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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 2
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Lier, Leonhard: Zur modernen Dramatik
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0027

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Lwettes «Dktoberbekt tSS6.


über


DiHlung. Wntkl. Nnfik u»i> Meick' Künft


Deutsch sein heißt, eine Sache
um ihrer selbst rrnllen thun.

Richard Wagner.

2. Dekt.

Lrscheint

am Anfang und in der Rlitte

Derausgeber:

FerdiNÄNd Nvenarius.

Bezugspreis:
vierteljährlich 2>/e Mark.
Anzeigen: Zgesp. Nonp.-AeileisO sss.

10. Zadrg.

Lur modernen Dramatik.

^ie Spielzeit des vorigen Winters findet ihr
R Merkzeichen in zwei Ereignissen, in dem
^ Mißersolg des Hanptmannschen Florian
Geper und in dem Ersolge der Wildenbruchschen
Heinrich-Tragödie. Man kann im allgemeinen, trotz
eifriger Bemnhnngen, die Sache in einer der Reichs-
hauptstadt günstigen Weise darzustellen, nicht be-
haupten, daß Berlin das literarisch-künstlerische Paris
Deutschlands sei und daß, was von dort ausgehe,
den Geschmack im Reich absolut beherrsche Wenn
dieser Schein dennoch entsteht, so ist das weit weniger
den Verdiensten, als den Verkündigern dieser Verdienste
in einer weit verbreiteten und einflußreichen Presse
zn danken. Dennoch dars Berlin für sich den Ruhm
beanspruchen, daß im verslossenen Winter auf seinem
Boden zwei für die deutschen Bühnen und für das
deutsche Drama hochwichtige Schlachten geschlagen
worden sind, die durchaus dazu angethan scheinen,
einen Wendepunkt in der Entwicklung des Dramas
der Gegenwart herbeizuführen. So bequem freilich,
wie es ein Teil der Kritik gethan hat, darf man
sichs nicht machen; man darf durchaus nicht sagen,
der Naturalismus oder Realismus, oder wie man es
nennen will, ist tot, es lebt der Jdealismus. Das
heißt Erfolg nnd Mißerfolg bedeutend überschätzen
und einen neuen Beitrag dazu liefern, wie sehr hohle
Schlagworte noch die Köpfe in Deutschland beherrschen.
Gegen eine so oberslächliche Auffassung sprechen schon

die einfachen Hergänge. Gerhart Hauptmann war
mit der ersten Aufsührung von „Vor Sonnenaufgang"
mit einem Schlage ein berühmter Mann geworden;
selbst im Lager seiner grundsätzlichen Widersacher war
es guter Ton geworden, vor seinen Werken sich zwar
drei Mal zu bekreuzigen, vor seinem Dichtertalente
jedoch höflich den Hut zu ziehen. Seine folgenden
Stücke brachten neue, wenn auch nicht unangesochtene
Siege, selbst die Hoftheater begannen mit Hauptmann
zu rechnen und eine Schar von Freunden (unter denen
die nicht fehlten, vor denen das Sprichwort warnt)
sorgte dasür, daß jedes neue Werk der Welt ange-
kündigt wurde, noch ehe es die Feder abgeschlossen
hatte. Was ward nun nicht alles von Florian
Geyer vorher verkündet! So waren die Hossnungen
auf allen Seiten über das verständige Maß gespannt,
so war einer etwaigen Enttäuschung der fruchtbarste
Nährboden bereitet. Das Benehmen aber derer, die
im Deutschen Theater, die in der Presse über Haupt-
mann zu Gerichte saßen, trug nur zu sehr den
Stempel persönlicher Rache an sich. Dort tobte der
Groll der enttäuschten Freunde, dort die Freude der
Talentverehrer, die bisher die Faust furchtsam in
der Tasche geballt hatten, — es war eine wahre
Orgie der Zerstörung an dem von eigener Hand ge-
bauten Tempel der Zukunft. Und nun der Sieg
Wildenbruchs, des oft Gescheiterten, dessen Pegasus
von den Quitzows ab den Reiter zu keinem Erfolge
 
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