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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 3
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Bie, Oscar: Vom "Geschmack"
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0045

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gemeinheit und die Allgemeinheit über die Schürfe
des Eigenmillens spendet. Mit ihm wissen wir uns
eins mit der Gegenwart und richten uns darin doch
das eigene Haus ein. Aber er teilt das Geschick aller
Liebenswürdigkeiten. Auf der einen Seite erzeugt er
Formen von künstlerischem Wert, wie der Chic, der
Sinn sür Einheitlichkeit in den Dingen unserer Klei-

dung, Figur, Umgebung, eine greifbare Folge des
Geschmacksurteils ist; auf der anderen Seite besäns-
tigt er die frischen Brisen, die manchmal unser Leben
slott machen möchten, mit der weichen Hand seines
Kompromißlertums. Es gehört viel Takt dazu, im
Geschmack den richtigen Geschmack zu hnben.

Gskar Me.

NuNd

Dicbtung.

* Zobann Georg Zfiseber, dessen achtzigsten Geburts-
tag wir feiern, hat eigentlich gar nicht das Zeug zum
neuesten Nestor der deutschen Literatur, denn noch heute
(Bartels hat ja jüngst davon gesprochen) singt es ihm in:
Herzen so jung, daß es am liebsten von Liebe singt. Jch
will nicht von seinen Drarnen reden, aus seinen Gedichten
aber mach ich mich anheischig, ein Dutzend zu sammeln,
in denen so viel von diesem Jugendlichen steckt, daß sie
im altesten Herzen die Stelle finden, wo der Quickborn
quillt.

Und ist's mit dieser Welt hernm,

Und komm ich ins Elysium:

Meiner Ahne Haus muß mit hinein,

Sonst mng ich nicht darinnen sein.

Hinter dem Hause muß am Hag
Die Sonne lagern den langen Tag,

Daß golden durch der Blätter Lucken
Wie Engelsbacken die Kürbiss' gucken;

Daß die Nachbarn wieder herüberschaun,

Die Arme aufgeftemmt am Zaun,

Wie sie am Sonntag aus den Pfeifen
Lassen die blauen Wolken schweisen;

Lustige Mägde ziehn am Haus
Jn weißer Schürze den Weg lstnaus;

Und drautzen schütteln am Gartensaum
Wir Buben den frühsten Birnenbaum.

Lesen wir diese Zeilen, ist's gerade so gut, wie wenn
wir ein meisterlich Konterfey Fischers betrachteten. Ein
kerngesunder Mann, so steht er da vor uns und mitten
in seiner Heimat, aus der seine Seele mit allen Fasern
aufsaugt, was ihm so treffllich eben zu Krast und Gesund-
heit anschlägt. Wir gönnen ihm das „Elysium" noch nicht,
wir können solche alte Herren, wie ihn, zu gut hier unten
brauchen. Es ist ja anch hier gar nicht übel. Freilich aber,
es wäre noch viel schöner hier, wenn die Leute von solchen
Menschen, wie unserm Jubilar, nicht nur das Mitleid,
sondern auch das Mitfreuen fleißiger lernen wollten. A.

» Pcböne Literatur.

Aus altem Hause. Roman von Theodor
Duimchen. (Leipzig, Robert Friese, Sep-Cto.)

Die Run st. Novellen und Skizzen von Theod or
Duimchen. (Leipzig ebenda.)

Jhr Vater stammt aus altem hamburger, ihre Murtcr
aber aus altem venezianischen Patrizierhause, und das
erklärt die wundersame Mischung ihres Wesens, deren
Darstellung nach allen Seiten lstn den wichtigsten Jnhalt des
Buches bildet. DieHandlung ist ziemlich einfach. Wie ein
in jeder Beziehung gefeiertes, nicht nur bildschönes und
feuriges, sondern auch geistvolles Mädchen sich in das
Nichts eines schönen modernen Strebers verlieben und
wie es sich eine Verbindung mit ihm von „ihren Kreisen"

s ck A u.

erzwingen kann, das hat hier Duimchen gut geschildert.
Aber er läßt uns mehr und mehr im Stich, nun wir
ermarten, Zeugen der allmühlichen Ausklürung der Heldin
über das wahre Wesen ihres Erkorenen und der Wand-
tungen, Kämpse und Entschließungen zu werden, die da-
durch in ihrer Seele entstehen. Wir sehen das nicht,
wir hören davon nur berichten, und doch hätte gerade
dieser Gegenstand allein vollauf genügt, das Werk zu
bilden. Für mich wenigstens beginnt der Roman mit
dem Aufflainmen einer neuen Leidenschaft Katharinas zu
sinken. Das alte Motiv ist mir nicht genügend erschöpst,
als ein neues einsetzt.

Man hat den Eindruck, daß Duimchen das Ganze
noch zu wenig abgeschlossen vor sich sah, als er schrieb,
und durch einige weitere Beobachtungen wird dieser
Eindruck verstärkt. Was solls z. B. in der Oekonomie der
Komposition, daß der Verfasser den Doktor Störtebeker
mit so viel Liebenswürdigkeit ins Buch führt, wenn er
ihn durch einen ganz überflüssigen Todessall sobald wieder
hinauskomplimentiert? Freilich ist auch die weitere Ent-
wicklung der Schicksale Katharinas bis zu ihrem Selbst-
mord keineswegs ohne Wahrscheinlichkeit, noch ohne Jn-
teresse. „Aus altem Hause" ist aus jeden Fall ein lesens-
wertes Buch, das Werk eines Verfassers, der etwas zu
sagen hat und dann und wann auch etwas zu zeigen.

Was den Roman „Aus altem Hause" anziehend macht,
mag man sich auch oft dabei kühl gegen seine Darstellungen
verhalten, das ist vor allem immerhin eine „Problem-
setzung"; der Versasser geht mit guten Gedanken an die
Lösung interessanter schriftstellerischer Aufgaben. Jn dem
zweiten seiner heut vorljegenden Bände finden wir der-
gleichen leider weder in der Novelle „Die Kunst^, die der
kleineren Sammlung den Titel gibt, noch in einem ihrer
drei anderen Stücke; keiner der hier behandelten Stoffe
hat Duimchen zunr Streben nach teureren Kränzen, als
denen des Unterhaltungsschriftstellers, eingeladen. Da
wird denn oft eine Szene recht hübsch geschildert, aber es
ist, als erlahme dem Verfasser die Teilnahme und damit
die Krafü „Die Kunst" ist eine im ganzen doch ziemlich
matte Erzählung von einem Künstler, der mit einem Kon-
kurrenzpreise die Braut gewinnt, ein Stück, das der Gar-
tenlaube würdig wäre. Das „stärkere Geschlecht" ist kein
Roman in zwei Bildern, sondern es gibt zwei Bilder und
darum keinen Roman. Die beiden Erzählungen aus ku-
banischen Jnsurrektionszeiten haben ein gewisses stoff-
liches aber wenig künstlerisches Jnteresse. Und doch ist
Duimchen auch nach diesen Sachen ein begabter Schrift-
steller. Wie viel wird er an sich selbst arbeiten? — das
allein ist die Frage, von deren Beantwortung es abhüngt,
ob er in unserer ernsten Literatur zu einer gewissen Be-
deutung kommen wird oder nicht. A.
 
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