu entführen im Begriff sind. Um eines
dieser anscheinend stark zum Barocken neigenden See-
pferde schlingt sich die bekanntlich zur Sommerzeit sehr
erwünschte Seeschlange, welche in ihrer Verachtung
der Tonkunst sogar so weit geht, dem unglücklichen
Arion ihren Gischt (der freilich nur aus chemisch ge-
prüftem, völlig eisenfreiem Wasser bestehen wird) in den
Nackenzusveien. Was mag derJüngerApollsda oben auf
dem Delphin nur stngen, fragt man sich, daß die Wasser-
welt von so viel Bosheit und Entsetzen ergrisfen wird?
Wir glauben uns zu der Annahme berechtigt, daß der
denkende Künstler an das Loreleylied gedacht hat:
Jch weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin —