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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 16
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0264

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Wert es auch fur den Erwachseueu l,at, sich eiuiual im
o;eiste iu deu Kunstblick des Kiudes, vau dem uus uu-
bemußt uoch maucher Rest anhaftet, zurückzuversetzeu.
Bor allem betout er, dntz matzrer Kunstgeuutz ohue inuere
uud eruste Rtitarbeit des Geuietzeudeu uudenkbar ist, datz
ivir daher der Abstumpfuug uuserer üutzereu uud iunereu
Siune durch die heute übliche Uebersättiguug uud das
Hasteu von einem Genutz zum nuderu eutgegeuarbeiteu
sollteu sEtwas zur Geschichte des Kuustblicks S. 5y).
Als der Sountagsphilosoph über die Touleiter im Musik-
unterricht (S. 20—38) geschriebeu hatte, trasen bei den
„Grenzboten" zwei Erwiderungeu vou Fachmusikeru eiu,
von Felix Dräseke uud A. L. Doualdsou. Hildebrnud geht
auf sie eiu.

Jch schlietzediesekuappeu Audeutuugeu mitdem Wuusche:
müchte eiue Neuausgabe, die gewitz bald uötig seiu wird,
eiu Sach- uud Namenregister, sowie die musikalischeu
Eutgeguungeu vou Drüseke uud Doualdsou als Anhaug
bringen; möchte sie vor allem eine billige Volksausgabe
werdeu, damit das Buch uicht wegeu seiues Preises
Tausendeu voreuthalteu bleibt!

Bersuche ich rückschaueud das Gauze zu überblickeu,
so liegt, wie mir scheiut, der Wert des merkwürdigen,
ja selteueu Buches vor allem iu seiuem Gehalt. Eiu
tief religiöser uud eiu gesuud uatioualer Zug siud seiue

Grundvesten. Uud eiue Fülle vou Weisheit birgt es,
vou Lebenserfahruug, vou gesuudeu Auregungeu, Ge-
daukeu, Beobachtuugeu. Wie viel sehlt uoch, datz solche
Ausichteu Gemeiugut weuigsteus uuserer Gebitdeteu
werdeu; aber sie müsseu es werdeu.

Uud dns Buch hnt nuch eiue kulturgeschichtliche Be-
deutuug: nls Stimmuugsbild nus unserer ereignisvollen
Zeit. Wie viele betrachten die Gegeuwart nls eiue vor-
wiegend alterude Zeit, als Zeit des Niedergaugs uud
Verfalls. Hier stellt ihr eiuer uuserer besteu Denker uach
lnngeu uud reicheu Beobachtuugeu eiu auderes Zeuguis
nus; wer weitz, ob nicht spätere Schilderer uuseres Werde-
gauges die Tagebuchblätter eiues Souutagsphilosopheu
als Prophezeihuug nuf die Zukuust anseheu.

Eudlich: Diese Blätter bieteu uus eiu Spiegelbild
der Persüulichkeit Rudolf Hildebrauds. Wie er sich hier
gibt, wie er hier leibt uud lebt, so war er wirklich. Die
Züge des edlen Gelehrteu mit der hochgewölbteu Stiru,
dem sorscheuden tiefblickenden Auge, dem Herzeu votl
Reiuheit uud Liebe — sie leuchteu uns hier sort uud fort
entgegeu. Sein sterbliches Teil mntzte dem Staube ver-
fallen, aber als stiller Mitnrbeiter wirkt sein Geist „unter
den Lebenden weiter zu Ehre und Nntzen des Bnterlnndes."

Iulius Sabr.

LpreckSAAl.

I>as Dekorative iu der bildendeu Ruust.

Das Publikum hat sich in langer Uebung entwöhnt,
das Bild auch nach seinem Zwecke als Füllung einer Wand-
släche zu betrachten. Die meisten lnssen dns Bild nnr als
solches auf sich wirken, sie besehen dns eine und dann
das, welches darüber hängt, das dritte und vierte. Sie
sehen immer nur Gegenstände, Bilder. Alles scheint ihnen
nur nn die Wand gehängt zu sein, damit es besser be-
trachtet werden könne. Galeriewesen, Ausstellungsjahr-
markt und Mangel jeden Sinnes sür den Schmuck des
eigenen Heimes — dies sind wohl die erheblichen Vor-
bedingungen für dieses Betrnchten des Bildes, gänzlich
losgelüst von der Umgebung. Aber sollte an dieserVer-
bildnng des Sehens und Genietzens nicht auch der Künstler
einen Teil der Schuld haben ? Hat es dem Künstler denn
auch vorgeschwebt, datz das Bild, das er schafst, auch
einen dekorativen Zweck haben soll, den er nicht vornehm
ignorieren darf, weil er damit auch alle Beziehung zum
Menschen, der auf der Erde hnust und sich wohnlich ein-
richtet, ignorierte? Man kann hier sagen: die Künstler
hätten keine Austräge bekommen, die solcherart gewesen
wären, datz sie eine dekorative Kunst hätten üben können.
Aber daran kann es nicht liegen. Denn ich glaube nicht,
datz dem Publikum über Nacht plötzlich wieder der Sinn
für das Dekorative gekommen sei, und dennoch sehen wir
die ersten starken Regungen bei Künstlern, datz das Bild
nicht mit seinem Rahmen aufhört, sondern datz sein Rah-
men der ganze Raum ist, in dem es hängt oder steht.
Also kein Auftrag, und tr 0 tzdem ! Und dies Trotzdem
sehr stark gesagt. Denn es haben die nicht Recht, die
meinen, der bilbende Künstler „dürfe keinem Zwecke die-
nen", er „passe sich dem Kunstgewerbe an" oder Lem
Geschmack des Pnblikums. Nein! Der Zweck der deko-
rativen Nlalerei ist ein durchaus. künstlerischer. Das Kunst-
gewerbe isr zumeist Handwerker-Psuscherei, es kann daraus
nur durch den Künstler etwas werden. llnd einen Ge-

schmack des grotzen Publikums kann man höchstens sür
Mondscheinbilder und Stillleben konstatieren. — —

Doch sprechen wir nicht von den Malern, sondern
uon den Künstlern. llnd sprechen wir, um rascher vor-
wärts zu kommen und ohne etwas über die Kunst des
Uhde ausmachen zu wollen, von einem seiner religiösen
Bilder. Einer hat sich einen Uhde gekauft, er hüngt ihn
in dasjenige seiner Zimmer, in dem ihn die meisten seiner
Güste sehen. Denn dem glücklichen Besitzer thnt es wohl,
seinen Besitz auch von andern sehen zu lassen. Wie auch
immer der Raum sein möge, in dem der Uhde allein
oder — weit hünsiger — mit andern hängt, ich weitz
nicht, ich kann mir diesen Raum nicht sehr wohnlich vor-
stellen. Luxus des Zimmers wird zu dem Armenleut-
bild eine schreiende Dissonanz bilden. Jst aber das Zim-
mer nicht luxuriös eingerichtet, sondern ganz einfach, als
ivollte der Hausherr sagen: nichts soll vom Uhde ablen-
ken, dann ist es eine Galerie, kein Wohnraum. Die Menschen
werden darin nur gerade so lange verweilen als sie das
Bild genietzen wollen; um sich auch sonst darin aufzuhalten,
dazu wird ihm die Behaglichkeit fehlen. Daß ich gerade
Uhde nannte, ist nicht das Ausschlaggebende; man kann
den Namen ändern, das allgemein Gesagte wird dadurch
nicht berührt, und dies ist: die Mehrzahl unserer Bilder-
kunst kann in der Galerie wohl gesehen werden, wird
aber den Wohnraum unbehaglich machen. Dies gilt be-
sonders von aller figuralenMalerei, vielleicht etwas weniger
von der Landschast, wenn sie eine bescheidene Wirkung hat,
am wenigsten vom Portrait. Jch sage nun nicht, es müsse
im Siune des Dekorativen gemalt iverden, ein Verlangen
so töricht wie aussichtslos. Aber es ist ein frohes Er-
eignis, datz wir auch wieder eine Kunst erhalten, die nicht
an Galerien und Ausstellungsräume denkt, sondern an
die vier Wünde, in denen wir leben und die wir uns so
schmücken wollen, daß wir gerne darinnen leben. -
 
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