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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 18
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0289

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1Kunds cb n u.

Dicbtung.

* Kcbönc Literatur.

V o »r Morgen zumAbe n d. Ausgewählte Gedichte
von Wilhelm Jensen. (Weimar. Emil Felber.)

Vielleicht bringt diese Answahl, „Voin Morgen zum
Abend". zu stande, was die einzelnen Bände Jensenscher
Gedichte nicht zn stande gebracht hnben: seinen Namen
als Lyriker bei Pnbliknm und Kritik einigermaßen zur
rechten Geltnng zu bringen. Einzusehen, warnm dies
nicht schon lüngst geschehen, wird inir schwer: Znge, die
nach Geibel und Heyse hinüber weisen, hätten, meint man,
die „Alten" und andere wieder die „Jnngen" gewinnen
mnssen, zn denen ja Jensen nach Bartels' Ansicht als Ly-
riker geradezn einen llebergang bildet. Ganz gewiß ist
jedenfalls nach Answeis dieser Sammlnng, daß Iensens
lyrische Poesie Jahrzehntelang sehr nnterschützt worden ist.
Neben die nnsrer Großen allerdings darf sie nicht gestellt
werden, dazn ist sie zu reflektorisch, zu rednerisch, zu
wenig, nm das Wort unseres vorigen Leitaufsatzes zu ge-
branchen, „spezisisch"; „llrgesnhle" „krystallisieren" sich in
ihr nur ganz selten einmal. Was anf das große Publi-
knm am meisten wirken wird, sind sogar rhetorisch-didak-
tische Schlager, die sür mein Empfinden das Zeichen des
in künstlerischer Beziehnng Gemachten ganz nnverkennbar
an sich tragen, indem einem Rätselworte in der lleberschrift
<z. B. „Der Herrscherin") die Auflösung lz. B. „die
Phrase") im letzten von vielen Versen nachsolgt. Hoch-
erfreulich wirkt aber der Band trotzdem. Zunächst ein-
mal: er ist überaus reich; das Leben eines das Mensch-
liche tief innerlich erfassenden Mannes von echtem Würde-
nnd echtem Freiheitsgefühl hat sich hier in durchweg ehr-
lichen Gedichten mit sehr mannigfaltigen Bildern gespiegelt.
llnd wenn Jensens Gedichte nur sehr selten einmal die
meist echt lyrisch empfnndene Grnndstimmnng als solche
ganz rein zu erhalten vermögen, so stören doch wieder
bei vielen die Stellen, in welchen seine Kraft nnchläßt,
i nur recht wenig. Besonders reich an gnten Früchten
scheint für Jensen der Anfang der siebziger Iahrr gewesen
zn sein; seine „Lieder ans Frankreich" überragen das meiste
unsrer oft so schwachbrüstigen Kriegslyrik nm Hanptes-
länge, und der Zyklns „llm meines Lebenstages Alittag"
ist nicht nnr ein gutes, sonoern ein mahrhaft edles Werk.
Gedichte dann, wie das ergreifende Erlebnis „am
ersten Sarge" oder das dichterisch ebenso hochstehende von
den „seltsamen Genossen", dessen wehmütige Grnndstim-
mung sich in noch manchem schönen Stücke abwandelt,
sollte jeder ernste Mensch soznsagen in sein Trostbuch,
in die poetische „Hanspostille" aufnehmen. A.

Roderich Löhr. Roman von Ernst Eckstein.
sBerlin, G. Grotesche Verlagsbuchhandlung, Nlk. 7.)

Ernst Eckstein soll, nachdem er die nicht mehr zeit-
gemäße Erzeugnng von archüologischen Romanen anfgo-
geben, einen guten modernen Roman, „Familie Hartwig",
geschrieben haben. Jch kenne diesen leider nicht; wenn
er das Prädikat „gut" aber wirklich verdient, dann muß
er unendlich viel besser sein, als das vorliegende neneste
Werk, „Roderich Löhr". Dieser Roman schildert einen Jo-
hannistrieb und seine Folgen. Ein bald vierzigjähriger
Mann, der dnrch eine nnvermutete Erbschast Grotzgrund-

besitzer und vielfncher Millionär geworden ist, wird von
einer rasenden Leidenschaft sür ein junges Mädchen — Gat-
tung herzlose Kokette ergriffen nnd verstöht, nm die
Geliebte heiraten zn künnen, seine brave Frnu, die sichs
übrigens gefallen lützt. Die Ehe füllt ans, wie zn er-
wnrten, Roderich Löhr wird von seiner Fran betrogen,
sie macht sogar einen Versnch ihn zu vergiften, als er
seinen Nebenbnhler gefordert hat; in dem Dnell wird er
schwer verwundet nnd stirbt in den Armen seiner ersten
Fran, während sich die zweite, des Mordversnchs ange-
klagt, im Gefängnis tötet. Man sieht, der Stoff ist nicht
sonderlich originell, nnd wer den Roman liest, wird
sehen, datz es nnch die Eharaktere und das Milieu nicht
sind; Eva, die ziveite Fran z. B., die rein auf üntzeren
Lebensgenntz und grotze Reprüsentation erzogene Tochter
einer verschnldeten Gutsbesitzersfamilie, trifft man beinahe
in jedem modernen Sensntionsroman, von ihrer inneren
Verwandtschaft mit der Sidonie in Daudets „Fromont jnn.
und Risler sen." nnd ähnlichen Gestnlten noch ganz ab-
gesehen; auch Roderich Löhr ist nicht das geworden, was
ein wahrer Künstler nus ihm hütte machen können, und
die Nebengeslalten gar sind fast nlle ein wenig ober-
flächlich gehnlten. Das Detail serner ist oft sehr sorglos !
behandelt: so redet beispielsweise einmal die jüngere
Fran die ältere fast vierzigjährige „armes, armes Ding"
an. Aber völlig „verdammen" mag ich das Werk doch
nicht, es hat etwas harmloses, gemütliches, trotz seiner
„grausigen" Szenen, ist im alten ehrlichen dentschen Er-
zühlerstiel geschrieben, trotz mancher Anstrengnngen, mo-
dern zu erscheinen, — ja, ich möchte sagen, der friedliche
Geist des Blümchenkaffees, der in dem Romane hier und
da getrunken wird, schwebt über dem Ganzen; man hat
stets die wohlige Empfindung, datz Eckstein einem „nichts
thut". Znm Schlutz versncht ers allerdings; nicht nnr
mntz Roderich Löhr sterben, anstatt mit seiner gnten Al-
wine wieder glücklich zn werden, anch der Künstler Kon-
rad Storm kriegt seine geliebte Marianna nicht übrigens
die relativ beste Gestalt des Bnches, Leipzigerschen nnd
Dresdenerischen Ladenmüdchen ganz gut abgesehen. Wes-
halb diese nnnötigen Gransamkeiten, die den Totalein-
druck nnr verderben^ Adolf Bartels.

Das Rätsel des Lebens und andere Charakter-
bilder. Von Pau l H ey se. jBerlin , Wilhelm Hertz.
Mk. 5.)

Wenn man nicht von vornherein mit falschen An-
sprüchen an diese Charakterbilder herantritt, so künnen sie
einem wohl gefallen. Jn allen sieben Stücken, die der
Band enthült, erzählt der Dichter von persönlichen Be-
gebnissen mit merkwürdigen Alenschen, wie sie sich auch
in unserer nivellierten Gesellschaft noch immer hier nnd
da finden, erzählt schlicht und einfach, wie man etwa in
seiner Selbstbiographie erzählen würde, und ruft dadurch
den Eindruck unbedingter Wahrheit heroor. Kein Zweifel,
wenn ein Moderner mit vollausgebildeter moderner Technik
dieselben Stoffe behandeln würde — und sie „liegen" alle
auch dem Modernen —, so würde ein wcit stürkerer nnd
wohl anch mehr künstlerischer Eindruck erzielt werden,
ihre volle Berechtignng hat nntürlich aber anch diese „bio-
graphische" Weise, die zn dem Dichter in nnmittelbare
Beziehung setzt. Das erste der Charakterbilder, „Der
Dichter nnd sein Kind", schildert einen der nicht seltenen
 
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