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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 14
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Rath, Willy: Vom Pathos
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0223

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licnischen, spanischen, portugiesischen, sranzösischen
Dichtung ist stets dem Schwung der Rede, dem
Klang der Verse, der Eleganz des Ausdrucks, dem
Glanz der Komposition ein vielmal größeres Ge-
wicht zugestanden worden, als den inneren Vorzügen.
Bezeichnend ist, daß die Romanen gar keine Empfin-
dung sür das Wesen der eigentlichen, der „lyrischen"
Eyrik haben. Daher tanschen Jtalien, Spainen und
Frankreich Lyrik untereinander aus, aber nicht mit
Deutschland. Es wäre oberslächlich, dies durch die
Aehnlichkeit der dem Latein entstammenden Sprachen
allein erklären zu wollen; der wesentliche Grund ist
in der That darin zu suchen, daß diese Literaturen
aus dem Pathos beruhen, das dem deutschen Cha-
rakter, der deutschen Sprache und demnach der deut-
schen Dichtung sremd ist. Schillers Hinneigung zum
Pathetischen kennzeichnet nur die eine Seite des
schwäbischen Charakters (die andere weist auf das idyl-
lisch Humoristische); daß sie undeutsch ist, empfinden wir
alle, sobald die Jünglingsjahre hinter uns liegen.

Ein besonderes Kapitel verdiente die Stellung
des Judentums zum Pathos. Die Semiten sind das
Volk der Extreme: religiöser Eifer und kynischer Ma-
terialismus sind die heroorragendsten Momente ihres
Charakters. Sie sind von jeher ein unkünstlerisches
Volk, aber ein anregendes i^ar sxosllsnoa gewesen.
Auch in der Gegenwart haben sie trotz allem Fleiß
und aller Gewandtheit, trotzdem sie wenigstens in
Literatur und Musik in verhältnismäßig großer Zahl
vorhanden sind, kaum einen hervorragenden schöp-
serischen Geist. Dagegen sind sie bei jedem Fort-
schritt der letzten Zeit die Anreger, die feinsinnigsten
Kritiker, die glänzendsten Virtuosen und —- beinahe
die einzigen zahlenden Förderer gewesen. Auch hier
verbinden sie die Extreme: sie kommandieren die
Künste — und sind künstlerisch unproduktiv. Das
letztere hängt damit zusammen, daß fie eben auch
wesentlich pathetisch veranlagt sind. Und zwar ist
das Gesinnungspathos ihre Stärke, sie sind die
Meister der Tendenzkunst. Verzichten sie auf jede
Leitidee, so berauben sie sich selbst ihrer besten Waffe.

Auch das äußere Pathos zeigt sich heute noch in
ihrer Produktion, sei sie in Wien, Berlin oder Paris,
in Warschau, Mailand oder London entstanden. Da
es aber vielfach zu ihrer modernen Weltanschauung
nicht stimmen will, haben Sie es mit Jronie oder
Selbstironie zurückzudrängen versucht. So entstand
eine Mischung: die Geistreichigkeit, der allmählich auf
alle Künste und Wissenschaften fich übertragende
Feuilletonismus. Natürlich ist das Charakteristikum
nicht auf alle anwendbar: viele deutsche Schriftsteller
jüdischer Abstammung haben ehrlich verfucht, deutsche
Art sich anzueignen, und manchen davon ist es ge-
lungen, so daß niemand mehr aus ihrem Stil den
Jroniker erkennt. Umgekehrt hat mancher Arier sein
schwerfälliges Deutsch durch feuilletonistische „Brillan-
tine" gelenker zu machen verfucht.

Es gibt aber eine Art von Pathos, die in den besten
Dichtungen und sonstigen Kunstwerken aller Völker
zu finden ist. Der moderne Naturalismus hat mit
Unrecht versucht, sie zu vernichten; er ging daran
zu Grunde. Es ist gesteigertes reines Gefühl in auf-
schwänglich jnicht überschwänglich) gesteigertem Aus-
druck, es ist Harmonie innerlicher und äußerlicher
Größe und Wärme, — es ist echtes, ist i n n e r-
liches, ist H e r z e n s p a t h o s. Der Ausdruck
ist gehoben, aber nickst erbreitert, noch drapiert. Dieses
Pathos, dem man sonst noch mancherlei Namen
geben mag, zeigt sich nicht nur im Hochtragischen, im
sogenannten „Erhabenen", das bei den altenAesthe-
tikern bis auf Gustav Freytag seine Rolle spielt,
sondern es kann sich in jedem ernsten Kunstwerk zeigen,
im „Faust" wie in einem lyrischen Stimmungsbild,
in der ,,80nat6 patstätieiuo" wie — nol6v8 vol6N8
— in „Nana", in einer Aktzeichnung oder Land-
schaftsradierung. Es ist schließlich jenes ungreifbare
Etwas, das ein gutes Bild von einer Photographie
unterscheidet. Möge dieses wohlverstandene Pathos
in unserer gesamten Kunst alle anderen Arten ver-
drängen, denn es allein schafft mit Natur Kunst aus
Natur. . Miilv i^atb.

N u n d s cb a u.

DLcKtUNg.

* Hcböne Literntur.

^rübschein. Geschichten vom Ausgang des großen
Krieges von I. I. David. (Leipzig, Verlag von Georg
Heinrich Meyer).

Daß ein moderner, noch ziemlich junger Schriftsteller
in einer Vorrede eingesteht, zu irgend etwas reiche seine
Krast nicht, kann man fast ein Wunder nennen. Der seltene
Vogel, der es thut, ist der Wiener I. I. David, als Ly-

riker auch weiteren Kreisen bekannt, und die künstlerische
Aufgabe, die er nicht erfüllen zu können meint, ist die
Darstellung des dreißigjährigen Krieges. Nun, die ist
nicht eben leicht; daß David aber tiefer in den Geist jener
Zeit eingedrungen ist, lehren die vier Geschichten, die der
Band enthält, auf alle Fälle, sie wachsen ganz natürlich
aus den Zeitverhältnissen hervor und behandeln zugleich
allgemein - menschlich ergreifende Probleme. Von jetzt
lebenden deutschen Dichtern haben, soviel ich weiß, nur
Wilhelm Raabe und Wilhelm Jensen ähnliche Gegenstände


--

D-

2,3
 
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