Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: "Papierne Poesie"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0059

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

nc


-

.a?>E

über

Dirtztung, WM. Äustl «ni> kili>mi>k Rünste.


^vvettes Oovemberbett tS96.

4. Dett.


Derausgeber:

zferdinand Rvenarius.

Bezugspreis:
Vierteljährlich 2'/e Mark.

10. Zabrg.

„Dapierne Hoesie."

ätten nuch wir au deu Grafeu August vou
Plateu zu seinem huudertsteu Geburtstage
eine Ansprache halteu sollen? Maucher
v7 Leser wird im Kuustwart einen Aufsatz ge-
legentlich des Gedenktages vermißt haben. Aber wir
hütten nicht einmal überzeugt beim Hoch mitrusen
können, deshalb blieben wir lieber dem Feste fern.
Um einen hervorragenden Menschen handelt sichs
ja, und nichts verpflichtete uns, mit unsrer abweichenden
Ueberzeugung andrer Leute Festlust zu stören. Nun
aber lesen wir die Reden, die beim Mahle gehalten
worden sind, — o iveh diese Reden! Wer schweigt,
stimmt zu — nein, wir müssen da doch noch
unsre Meinung bekennen.

Natürlich nicht, wo es sich um die Wertschätzung
des Menschen Platen handelt, wie er aus seinen
Dichtungen spricht. Der Mann ist tot, wer heute
noch allen Ernstes in ihm eine große Seele
sieht, der mag es thun — ob diese Seele groß oder
klein war, sie wirkt aus die Gegenwart nicht mehr
ein. Aber was anderes ists, wenn uns Platen auch
jetzt uoch als vorbildlicher Meister der deutschen
Sprache, als Klassiker der sprachlichen Form gepriesen
wird. Das heißt, zu den Poeten sagen: eisert ihm
nach, und zu deu Dichtungssreunden im Publikum:
nehmt euch an ihm einen Maßstab des Urteils. Es
heißt also, das Formen unsrer heutigen Poesie in
Platens Sinne beeinslussen wollen. Und davor wolle

uns Gott bewahren. Die Rede von Platens Meister-
schaft im sprachlichen Ausdruck ist eine der gangbaren
Münzen, die einer vom andern übernimmt, ohne
ihr Metall aus die Echtheit zu prüfen. Wir aber
behaupten: sie ist salsch, und lehnen ihre An-
nahme ab.

Von innerer, von seelischer Form, von der
Komposition des Stoffes in der Phantasie, haben wir
heut nicht zu sprechen. Was aber ist denn eigent-
^ lich sprachliche Form einer Dichtung?

Der Poet hat irgend einen Seeleninhalt, der
nach Ausdruck drängt. Je besser es ihm gelingt, ihn
auszudrücken, je besser dichtet er. Je beffer seine
Ausdrucksweise dieserAusgabe dient, je besser ist also seine
sprachliche Form, denn diese sprachliche Form ist
ja gar nichts anderes als eben seine Aus-
drucksweise selbst. Jst denn dieser Sachverhalt
nicht ganz überaus einsnch?

Wir wollen ihn trotzdem recht festhalten, damit
uns nichts verwirren kann, wir wollens recht fest-
halten: da die formale Aufgabe des Dichters nichts
anderes ist, als der Ausdruck seines Seeleninhalts,
das heißt zugleich, als die Vermittelung seines Seelenin-
halts, auf einen andern, so ist sein bester sprachlicher
Ausdruck, so ist seine beste „Form"die, welche diesen
Endzweck aller dichterischen Thätigkeit am besten
sördert. Jede sprachliche Formbehandlung dagegen,

> tzie diesen Ausdruck, diese Vermittelung irgendwie
 
Annotationen