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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 9
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Flinzer, Fedor: Bewusstes Sehen
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0146

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mit vllllem Rnchtc. Die K u n st an nnd snr sich
äußert sich nur durch die A n iv endung der
Zeichnung zum Zwecke der Rlitteiluug irgend
eines i n n e r e n Vvrg n n g e s. Die ersten
Spureu eines künsttcrisch krästigeren Denkens und
Empfindens könuen wir hier und dn nuch in einer
Schülerzeichnung sinden, und sv ist die Verbindung
zwischen Kunst und Schulunterricht Hergestellt. Die
Schule will überhaupt nuch nus nllen Gebieteu ihrer
Thätigkeit zu einem möglichst krästigen Denken uud
tiefen Empfinden erziehen. Das Bcobn ch t c n
pslegt bekanntlich ein jedes Lehrfnch, nber in einem
weitergehenden und nur zu einem geringen Grnde
in dem Sinne, in welchem wir es bisher ge-
brauchten. Jn unserem Falle verwcnden wir es nur
nus dns Sehe n. Jm Zeichenunterrichte hnben mir
es nur mit der For m u n d F n r b e der Tinge zu
thun, dnher können ivir die sonstigen Eigenschnsten
derselben nur insosern in Betrncht ziehen, nls sie eben
diese Form und Farbe bedingen. Dns nber wird,
wie in der nlten „guten" Zeichenstunde, so nuch heute
noch von so Vielen verknnnt, die eine Reihe von Zeichen-
übungen vorgenommen wissen wollen, bei denen der
Gegenstnnd das Jnteresse des Schülers in Anspruch
nehmen, die Form aber nur flüchtig, oberflächlich be-
nchtet und gesühlsmäßig vom Schüler gezeichnet
werden soll. Jch erinnere hier nur nn die von K.
Lange wieder hervorgesuchten Fröbelschen „Lebens-
sormen", Karriknturen von zweibeinigen Möbeln, vier-
eckigen Eimern und nnderen Gesäßen, welche eigent-
lich drehrunde Form haben, dreieckigen Regenschirmen
u. a. m. Hiermit würde dem Kleinkindergnrten ein
nützliches Beschäftigungsspiel genommen, des grö-

N u u d

DLcbttmg.

^ ^cböne Literatur.

Iohn Gabriel Borkman. Schauspiel in vier
Aufzügen von Henrik Jbsen. lMüuchen, Albert Langen,
Mk. 2).

Wie alle neueren Werke Jbsens ist auch John Gabriel
Borkman nur der in Auszüge geteilte große letzte Akt einer
großen Tragödie; es spielt sich darin nur der Ausgang einer
Handlung ab, deren bestimmende Ereignisse weit dahinten
in der Vergangenheit liegen. Es ist, wie ivenn ivir über
dunkler Haide bei Sturm und Gewitter wandern: plötzliche
Vlitze erzeugen fahle Bilder, die ivie erstarrt erscheinen
- die sind das Vergangene, und so sehen wirs mit
als ein Wandelloses in gespenstischem Lichte.

Acht Jahre ists her, da haben sie den ehemaligen
Bankdirektor John Gabriel Borkman als einen abge-
straften Betrüger aus dem Zuchthaus entlassen. Nun
haust er droben im ersten Stockrverk, vermeidend und ge-

ßereu Kindes erwacheudcr F v r m e u siim aber
iu falsche Bahu geleukt, die Gleichgiltigkeit gegeu eiu
geuaueres Betrachten uud Beobachtcu durch deu
Schulzeicheuuuterricht uumittelbar gewcckt uud ge-
nührt. Der letztere dnrf uur solche Ausgabeu stellen,
die deu Schüler zum geuaucsteu Betrachteu uud Nach-
bildeu der Form, vou der einfncheu zur zusammeu-
gesetzten übergeheud, anleiteu. Je mehr sich Diuge
aus der Wirklichkeit zu diesem Ziueckc uerweudeu
lasseu, um so besser.

Jn uuserer Zeit ist es geboteu, das Seheu mög-
lichst grüudlich zu erleruen. Gibt es doch Gelehrte
die behaupten, all uuser Wisseu sei auf das Seheu
zurückzuführeu. Das tägtiche Leben lehrt uus prak-
tisch, wie uueudlich viel mir durch deu Gesichtssinu
täglich uud stüudlich lerueu. Wir habcn die Nlöglich-
keit, uuser Wissen durch Reiseu überall nu Ort uud
Stelle mittelst uumittetbarer dlnschauuug zu bereicheru.
Uud deukeu Sie der Ausstelluugeu uud Museeu, der
wisseuschnftlicheu uud Kuustsammluugeu, der Jllustra-
tiouen uud Photographien.

Leiteu wir aber deu Schüler nu, wie er sich iu
dcr schou vou Pestalozzi als so hoch ivertvoll er-
kaunten K n u st zu se h e u aus eigeuer Krast ver-
vollkommueu kauu, so werdeu wir nicht uur der bil-
deuden Kuust, dem Kuusthnudwerk und eiuigeu audereu
Berufsarteu dieuen, die des Zeichneus mehr oder
weuiger als Haudsertigkeit bedürfen, soudern wir
tragen iu uud mit der Schute eiueu beachtens-
werteu Teil bei zu eiuer gesundeu uud kräftigen Eut-
wickluug des M en sch en g ei ste s in seiuer uui-
versell eu Bedeutuug.

Fedor zflinzer.

scba u.

micdeu von allen sbis auf einen nrmen Jugendbekannten,
der dnrch John Gabriel selber „überfahren^ worden
und ihm doch treu geblieben ist) — einsam also, aber rast-
los grübelnd nnd planend. llnd unter ihm sitzt sein Weib,
das in ihm nichts mehr nls den Verbrecher kennt und den
„kranken Wols", der in seinem Käfig umherrennt, daß die
Schritte so schnuerlich über ihr hallen. Die beiden, die
Gatten, haben sich nie mehr gesprochen seitdem. Wie
aber er sich aus dem Tranine Lebenskrast saugt, daß er
einmal im Trinmphzug ins Leben zurückgeholt iverde,
um Herrliches zu schasfen, Geivaltiges, Unerhörtes, all die
Kräfte in Land nnd Meer erweckend zum Menschendienst
— so saugt sich die erniedrigte Stolze Leben aus dem
Glauben an eine Mission, die Erhard ihr Sohn erfüllen
soll; so hell wkrd sein Name leuchten, daß kein Schatten
davor besteht. Das persönliche Glück ihres Sohnes tritt
in ihren Gedanken weit zurück hinter diesen seinen „Beruf";
selbst ihr Kind liebt sie nicht um seiner selbst willen.
 
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