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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 1
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Avenarius, Ferdinand: Ein Traum, oder mehr?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0011

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Lrstes Gktoberbett tSS6.

l. Dekt.


Derausgeber:

Zferdinand Nvenarius.

Bezugspreis:
Bierteljährlich Mark.

10. Zadrg.

Lin Trnuin. oder lnekr?

uns liegt ein wundersames Doknment.
Der es geschrieben hat, als eben der
Frieden von Franksnrt geschlossen war,
geschrieben als eine Art Testament, war
ein greiser Kunstrezensent, den die Gegenwart höher
schntzen ivürde, als seine Zeit, die nun vergangene,
ihn geschätzt hat. Vielleicht werden manche unserer
Leser über mancherlei in seinen Worten lächeln.
Sei es darum, uns drängt es doch, mit diesem Ver-
mächtnisse den zehnten Jahrgang nnseres Blattes zu
erösfnen.

Mai ist's, und die Lerchen singen draußen vom
Auserstehen der Gotteswelt. Aber ihre sernen Hymnen
schweben nur wie ein leiser Kindergesang über
ernsteren, seierlichen Akkorden, denn mit müchtigen
Wellen brandet an mein Haus Glockengeläut. Gott
im Himmel, es ist F r i e d e n s geläut! Du bist ver-
wirklicht worden mit Blut und Feuer, Sehnen unsrer
Jugend, dentsches Reich. llnd ich soll jetzt gerade
über die Bilderchen schreiben drübpn im Kunstverein
oder übcr die Bücherchen dort aus meinem Tisch?
Nein, heute laßt mich träumen! Ja, trüumen
will ich eine Stunde lang von dir, dn deutsches Reich,
in dem mein Leuerstes Heimat finden wird, meine
deutsche Kunst, von dir ats von ihrer Heimat, träumen
mit Schnee im Haar von dem Frühlinge, den ich
nicht mehr sehen werde.

Aus den Schlachtseldern Frankreichs hast du,
mein Volk, den E r n st gelernt, nicht einen tranrigen,
mürrischen Ernst, denn du darsst ja stolz und sröhlich
sein, — den Ernst jedoch, der in allen Dingen aus
das Wesen geht. Du wirst wahrhastig
werden, mein Volk. Du wirst sorschen nach den
Wurzeln deiner Krast, auf daß du sie stürkest, sorschen
nach den Banden, die deinen Wuchs behindert haben
bis jetzt, aus daß du sie lösest. So herrlich viel im
Kamps du gewonnen hast, der Boden ist's ja erst,
nicht schon der B a u. Laß das Gebäude des Neuen
Reichs keinen kalt weithin blinkenden Palast, laß ihn
ein rechtes Wohn haus werden sür alle darinnem
Du kannst es, wenn du ihn zum Ausdruck deines,
nur deines Wesens machst, deiues tiefsteu und
besten Wesens.

Du bist nicht hart, mein Volk, wenn du das
erzwingst. Fremdes liebevoll auszunehmen, war dein
schönes Vorrecht von je, gib ihm seruer Achtung uud
Freundschaft, nicht aber Gesolgschaft und'Dienst, laß
nicht zum Herreu des Hauses werden, der dir ein
werter Gast ist, denn es köunten darunter kümmern
die deines Blutes, die dciue Kinder sind. Huldige
serncr den Göttern Griecheulands ehrsürchtigen Grußes,
nicht aber bete sie fürder nn. Freue dich ferner
srünkischeu Geistes, aber laß ihn nicht herrschen über
Bühne und Buch. Einst hast du eine Kuust gehabt,
mein Volk, so schön wie je ein anderes unter den
 
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