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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 24
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Söhle, Karl: Von Natur-Wagnerianern
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0383

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thänig münden muß. Die ganze Symphonie durch
tönt nun der Rauschebach einen stattlichen festen Baß-
orgelpunkt. Der Einleitungsteil spinnt nach verschie-
denen Lerchen-, Wachtel-, Goldammer-Solis allmäh-
lich zum ersten Allegro hinüber. Mit eines Laub-
frosches humoristischem Fagottsolo schließt er ab.
Nun im Schatten des Waldes erklingt im echten,
Euryanthe-Ouvertüremäßigen Aclle^ro coir brio vom
ersten Satze das Hauptthema, der Singdrossel seuriger
Schlag, oom Buchfinken unermüdlich akkompagniert,
und Specht und Kleiber rühren mächtig das Schlag-
zeug. Die Amsel stimmt darauf im schönsten 68p>rc8-
sivo das zweite Thema in der Klarinette an, und
in der thematisch überaus verwickelten, kontrapunktisch
erstaunlich kühnen Durchführung greifen am rechten
Ort bedeutsam ein: Kuckuck, Vogel Bülow, Elster,
Eichelhüher und Wiedehopf.

Es lichtet sich der Wald. Der von Moos und
Farrenkraut umsäumte Rauschebach besinnt sich und
sließt ruhiger. Er weitet sich allmählich aus zu
einem Sumpf und Teich. Schilf, Rohr, Binsen,
Weidenröschen, Dolden, Spirüen und niederes Laub-
gebüsch tritt an Stelle der ernften, beschaulichen,
düsteren Fichten. Tiefinnig, sehnsuchtsvoll in schwellig
langgezogenen, süß schmelzenden Tönen der Liebe
stimmen Nachtigall und Rotkehlchen ordnungsgemäß
das Adagio der Symphonie an. Mit gleichmäßig
bewegten, welligen Nocturnosechzehnteln begleitet das
flinke Völkchen der Schilf- und Rohrsänger die wech-
selnden, reich kolorierten Mozartmelodien. Langsam
weiter am Waldrande entlang, zwischen Parks, üppi-
gen Wiesen und umheckten Gärten hin, zieht sich die
Wanderung. Hier musizieren voll Feuereifer das
Meifen- und Grasmückenvölkchen, der Fitis mit seinem
Silberstimmchen, Grünling, Stieglitz, Girlitz und Gelb-
spötter die ausgelassenen Weisen des Scherzo und
Finalrondo im unbändig fröhlichen, echt Haydnfchen
2/4-Takt.

So erscheint die ganze Natur, wie dem Auge in
Licht- und Farbenschimmer aufgelöst, dem Ohre als
latente Musik. Das heißt eben für denjenigen, der
Ohren hat, zu hören — ach ja, der Ohren hat,
zu hören! Und alles, was da um uns rieselt,
rauscht, sprudelt, raschelt, singt und klingt in tausend-
facher Klangmischung — ist es doch gewissermaßen
musikalischer Rohstoff, daß dasjenige, was


wir unter den drei Grundelementen der Mufik be-
greifen: Melodie, Harmonie, Rhythmus, als aus der
Riesenretorte des Naturlebens gewonnenes Destillat
übrig bleibt. Was nur die Tonkunst in herzbewe-
genden Klängen auszudrücken vermag, ist geschöpft
aus der ewigen Ursymphonie der Natur. Jede Stim-
mung tönt darin: Freude, Schmerz, Sehnsucht und
Liebe, Melancholie, Angst und Verzweiflung — sie
tönt im unendlich mannigsaltigen Gesang der Vögel
vom burschikos fröhlichen Finkenschlag bis zum drohend
unheimlichen Pfeifen des Habichts, dem gespenstischen
Schnarren des Nachtmahrs und dem grausigen, Mark
und Bein erschütternden Schrei des Uhus. Ja, die
ganze Natur tönt dem, der sie hören kann, die Natur
im tiefsten Frieden sonnenverklärter Maienschönheit bis
zur dämonischen Zerstörungswut des Sturmes und der
zermalmenden Erhabenheit des Gewitters. Man
denke an die Donner- und Sturmepisode in Beethovens
„Pastorale"-Symphonie, wie auch an das Vorspiel
zu Wagners „Walküre". Von Beethoven erzählen
die Biographien, daß eine enthusiastische, ganz Jean
Paul-Hafte Naturliebe das Glück seines Lebens ge-
wesen sei. Und er pflegte von feinen Wanderungen
durch die Berge und Wälder um Wien mit gefülltem
Skizzenbuche heimzukehren. Jn Webers „Freischütz",
in Wagners „Nibelungenring" (am reichsten und köst-
lichsten im „Siegfried"), in Beethovens Sonaten,
Streichquartetten und Symphonien (die „Pastorale"
gar nicht einmal mit besonderem Nachdruck hervorzu-
heben) haben wir die großartigsten Muster musikalischer
Wiederspiegelung des Naturlebens. Zur Revision der
schier unbegrenzten Ausdrucksmöglichkeit musikalischer
Naturmalerei und -Symbolik vertiefe man sich in die
genannten Werke, — und mam wird Wunder er-
leben.

Um das höchste und schönste Ziel des Natur-
genusses zu erreichen, gilt es, so zu sagen, Natur-
Wagnerianer zu werden. Wie der echte Kunst-
Wagnerianer im „Kontrapunkt der Künste", als im
einheitlichen Zusammenwirken aller Künste zur
Schaffung des „Wort-Ton-Dramas" sein Kunstideal
erblickt, so sieht der Natur-Wagnerianer im Kontrapunkt
der Naturbetrachtung, als im einheitlichen Genießen
der Natur mit den beiden edelsten Sinnen, sein
Naturgenußideal.

Illarl Höble.

u nds ck A u.

Dicktung.

* Hcböne Ltteratur.

Sein R e ch t. Die Geschichte einer Leidenschaft.
Roman von Karl v. Persall. (Berlin, Köln, Leipzig
Albert Ahn. Mk. geb. Mk. 5.—)

Das neueste Werk des begabten Romanschriftstellers
hat mich, ich will nicht gerade sagen, enttäuscht, aber doch
in einer Beziehung bedenklich gemacht. Es ist eine Hof-
geschichte aus der Gegenwart. Ein Offizier, der bei einer
Explosion den linken Arm verloren, wird Hofkavalier einer
Prinzessin, deren Gemahl ein brutaler Mensch ist, und
 
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