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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 17
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Bartels, Adolf: Specifische Lyrik
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0272

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meine Unterscheidung anninnnt und dabei etwa noch
sich natürlich ergebende Unterbegriffe wie bei der
spezifischen Lyrik plastisch, malerisch, musikalisch, bei
der Gelegenheitslprik berichtend, beschreibend, raison-
nierend (daß eiu wirkliches Lyrisches Gedicht nie

berichtet, beschreibt, raisonniert, diese Worte also nur
andeuteu sollen, brauche ich mcht des Nähern zu
erörteru) anwendet. Hoffentlich ist es mir wenigstens
gelungen, meine neueu Begriffe gesühlsmäßig
klar zu machen. Ndolk Warkels.

1K u u d

Dicbtung.

. Dramenlikeratur.

Neben der Literatur, die unsere Bühnen beherrscht,
gibt es eine stattliche, nach Wert nnd Zahl freilich sehr
verschieden geartete dramatische Literatur, die den Weg
in die breite Oeffentlichkeit nicht findet oder gar nur von
einem engsten Kreise, von Berufsleuten, kennen gelernt
wird. Jn dieser Welt wollen wir von nun ab hier und
da einmal eine Rundschau halten, ohne striktes Programm
das, was uns bemerkenswert erscheint, herausgreifen,
gleichviel ob es Buchdrama geblieben ist, oder irgendwo
ein Mal auf kurze Zeit das Lampenlicht gesehen hat.

Zunächst interessieren uns drei historische Dramen.
Die Schweiz rühmt sich, in Arnold Ott einen drama-
tischen Dichter von markiger Kraft und heißem Tempera-
ment zu besitzen. Wir hoffen demnächst noch mehr von
ihm berichten zu können. Jn einem kürzlich an einem
größeren Theater der Schweiz mil Erfolg aufgeführten
einaktigen Trauerspiel: „D i e F r a n g i p a n i" (Luzern,
H. Keller) scheint uns Ott, endlich einer, eine glückliche
Lösung des unseren jungen Dichtern und auch den alten so
gefährlich gewordenen Konradin-Themas gefunden zu haben.
Er stellt nicht den Hohenstaufen als Helden in den Vor-
dergrund, sondern den Grafen Johann Frangipani, der
den ihm ahnungslos in das Garn laufenden Konradin
an seinen Henker ausliefert. Jn den knappen Raum von
wenigen Stunden drängt sich das Schicksal Konradins
und seines falschen Wirtes, drängt sich eine Fülle rasch
auflodernder und rasch in Asche versinkender Leidenschaft,
erfüllt sich der Fluch der schurkischen That, deren Früchte
keiner pflückt, der sich an ihnen zu laben hoffte. Es ist
düstere und schwüle Spannung in diesem Stücke, dumpf
lastend, wie der Himmel vor einer unerhörten Gewitter-
nacht. Frangipani, ein schwacher, aber habgieriger und
jeder Falschheit fühiger Mensch ist nur ein Werkzeug in
der Hand seiner kühnen, stolzen Frau, die an Konradin
Blutrache zu nehmen gedenkt für Kränkungen und Wun-
den, die seine Ahnen ihrem Geschlechte schufen. Der
Anblick aber des vertrauensseligen Jünglings weckt in
ihr das Weib und die Hoffnung, mit ihm ein stolzeres
Los zu erringen, als ihrer wartet, wenn sie ihn verrät.
Der reifen Fran, die ihrer Macht bewußt ist, ist aber
der Reiz der holden, noch unerschlossenen Weiblichkeit
überlegen. Eine im tzerzen der Tochter, Bianca, auf-
keimende Neigung, die nicht unerwidert scheint, entfesselt
in der Brust der Gräfin noch den Dämon der Eifersucht,
und Konradins Schicksal ist besiegelt. Bianca sucht den
Tod. Zwischen den Eltern aber, die stets in Unfrieden
hausten, kommt es zu einem Streite, in dessen Verlaus
Frangipani das grausame Weib, die noch grausamere
Mutter ermordet. An dramatischem Leben fehlt es dem
Einakter nicht, er hat davon mehr als zehn andere

^-

s cl) a u.

Konradindramen. Vielleicht folgt That auf That zu rasch,

^ und der Hörer wird erdrückt. Aber es bleibt zu bewun-
dern, wie sicher und treffend der Dichter jede Wendung
i zu motivieren weiß. Wie die Charaktere durch sich selbst
und durch die Reslexe in den Nebenpersonen beleuchtet
werden, ist sehr zu rühmen. Und die Energie, die der
ganze Wurs bekundet, tritt auch in der Sprache hervor,
die knapp, tief und von anschaulicher Kraft ist und Em-
pfindungen und Gedanken in plastische Bilder umwertet,
die durch ihre Fülle und Rundheit überraschen und doch
aus der Situation wie notwendig herauswachsen. Eine
kleine Probe aus einem Monolog der Gräfin Frangipani:
„Ein Held im Flügelkleid! Wie königlich der Wuchs!
Der Sinn wie kindlich und voll Hoheit doch!

Wie weich die slaum'ge Wange, Küsse sordernd!

Von reinem Scheitel sließt das Glanzgewell
Der Locken nieder in den blühnden Nacken,

Als hätte alles Kronengold der Ahnen
Verflüssigt sich, des Enkels Haupt zu schmücken
Um es zu seien vor der Feinde Beil! —

Könnt ich verraten ihn? Sein strahlend Aug zerriß
Mein grau Gespinnst, zeigt mich als ekle Spinne,

Jns eigne Netz verstrickt." — — — —

Das letzte Stück einer Dramenreihe, mit der Wilhe lm
Weigand den Versuch machen will, einige der bedeut-
samsten Schicksalsgestalten aus der Zeit des Niederganges
der italienischen Renaissance für die deutsche Bühne zu
gewinnen, ist die Tragödie in fünf Akten: „Lorenzi no"
sMünchen, H. Lukaschik). W. Weigand ist zu diesem Stück
durch Mussets Lorenzaccio angeregt worden, er steht aber
wie unter dem Einfluß dieser von Sarah Bernhard aus-
gegrabenen Dichtung, so auch unter dem Shakesperes
stzamlet» und Schillers (Fiesko). Nicht nur gemahnt' das
Auftreten seines tzelden, der sich zum Narren des Her-
zogs Alexander de Medici macht, um desto sicherer seine
revolutionüren Pläne ausführen zu können, an den
Genueser und an den Dünenprinzen, die sich einer ähn-
lichen Maske bedienen, auch für die Figur des skrupel-
losen Scoronconcolo hat eine bekannte Figur Muley
Hassan, Modell gesessen. Das ist kein Vorwurf, noch
weniger die Bemerkung, daß die Volksszenen, die außer-
ordentlich lebendige Schilderung der Unterdrückung des
Adels, der Sklaverei der Bürger, des Mißbrauches der
Gewalt von Shakespere stark beeinflußt sind: dieser
Muster braucht sich niemand zu schämen, der sie mit
Geist studiert hat. Die dramatische Ader aber des Werkes
ist ziemlich schwach, die Charakteristik, die Psychologie
des Helden, des Zeitalters macht sich zu breit und der
Zweifel, ob Lorenzo denn schließlich der Mann wäre,
das Werk, das er geschaffen, auch zu erhalten, ist nicht
ganz unberechtigt. Als geschichtliche Tragödie hebt sich
jedoch Weigands Lorenzino durch die Echtheit des Kolo-
j rites, die Lebendigkeit der Charakteristik weit über das
Maß der üblichen Geschichtsdramatik hinaus, und wir
wünschen dem Stücke sehr, daß es an einer leistungs-
 
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