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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 12
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0196

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Jn den beiden letzten Kapiteln behandelt Schmarsow
die Entdecknng des Malerischen nnd die Metamorphose
des Bildes, wobei er die Entwickelung von Giotto bis
Rembrandt erörtert. Schließlich wird Klingers Schrist
über Malerei und Zeichnung durchgesprochen, mit dem Er-
gebnis: eine Abtrennung der Grifselkunst als einer selb-
ständigen Kunstgattung, die zwischen Dichtkunst und
Malerei in der Mitte stünde, scheine Schmarsow nicht ge-
boten, ja mit dem Thatbestand überhaupt nicht einmal
verträglich. Wir brauchen auf diese Frage, die ja im
Kunstwart eingehend behandelt ist, nicht wieder einzu-
gehen, müssen aber unsere Leser versichern, daß es jeden-
falls sehr viel interessanter ist, Max Klingers künstlerisches
Glaubensbekenntnis zu lesen, als die dunkeln Gedanken

dieser Schrift, bei denen man leider mehr als einmal an
das llLrtueiunt mout68 geinahnt wird. Jnsonderheit sei,
wer irgend welche Aufklärung über die moderne Kunst
erwartet, vor Enttäuschungen gewarnt. Am wenigsten
sreilich, würden bei Schmarsow die Freunde eines guten
klaren Deutsches finden, was sie erfreut: wo er das Be-
dürfnis fühlt, seine Sprache gleichsam zu beflügeln, gerät
er geradezu in Wippchens Nachbarschaft. „Aus dem Durch-
schnittsmaß steigt die Gestalt auf ein sreieres Niveau,
wo des Leibes Notdurft und Nahrung sich aufhebt zu
Gunsten bleibender Bedeutung." Das citiere ich als eines
der kürzesten Beispiele sür den hier herrschenden Schwulst,
eines der schlimmsten ist es leider noch nicht.

jd a u l S ch u in a n n.

Lprecdsaal.

Letztmals: Der moderne Zeichenunterricht.

Mit dem Aufsatze Konrad Langes im elften Hefte des
Kunstwarts könnte ich, seiner vielen Zugeständnisse wegen,
recht zufrieden sein, doch bedarf es für Fernerstehende
noch immer einiger erläuternder Worte. Leider zwingt
mich auch Langes Gepslogenheit, bei sachlichen Erörter-
ungen von sich felber zu sprechen, hier und da auf diese
Weise einzugehen. Ob ich seine Worte „verdrehe", davon
kann man sich ja swie bei den wörtlich genauen, unzwei-
deutig sprechenden Citaten meines Vortrages) sehr leicht
durch Vergleichung überzeugen.

Lange sagt: „Jch bin nun allerdings der Ansicht,
daß Flinzers Methode auf salschen psychologischen Voraus-
setzungen beruht, und davon hat mich der erwähnte Vor-
trag wieder von neuem überzeugt." Weiter unten erklärt
er aber, daß er die elementaren Grundlagen meiner
Theorie aus der psychologischen Literatur zur Genüge
kenne, sie für etwas halte, „was sich ganz von selbst ver-
steht und worüber niemals jemand in Zweifel gewesen
ist", und daß er das bewußte Sehen in seinem Buche
ebensalls voraussetze. „Meine Abweichung von Flinzer
besteht nur s!) darin, daß ich hierbei nicht stehen bleibe"
u. s. w.

Nun könnte mir dieses Zugeständnis vollkoinmen ge-
nügen, wenn Lange nicht plötzlich mit dieser Wendung
auch versuchte, nachzuweisen, daß er von derselben Vor-
aussetzung ausgegangen sei. Das ist aber nachweisbar
nicht der Fall. Denn weder in seinem Buche, — auch
nicht auf der von ihm ausdrücklich genannten Seite 20 —,
noch in irgend einem seiner srüheren Aussätze findet sich
ein klar sprechender Hinweis auf die allem künstlerischen
Zeichnen notwendig vorausgehende Thätigkeit des Ver-
standes, des Geistes. Daher ist auch von einer Ausbild-
ung des Zeichenunterrichts zu einer logischen Anwendung
des Denkens bei ihm keine Rede. Gefühl ist ihm alles,
die Zeichenstunden sollen „nicht den Verstand und das
Gedächtnis, sondern die sinnliche Wahrnehmung und das
Gefühl ausbilden" („k. Erz. d. d. I", 95). Er hat, wie
er sagt, die elementaren Grundbegrifse des Sehens aus
der psychologischen Literatur zur Genüge kennen gelernt,
sie aber dann, wie man sieht, völlig unbenutzt dort stehen
lassen und wendet sich nur mit Heftigkeit gegen jeden,
der sie zu Folgerungen für die Zwecke des Zeichenunter-
richts verwenden will. Die in meinenr Vortrage enthal-
tenen Citate wären noch bedeutend zu vermehren. So

erklärt sich Lange z. B. aus S. 9^—95 seines Buches aus-
drücklich gegen die Beteiligung oder Anwendung des Ver-
standes beim Zeichenunterricht und behauptet, daß man
damit in die Besugnis der andern Lehrfächer übergreife,
daß die Zeichenlehrer sich damit unberechtigt auf eine höhere
Stufe zu stellen beabsichtigen u. s. w. Ja, seine ganze
Polemik gegen die „jetzt herrschende Methode" richtet sich
in ihrem wesentlichen Teile nur gegen das bewußte
Sehen. Unbesangen bringt er den besten Beweis dafür in
seinem neusten Artikel, in welchem er sagt, er meine, „d aß
sichdasselbe bei deinKinde alseinlogi-
scher V 0 rgang ganz v 0 n selbst einstelle."
Das ist aber gerade sein verhängnisvoller Jrrtum.

Der größte Teil der Zeichenfehler, die von Laien und
Künstlern in ihrer Jugend und im Alter unfreiwillig pro-
duziert werden, ist doch wohl auf ein mangelhaftes Beob-
achten zurückzuführen. Jch will, das betone ich, Herrn
Professor Lange, der dies jedenfalls in der kunstwissen-
schaftlichen Literatur gelesen hat, nicht belehren, sondern
nur den Leser daran erinnern und beiläufig bemerken,
daß die Uebung der Hand hier nicht in Frage k-ommt.
Denn die Hand gehorcht dem Verstand als willige
Sklavin. Wenn sie von eineiu klar-en Kopse geleitet
wird, begeht sie keine Zeichenfehler.

Da sich nun aber diese Klarheit des Kopfes, wie uns
dies jede Kunftausftellung in massenhaften Beispielen,
unter anderem sehr auffällig in den meiften Darstellungen
drehrunder Körper, beweift, durchaus nicht so ganz von
felbst einstellt, wie dies Herr Lange meint, fo liegt es
nahe, daß der Zeichenunterricht, auch wenn er nur ein-
seitig der Kunst dienen soll, das richtige Beobachten zu
lehren hat, und zwar, weil dies der Anschauungsunterricht,
die Naturkunde, ihrer besonderen Zwecke wegen, nichtkönnen.
Dort erwähnt man, z. B. am Bilde des Hasen, im allge-
meinen dessen lange Ohren und den kurzen Schwanz,
die kurze n Vorder- und dielangen Hinterfüße. Aber
mnn geht aus naheliegenden Gründen auf die Bestim-
mung der Maßverhältnisse nicht ein, ebenso wenig darauf,
wie an dem Bilde oder Modell die charakteristischen
Punkte einander gegenüberstehen, welche Verkürzungen bei
jeder Körperdarstellung zu beachten und wie sie zu be-
wültigen sind, und welche wohl am gegenwärtigen Ori-
ginal eine besondere Rolle spielen u. s. w. Der Zeichen-
unterricht hat dagegen alle diese Aufschlüsse allein zu
geben. Er muß z. B. das Geheimnis des Konturzeichnens
 
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