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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 1
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Avenarius, Ferdinand: Ein Traum, oder mehr?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0012

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O-

Völkern. Ahme Niemandem nach, auch dir selber
nicht, denn wir belächeln den Mann mit Fug, der
scheinen will, wie er als Jüngling w a r. Aber
ruhig prüfend sieh in dich und ruhig entschließend cnt-
wicklc ivas deines Eigensten ist, dann wirst du wieder
ein Kunstvalk werden. Achte nicht nur auf die
Tulpen und Astern in deinem Garten, erkenne still
bittende Knospen, wv du bisher nur verächtliches Un-
kraut gesehen, und verweile bei ihrer Schönheit,
damit du sie lieben lernest: es ist heimische Schön-
heit. Vom Garten aber sieh hinaus aufs Land und
vom Lande nimm wiedcr herein in den Garten, ivas
Aug und Herz bildet und erfreut und was sich wieder
bilden läßt von Herz und Hand — ich meine: von
der lebendigen Kunst sieh hinaus in die lebendige
sreie Welt, die rings um dich ist, und gib der Kunst
neues Leben aus ihr und aus dir selber. Die ihr
Frankreich erobert habt, erobert euch endlich eure
Heimat.

Du hast des Denkens Zucht lange geübt, übe
nun auch den Leib, daß deine Glieder gewandt, deine
Sinne klar, deine Seele sreudig werde in der Kraft
der Gesundheit. Deine sreudige Seele, übe sie dann
im Empfinden und im inneren Schaun, daß sie das
Zarte und Mächtige nachzusühlen und nachzubilden
vermöge, daß sie, die sicher wandeln kann aus unserer
Erde, doch auch zu sliegen vermöge zu jenen Höhen,
von denen sich unsre liebe Welt erst recht übersehen
läßt. Nicht nur Kenntnisse und immer wieder Kennt-
nisse führe dir und deiner Jugend zu, bilde sie
und dich, bilde deines Körpers und deiner Seele
Organe, daß sie die Kenntnisse verwandcln können
in kreisendes Blut, das nährt. Thust du das, mein
Volk, wie wirst du dann überlegen sein über die
Zeit, da die Kunst nichts weiter schien als eine
Zugabe zum Leben. Notwendig wird sie dir sein
wie die Luft, die deine Brust weitet und dein Herz
höher schlagen läßt, und selbstverständlich ivird dir's
sein, daß du ihrer wie daß du der Luft genießest.
Denn was in der großen und kleinen Welt, was in
Natur- und Menschenleben die Frühlinge schenken
nnd die Herbste nehmen, das alles wird durch dich
wandeln in verdichtetem Bild, und was deine Besten
gefühlt und erschaut, wird wiederleuchten in deiner
Seele und wiederglühen darin und deine eigenen
Flammen entzünden an großem Reichtum. Dann wird
ein Empfangen und Fruchten sein.

Da wirst du einsehen, wie grausam du gewesen
bist, ohne es zu wissen, gegen dich selber, als du nur
aus wenigen die Menschen sichtetest, die dir Künstler
sein sollten, ungezählte, die zu reden berufen, vcr-
dammend zur Stummheit. Du wirst ja auch leichter
erkennen können, wo Begabungen keimen, denn Phan-
tasie und Empsindungskrast deiner Jugend wirst du

überall eifriger und inniger pslegen, als bisher. Aus
allem Volk mußt du deine Künstler sondern. Da
wirst du, statt wie jetzt mühselig aus Kunstanstalten
Talentlein zu belehren, nur weil sie befähigt scheinen,
aus Grammatik und Wörterbuch nicht ohne Ersolg zu
lernen, in welcher Sprache denn Künstler reden, da
wirst du nicht mehr vermeinen, solches Sprechen in
Künstlersprache sei selbst schon Kunst. Aus Vollem
schöpsend, wirst du die B e st e n nur wählen, nur
die, so durch Eigenart und Stärke gesühldurch-
glühten inneren Schauens vom Wettgeist selber zu
Priestern geweiht sind für uns andere. Denn von
Andern Vorempfundenes nachzusprechen in der Sprache
der Kunst, das werden so viele vermögen, daß darum
kein Wesens ist.

Mein Seelenauge blickt in die Städte deiner
Zukunft, mein Heimatvolk, — da erkennt es, daß du
dich gesunden hast. Wie sich das lagert, giebelt und
türmt zu malerisch traulichen Bildern! Da scheint
ein lebendiges Wesen jegliches Haus, kündend in
seiner Gestalt van der Eigenart seiner Bewohner und
ihrer Bedürsnisse, Behagen ausstrahlend und Wahr-
hastigkeit, denn seine Formen reden vom Gehalt, und
was etwas scheint, das ist es. Jn leiser Biegung
bewegen die Straßen sich, neuc Bilder bei jedem
Schritte schenkend, — sarbenkrcistige, denn das Auge
sreut sich der Farben wieder, formenschöne, denn das
Auge sreut sich der Linien wieder, lebensreiche, denn
Farb und Form ist wieder kennzeichnender Ausdruck
geworden künstlerischen Beseelens. Nichts aber ist ,
spielerisch, nichts ist klein: ihr habt es nicht verleug-
net, Deutsche, daß ihr im zweiten Jahrtausend lebt,
bewältigt aber hat eure Phantasie die Krüfte
der neuen Zeit, mit denen ich jetzt euch noch ringen
sehe, — zu harmonischer Eingliederung hat sie alle
gezwungen ins Ganze.

Ach, ich seh eure Körper wandeln in euren
Städten, nicht aber kann mein Auge erkennen, was
eure Kunst schaffen wird, wenn sie schafft, nur, um
zu schaffen. Nicht kann es blicken in das Getriebe
eures Geistes; ahnen kann ich, was ihr sein
werdet, — wie aber sollt ich ahnen könncn, was ihr
ahnen werdet? Und es ist ja das Höchste der Kunst,
Geahntes zu verwandeln in Sein. Wie ihr malt
und bildet, daß ich es sehen könnte! — ihr, die ihr
sür ench malt, das ist für ein Volk von V e r-
st ehende n. Bon Duldsameu , weil des Füh-
lens Mannigsaltigkeit als ein Neichtum empsunden
wird, von Freien, weil das Recht der Persönlich-
keit, sür sich zu wirken, erkannt ist als die Pslicht der
Persönlichkeit. Daß ich eurer Tonkunst lauschen könnte,
nun, da leeres Ziergeräusch sür eure Gunst nicht
mehr ersticken wird den erstorbenes Empfinden be-
schwörenden, den neues Empsinden schaffenden Seelen-
 
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