Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

DOI Heft:
Heft 19
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0304

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


N u n d

Dicdtung.

* Scböne Ltternrur.

Vox KumLna. Von Alfred Meebold. (Berlin XtV.
Karl Duncker, Mk. 2.40.)

Etwas, was die moderne Literaturbewegung untcr
anderm auch gezeitigt hat, ist eine große Verachrung des
Publikuurs. Gut, die ist zum Teil berechtigt, — aber ich
möchte doch den alten Standpunkt, daß, iver sich ernsthaft
der Literatur widmet, danach zu streben hat, nicht Allen,
aber den Besten seiner Zeit genug zu thun, im allge-
meinen festgehalten wissen. Wer von den Allerjüngsten
zur Feder greift, der scheint nur sich selber, seine anbetende
Familie und etwa noch seine nüchsten Freunde als die
„Besten" zu klassifizieren und den übrigen Teil der lesenden,
Menschheit zu verachten als einen Haufen von Duminköpfen
die zufrieden sein können, wenn rnan ihnen überhaupt
etwas zukoinmen läßt. Jn der That, nach der großen Revo-
lution der Literatur ist nun die Zeit des Direktoriums
einiger „Führender" gekommen, die seune88s lloree sängt
an das Feld zu beherrschen, und man fühlt sich veranlaßt,
das Schlagwort vom „Gigerltum in der Literatur" zu
prägen, selbst, wenn man nicht zu den Jakobinern von
Anno ;885 und i88ü gehört hat. Auch diesc Verössent-
lichung von Alsred Meebold beweist, daß ich nicht Ge-
spenster sehe; unter den sieben mehr oder minder skizzen-
haften Stücken, aus denen sie sich zusammensetzt, sind vier,
die jeder Dichter der älteren Generation sich geschümt
hätte, in einem Buche drucken zu lassen, so osfenbar sind
sie das reine Nichts. Der Rest beweist immerhin, daß
Meebold Talent hat, er behandelt sreilich (in ..Vox IwwLnkV
und „Hochzeitstag") Stosfe, wie sie vor ihm die erste
Generation der Stürmer und Dränger behandelt hat, aber
er behandelt sie doch in selbständiger, feinerer, nervöserer
Weise als seine Vorgünger, eben für den Salon — das
Talent jedoch verpslichtet, und so wird Meebold gut thun,
bei einer künftigen Buch-Verösfentlichung das schlechthin
Unbedeutende sdas ja als Füllsel der Zeitungen unter
Umstünden gedruckt werden darf) beiseite zu lassen. Wenn
er das internationnle Salonparfüm bis dahin auch ver-
löre, so hätte ich wenigstens nichts dagegen einzuwenden,
aber das haftet ostmals nicht an den Kleidern, sondern
an den Seelen. Adols Bartels.

Ulu seu a l 111 a u a ch Berliner Studeuteu. (Berlin,
Schuster K Lösfler, Mk. 2.)

Wie zuerst die Göttinger, haben nun nuch die Berliner
Studenten einen Musenalmanach herausgegeben. Es sind
dreiunddreißig Teilnehmer da, darunter zwei oder drei,
denen man auf Grund der mitgeteilten Proben ihrer
Poesie den Ehrennamen hoffnungsvoller Talente erteilen
kann, und zwar den Herren Hans Brennert aus Berlin,
A. Tielo aus Tilsit und vielleicht Paul Viktor aus Berlin,
der mir annühernd seine sümtlichen Werke, u. a. ein Drama
nach einer Episode des Mahabharata, in diesem Buche
untergebracht zu haben scheint. Von den übrigen hat der
eine oder andere ein hübsches Gedichtchen beigesteuert,
die Mehrzahl aber nur spmbolistisch angehauchte Gigerl-
Poesie. Jawohl, Gigerlpoesie, ich kann mir nicht anders
helsen, die Jüngeren der Jüngsten haben es glücklich soweit
gebracht, daß man zur Lharakterisierung ihrer dichterischen
Bestrebungen an die Erscheinung des Gigerltums im mo-

s cb a u.

dernen Leben erinnern muß. Herrgott, wenn ich an den
Sturm und Drang der achtziger Jahre denke, an die
Gereisteren vielleicht auch lächerlich erscheinende, aber doch
durchaus ehrliche Himmelsstürmerei, den wilden Trotz,
den düstern Schmerz der damaligen Jugend — und nun
diese sansten Heinriche betrachte, die Madrigale und
Rondeaus reimen und nach charakteristischen Eigenschafts-
wörtern suchen, bei denen kein Gefühl ohne weibische
Koketterie zur Darstellung kommt! Es wirkt nachgerade
komisch, wenn diese modcrnen Poeten, angeblich aus
Furcht vor dem Konventionellen, in Wirklichkeit aber um
zu scheinen, was sie nicht sind, nümlich originelle Geister,
nur noch auf das „schmückende Beiwort" ausgehen, ganz
unbekümmert darum, daß sie durch diese Sucht, charak-
teristisch und sarbig zu ersiheinen, den Glauben an die
Wahrheit ihrer Empfindungen geradezu vernichten. Selbst
die talentvollsten unterliegen dem Zuge der Zeit und
dichten:

„Jch aber hielt nn mein schreitendes Roß am kühlen

blüulichen Sunde

Und sah in die wonnige Nacht und dachte dcr traurigen

Todesstunde."

Kein Substantiv mehr o.hne Adjektiv — die großen
Lpriker der Vergnngcnheit, Gocthe und Mörike an der
Spitze, haben aber gerade in ihren bewundernswertesten
Gedichten jedes Adjektiv vermieden, „Ueber allen Wipfeln
ist Ruh" enthült kein einziges, Mörikes „Berlassenes Mägd-
lein" nur das „treuloser" zu Knabe. Natürlich, es kann
auch mit Adjektiven ein gutes Gedicht entstehen, aber die
moderne Wut auf Farbe ist nahe daran, alles spezifisch-
lprische zu verschlingen und die deutsche Dichtung zu dem
Schwulst und Bombast der zweiten schlesischen Schule,
bei der auch die Beiwörter die Hauptsache waren, zurück-
zusühren. Wagt ein Dichter, wie etwa Martin Greif, nach
Einfachheit und Schlichtheit des Gesühlsausdruckes zu
streben — ich verkenne nicht, daß Greif ost zu weit geht
und zu gemachter Einfalt gelangt, — so wird er wie ein
Schulbube behandelt; „Martin Greif sollte sich schämen",
wagte neulich eine der modernen Größen zu schreiben,
als der Dichter irgend eine der Wendungen gebraucht
hatte, die in der deutschen Lprik hergebracht und unver-
meidlich sind, so gut wie gewisse Reime. Und wie auf der
einen Seite das an und für sich ja höchst berechtigte Streben
nach dem charakteristischen Ausdruck zur Ertötung aller
inneren Wahrheit und auch zur Vernichtung dessen, was man
„innere Forin" nennt, geführt hat, so führt aui der anderen
die den modernen Franzosen nachgeahmte Spielerei mit
üußeren Form- und Wortreizen (die übrigens ja auch bei
uns schon einmal da war, da die Romantik sie sogar in
das Drama einführte) zur absoluten Gehaltlosigkeit. Da
erhalten wir in diesem Musenalmanach Prachtstücke
wie das folgende:

O säume, Knabe, süume
noch bis zur Nacht.

O denke deiner Träume
vergangner Nacht.

Bis sie erfüllt sind
in nüchster Nacht.

O süume, Knabe, süume.

Bis dir enthüllt sind
in nüchster Nacht

Die Reize deiner Trüume,

0 süume, Knabe, süume.
 
Annotationen