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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 8
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Bartels, Adolf: Dekadenz
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0125

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Lwcires Aanuarberr I8S7.

s. Dekt.


Derausgeber:

zferdinand Nvenarius.

Vierteljährlich 2>/e Mark,

10. Asktg.

Dekndeirz.

/H^^^^ekadenz heißt Verfall, aber nicht jeder Ver-
fall ift Dekadenz. Aus dieser Empfindung
heraus haben wir Deutfchen auch das
fremde Wort beibehalten, fagen höchstens für Deka-
dent Verfallzeitler.

Jn aller menfchlichen Entwicklung unterscheiden
wir gern die drei Stadien: Auffchwung, Blüte, Ver-
fall, entsprechend den menfchlichen Lebensaltern:
Jugend, Mannesjahre, Alter. Wie das Alter recht
wohl „normal" fein kann, d. h. eine allmähliche Ab-
nahme der Kräfte ohne Krankheitszustände, fo auch
der Verfall eines Volkes. Dekadenz dagegen ist stets
Krankheit.

Man vergißt oft, daß die Perioden menfchlicher
Entwicklung, die man annimmt, doch im Grunde nur
Hilfsmittel zur befseren Ueberfichll sind; genauer be-
trachtest tragen namentlich die größeren, jahrhunderte-
langen Perioden keinen einheitlichen Charakter. Neben
dem Auffchwung findet fich Verfall, neben dem Ver-
fall Aufschwung, und es ist wefentlich der Gesichts-
punkt des Betrachters, der einer Periode den Gefamt-
charakter als einer aufsteigenden, gipfelnden, -finkenden
verleiht. Für die neuere Zeit aber ift eine folche
allgemeine Charakterifierung kaum zu wagen; denn
es fällt die menfchliche Gefamtentwicklung hier in die
der einzelnen Nationen auseinander, dieselben Ur-
fachen, welche die Blüte der einen, können den Ver-
fall der anderen bedingen; dabei hat noch kein Ver-

fall zum Untergang geführt, fondern fich aus jedem
immer wieder ein Aufschwung entwickelt, fo daß wir
denn im wesentlichen nur Generationen von wechfeln-
der Kraft und Gesundheit fehen. Um einige Beifpiele
durchzuführen: Auf das olcl msrr^ lllnß'Ianck der
Königin Elisabeth folgt das puritanische Cromwells,
darauf das höfifch-verkommene Karls II. und dann
doch wieder ein relativ gefundes bürgerliches unter
den erften Hannoveranern. Ludwig des XIV. Regier-
ung fchließt Blüte und Verfall in fich, die Regent-
schaft ist tiefster Berfall, dann tritt wieder leise Er-
hebung, abermaliger Verfall, endlich der Sturm der
Revolution ein, der nach der napoleonifchen Herrschaft
ein doch wefentlich gesundetes Frankreich übrig läßt.
Jn Deutschland haben wir im Reformationszeitalter
eine bestimmte Blüte des Volkes, dann fchon vor dem
dreißigjährigen Kriege Verfall, durch diefen fast
Untergang, darauf doch wieder leises Aufsteigen, nach
einer Periode unsäglicher Nüchternheit wilden Sturm
und Drang, dann eine Zeit freier humaner Bildung
nicht ohne Verfallsfpuren, den allmählichen Unter-
gang diefer Bildung, Biedermeierei neben faft reoo-
lutionären Bestrebungen, endlich nationalen Auf-
schwung und zugleich die Anfänge einer wirklichen
Dekadenz. Wie man fieht, das Bild wechfelt unge-
fähr generationenweife, und wo die Gefamtentwicklung
hinaus will, vermag niemand zu fagen. Trotz aller
Verfchiedenheit des Kraftzuftandes und daher auch

über

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