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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 22
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Sprechsaal
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Sprecksaal.

In Sachen der „Schriftstellerkammern".

Als Leiter der Verhandlungen des Leipziger Schrift-
stellertages und als Vorsitzender des Verbandes deutscher
Journalisten- und Schriftstellervereine fühle ich mich befugt
und verpflichtet, Jhnen ausden Aussatz über „Schriststeller-
kammern" im 19. Heste des Kunstivarts eine Erwiderung
einzusenden; die Sache selbst, die Vorschläge, die Sie
machen, erfordern eine össentliche Erörterung, mie auch
Jhre Beurteilung des Leipziger Tages in manchen Punkten
dringend eine Berichtigung erheischt. Gestatten Sie mir
darurn, in freimütigster Weise Jhnen über beides, über
Jhre Vorschläge wie Jhre Kritik, meine Ansichten auszu-
sprechen, die zwar durchaus persönlicher Natur sind, von
denen ich aber glaube, daß sie in manchen Kreisen unsrer
Berufsgenossen Zustimmung finden werden. Alle wenig-
stens, welche in der Pfingstwoche in Leipzig versammelt
waren und sich an den dortigen Beratungen beteiligt
haben, werden wie ich Jhnen einerseits für mancherlei
Anregungen dankbar sein, die Jhr Aufsatz bringt, andrer-
seits aber auch mit mir die Art und Weise bedauern und
zurückweisen, in welcher Sie den Tag besprochen haben.
Jch glaube, Sie haben sich zu sehr von einer vorgesaßten
Meinung gegen alle Schriststellertage überhaupt und zu
wenig von den wahrlich nicht unbedeutenden Thatsachen,
welche sich in der Entwicklung unsrer gemeinsamen
Berufs- und Standesinteressen in letzter Zeit vollzogen
haben, in Jhren Ansichten leiten lassen. So vor allen
Dingen übersehen Sie die Gründung des Verbandes
deutscher Journalisten- und Schriftsteller-Vereine ganz und
gar; Jhr Aufsatz erwähnt ihn mit keinem Worte. Und
doch war es eben dieser Verband, nicht etwa der allge-
meine deutsche Schriftstellerverband, welcher den Leipziger
Tag einberief und seinen Verhandlungen Jnhalt und Form
gab. Gerade die Sätze in Jhrem Artikel, welche sich
gegen die allzuleicht zu erwerbende Mitgliedschast des
^ Schriftstellerverbandes richten, beweisen mir — neben
einigen anderen, später zu erörternden Stellen — daß Sie
zwei Vereinigungen miteinander verwechseln. Unser Ver-
band besteht nur aus Vereinen und schließt die Mitglied-
schaft einzelner Personen grundsätzlich aus. Zwar beruft
er die allgemeinen Schriftstellertage, weil er derselben,
vorläufig wenigstens, zur Vertretung der allgemeinen
Berufsinteressen wie zur Propaganda für seine besonderen
Zwecke nicht entbehren zu können glaubt; aber er verfolgt
dabei auch die Absicht, diese Tage so zu leiten und zu
reformieren, daß die Vorwürfe und Bedenken, die man
srüher nicht mit Unrecht gegen sie äußerte, gegenstandslos
werden. Jch habe selbst in meinem Bericht „über Wesen,
Zweck und bisherige Thätigkeit des Verbandes" in der
ersten öffentlichen Sitzung des Leipziger Tages mich aus-
führlich und unter Zustimmung der sehr zahlreich Ver-
sammelten über den grundsätzlichen Unterschied zwischen
unsrem und den sonst bestehenden Schriftstelleroerbänden
ausgesprochen und namentlich hervorgehoben, wie sehr
die Begründung des Verbandes nur auf Einzelvereine —
die Möglichkeit gibt, sozusagen allenthalben eine straffe
Zucht der einzelnen Personen im Jnteresse einer allge-
meinen Standesehre auszuüben. Denn die Einzelvereine,
die nur nach Einreichung ihrer Satzungen und Mitglieder-

listen in den Verband eintreten können, sie reichen einander
nunmehr die Hand in dem ernsthaften Bestreben, nur
wirkliche und ehrenhafte Schriftsteller und Journalisten
als Mitglieder aufzunehmen; ein Normalstatut für Ehren-
und Schiedsgerichte ist ihnen von Verbands wegen zuge-
stellt. Wörtlich sagte ich bei diesem Punkte: „Vorkomm-
nisse der neuesten Zeit, die Sie alle kennen und über die
Sie alle mit gleicher Entrüstung erfüllt sind, haben gelehrt,
wie wichtig es ist, zur Wahrung unsres Ansehns vor der
Nation alle unehrenhaften Elemente von unsren Rock-
schößen abzuschütteln, aber auch, wie not es thut, überall
in engem kollegialischem Anschluß junge, unerfahrene
Berufsgenossen zu bilden, zu erziehen und vor gefährlichen
Abwegen zu bewahren."

So ganz unerwähnt, wie die von Jhnen citierte
konservative süchsische Zeitung meint, blieb der Krebs-
schaden also nicht, an dem der Journalismus leidet. Und
wenn es auch etwas überaus Peinliches hat, vor der
Oeffentlichkeit die eigene schmutzige Wäsche auszukramen:
zu ernsthaftester Behandlung werden alle die von jener
Zeitung berührten Schäden in Zukunft ganz ohne Zweifel
kommen. Gerade die Organisation des Verbandes wird
es mit sich bringen und die Gesundung des Standes
ganz erheblich fördern — auch ohne daß „Schriftsteller-
Kammern" ins Leben treten.

Noch ist der Verband zu jung und bisher noch zu
sehr mit seiner Ausgestaltung beschäftigt gewesen, als daß
man billigerWeise jetzt schon greifbare, positive Resultate
in der Richtung dieser sozusagen selbsterzieherischen Thätig-
keit verlangen künnte. Aber wenn Sie erwägen wollen,
daß der Verband seineHauptrhätigkeit nicht etwa in jenen
allgemeinen Tagen sucht, sondern vielmehr in jährlich
mindestens einmal zusammentretenden Delegierten-Ver-
sammlungen, in welcher nur die erwählten Vertreter,
also wohl auch die angesehensten Mitglieder der Einzel-
vereine, stimmberechtigt sind, so werden Sie zugestehen
müssen, daß damit schon die Bahn zu jenem Ziele
beschritten ist, das Jhnen als so wünschenswert vor
Augen schwebt. Diese Delegiertenversammlungen werden
zunächst das Forum bilden, vor welchem alle den Stand
schädigenden Einflüsse wie Personen ihre Verurteilung und
Bekämpfung finden, und eine umso nachdrücklichere, nls
er Macht und Mittel genug hat, auf alle ihm angehörigen
Vereine im besten Sinne einzuwirken. Die sonstige, mehr
nach außen gerichtete Thätigkeit des Verbandes dürfen
Sie auch nicht unterschätzen. Durchaus nicht — und ich
muß in dieser Beziehung auch den Leipziger Tag gegen
Jhren ungerechten Vorwurs entschieden in Schutz nehmen

— durchaus nicht waren es materielle Jnteressen, die uns
beschäftigten; vielmehr gerade die Angelegenheiten, die
Sie zum Schluß Jhres Artikels aufzählen. Daß in Leipzig
der sog. Grobeunfug-Paragraph zur Verhandlung kam,
erwähnen Sie selbst; warum erwähnten Sie nicht auch
die sehr eingehende und — wie ich wohl sagen darf

— hochinteressante Behandlung der eklatanten Mißstände
im Strafvollzug bei Preßvergehens Warum nicht unsren
Protest gegen den Zeugniszwang? gegen den Mißbrauch
im Berichtigungszwang? Und zu diesen in Leipzig ver-



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