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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 24
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Callwey, Georg Dietrich Wilhelm; Avenarius, Ferdinand: Der Kunstwart wird erweitert
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Söhle, Karl: Von Natur-Wagnerianern
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0382

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Das Versprechen: was der Aunstwart einbringt, soll in seinen eigenen Dienst Hestellt werden —
der Verlag löst es heute nicht nur ein, sondern er thut noch ein gutes Stück inehr. Er darf es auch thun,
denn das feste Dertrauen in unsere Leser wird ihn nicht täuschen. Bei ihnen, bei unsern Lesern, liegt es
jetzt, durch thatkrästiges IVirken für den Aunstwart seine, das heißt unser aller gemeinschaftliche 5ache
zu stärken, damit auch in künstlerischen Dingen das rückhaltlos sachliche und unverzagt offene Urteil, kurz, das
freie U)ort im Vaterlande nicht nur gesprochen, sondern auch weitum gehört werde.

Ikunstwart-Verlag:

Illunstwart-Leitung:

l^oii Oatur-Mlagnerianern.

eber Freude am Sehen hat von jeher der
Kunstwart mit besonderer Vorliebe ge-
sprochen. Daher wohl kein rechtschaffener
Kunstwartleser, der aus all solchen mannigfachen An-
regungen zum Verstehen und Genießen der Farben
und Formen Kapital zu schlagen nicht gestrebt und
nicht nachgedacht hätte darüber, wie Bilder betrachtet
sein wollen, wie das Heim künstlerisch zu gestalten,
wie recht ersprießlich dem Auge und Herzen die
schöne Gotteswelt, die Natur, von der ja alle Kunst
nur matter Abglanz ist, zu schauen sei.

Freude am Sehen! Glücklicher Wanderer, der
du nun vom Berggipsel weit über die Lande hin dein
Auge schweisen läßt, daß es „trinke, was die Wimper
hält, von dem goldnen Nebersluß der Welt!^ Tau-
send Genüsse hat dir schon der Aufstieg geboten, denn
du hast dein Auge zu schulen verstanden.

Ein anderer Wandersmann kommt eine Strecke
hinter dir daher. Was mag er nur haben, der kuriose
Gesell? Er scheint schier doppelt beglückt zu sein im
Genuß der Natur. Wie er langsamer wandelt, wie
er nun stehen bleibt, lauschend geneigten Hauptes,
weltvergessen, wo der Waldwiese süß geheimnisvolle
Märchenpracht durch die Stämme und Zweige schim-
mert und aus dem sonndurchslimmerten Wiesengebüsch
die liebes- und srühlingsseligen Strophen der Vogel
in entzückender Mannigsaltigkeit erklingen. O, er ge-
nießt nicht nur im Sehen, sondern eben so auch im
Hören die Natur. Verständnis hat er sür ihre be-
glückende Sprache, aus ihre tönenden Wunder lauscht
sein Herz, wie ein Kind aus die Märchen der Groß-
mutter. So hat er doppelten Gewinn von seiner
Wanderung: im Genießen mit Auge sowohl wie Ohr.
Kein Zweisel deshalb: wie laut Goethe einem Un-
musikalischen überhaupt die Hälfte des Daseins ver-
loren geht, so im besondern einem einseitigen Augen-
menschen die Hälste des künstlerischen Naturgenusses.

Aber sowohl zum Natur-Sehen wie auch -Hören
müssen wir erzogen werden, um zum vollen künst-
lerischen Naturgenuß zu gelangen. Beides gleich-
mäßig zu entwickeln gilts. Deshalb sollte man mög-
lichst srühzeitig daraus hinarbeiten, daß die Genuß-

sähigkeit beider Sinne erwache und verlangend wachse
in sreier Entfaltung aller angeborenen Keimkrast —
ginge die Erziehung bei Zeiten verständnisvoll hieraus
aus: welches Grundkapital zum schönsten Glück im
Vollgenusse des Daseins beküme hierin jeder mit aus
den Lebensweg! Begleite mich, Leser, aus einem
Spaziergang, damit rch dir zeigen kann, um wie
Schönes sichs handelt.

So, die Gärten vor dem Thore liegen hinter
uns. Nun schrägüber auf dem schmalen Richtepfad
übers Feld hin. Am Rain lüngs der Wiese dem
nahen Walde entgegen. Wo im Erlengebüsch der
Bach in der Sonne ausblinkt, biegt unser Weg ein
in den Wald. Hemme den Schritt. Folge mir lang-
sam durch die tauglitzernden Halme. Erquicke Herz
und Sinne an der würzigen Morgenfrische. Wonnig
kühl wehts herüber. Ueber des Roggenseldes lustigem
Wellenspiel blaut klar und heiter der Himmel. Ganz
langsam, leise die Schritte — hab Acht, gteich wird
die Symphonie beginnen. Schon ist von allen Seiten
eisriges Einstimmen zu vernehmen. Da, die Ein-
leitung sängt an, pianissimo, mit einem langen Tre-
molo. Die Grillenviolinisten sinds. Jn den Halmen
einer durchsonnten Anhöhe haben sie ihre Pulte. Mit
welchem Furiosoeifer sie unablässig ihr Tremolo
streichen! Auch einige Violoncellisten sind herauszu-
hören: große, grünbesrackte Säbelheuschrecken, die zur
Mitwirkung aus dem Roggenfeld herüber gekommen
sind. Crescendo nach und nach, Accelerando —
Hummel-, Wespen-, Libellen- und Käfergesumm mischt
sich ein. Wie dazu der Wind harmonisch rauscht in
den wogenden Roggenhalmen und in den kurz und
ungebärdig hüpsenden Blättern der nahen Espen und
Weiden! Noch ein paar Schritte weiter vor, und
wir nähern uns einem lustigen Klunkerbächlein, das
in schmalem Rinnsal hurtig durch die Wiese trippelt.
Ganz wichtig als Grundton tönt es nun eine Weile
heraus. Aber o weh, das Klunkerbächtein ist bald
am taeet in seinen Noten angelangt. Sein liebliches
Diminuendo verschlingt das stolze, geschäftig wichtige
Plütschern des großen, breiten Rauschebaches, in den
dicht vorm Wald das Klunkerbächlein hübsch unter-



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