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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 13
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Avenarius, Ferdinand: Waschzettel
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0205

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Lrstes Nprilbekt lSS7

13. Dett.


Iberausgeber:

zferdinand NvenarLus.

Bezugspreis:
Vierteljährlich 2P2 Mark.

10. Zadrg.

über

DWung. Tdkülcr. Rufit uni> fiili>mi>k Rtinfik.



Mnscdzettel. .

^ir haben vor einem Bierteljahre eine
kleine Liste von großen und vornehmen
Zeitungen gebracht, die nachweislich
aus Waschzetteln abdrucken, selbst vom „Deutschen
Reichs- und Königlich Preußischen Staatsanzeiger"
erlaubten wir uns, das zu behaupten. Die ge-
nannten Redaktionen machten wir daraus ausmerksam,
„daß es sich im Jnteresse ihres Ansehens empsehlen
dürste, uns wegen Verbreitung verleumderischer Be-
hauptungen zu oerklagen." Es hat uns keine ver-
klagt, es hat uns nicht einmal eine widersprochen.
Sie haben uns geschont, die Guten, sie haben ge-
schwiegen. Nur e i n Blatt in der gesamten deutschen
Presse hat die Sache überhaupt ausgenommen, die
„Kölnische Volkszeitung", — die hat aber leider ge-
sagt, wir hätten Recht.

Was wird denn nun? Bleibt es einsach aner-
kannt, daß die große Mehrheit aller auch durch die
„gute" und „beste" deutsche Tagespresse verbreiteten
literarischen Urteile nichts weiter sind, als Abdrücke
von Waschzetteln der Verleger? Hält das eigene
Jnteresse und das sreundwilliger Kollegialität den
Schleier über diesem Schwindel sest? Lassen wir
Leser uns ruhig weiter zum Narren halten?

Der Mißstand ist so ungeheuerlich, daß es unwill-
kürlich drängt, nach Gründen sür seine Erklärung zu
suchen. Da bietet sich nun als erste Thatsache, die
ihn überhaupt ermöglicht, die: daß das große Publi-

kum von seinem Bestehen nicht mehr als eine unbe-
stimmte Ahnung, von seiner Ausdehnung aber nicht
einmal eine solche hat. Man spricht von „Wasch-
zetteln" wie man etwa von „Spitzeln" spricht; man
denkt, dergleichen gibts ja wohl da und dort, wie
aber schwerlich nnter zehntausend Menschen, die man
trifst, auch nur einer ein Berusssreund des Herrn
von Tausch sein wird, so, denkt man, ist unter
tausend Urteilen, die man liest, wohl schwerlich eines
wirklich ein Waschzettel, „und in meinem an-
ständigen Leibblatt" , fügt man im Stillen bei,
„gibt es dergleichen ja natürlich gar nicht." Das
ist irrig gedacht. Von hundert Büchersendungen,
die einer Redaktion zugehen, enthalten neunzig bei-
gelegte „Waschzettel", will sagen: Zettel mit fertigen
gedrnckten „Kritiken" , d. h. Lobeserhebungen über
das betreffende Buch in Form unparteiischer Rezen-
sionen, welche die betreffenden Verlagsbuchhandlungen
den verehrlichen Redaktionen „der Beguemlichkeit
halber" „zur Versügung stellen." Und von hundert
Buchbesprechungen, die erscheinen, sind neunzig
scheinbar selbständige Rezensionen nichts weiter als
Abdrücke aus solchen „Waschzetteln."

Wie ist das möglich? Durch die Macht des
Geldes, sei es in seiner deutlichsten Form als
Münze und Kassenschein, sei es in seiner Gestalt als
verkäusliches Rezensionsexemplar oder in seiner Form
als »Zeit", die ja im Geschäfte auch Geld ist. Da

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