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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 23
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Spitteler, Carl: Von französischer Dramaturgie
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0365

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Lrstes Septemberbett lö97.

Von kranzösiscker Dramaturgie.

!er Franzose ist in literarischen Dingen ultra-
konservativ. Die Kunstsormen, ihre Ge-
setze und ihre Titel sind ihm starr, ihr Wesen
ist ihm spröd, folglich: unoeränderlich. Schon aus
logischen Gründen. Das Wesen einer Kunstsorm wird
nämlich nach französischer Anschauung von ihrem ersten
genialen Begründer gestempelt. Eine Kunstsorm ist
doch keine ästhetische, sondern eine historische That-
sache. Historische Thatsachen aber kann man wohl
kritisieren, nicht aber ändern. Endlich, — so denkt
er, — wenn ich etwas ändere, so ist es nicht mehr
dasselbe, sondern etwas anderes. Mithin etwas ver-
schiedenes, neues. Also gebührt ihm auch ein neuer
Name. Die Kunstformen, um es eindrucksvoll zu
sagen, sind dort mit einem Kettchen an ihren Titel,
mit einem zweiten an ihren Begründer gebunden.

Daraus solgt: auf der einen Seite ein unge-
heurer Reichtum von Arten und Unterarten des Dra-
mas, zu welchen das ausländische Drama keine Pa-
rallelen hat. Der Reichtum kommt daher, daß jede
wesentliche Veränderung eine neue Gattung mit neuem
Titel begründet.

*) Was Karl Spitteler in Folgendem sagt, muß bei
der Häufigkeit der Beziehungen zwischen deutschem und
französischem Theater wirklich in Deutschland einmal
gesagt werden. Aber im Winter reicht unser Raum für
folcherlei Erörterungen nicht, wir müfsen fie fchon im
Sommer vornehmen, find fie da gleich nicht „saisongemäß".

Rw.-L.

Auf der andern Seite: die Starrheit der alten
Namen. Wenn jede Aenderung einem neuen Namen
ruft, so kann der alte Name immer nur aus das alte
Wesen deuten. Darum versteht der moderne Franzose
z. B. unter tra^eckie genau dasselbe, was man vor
hundert, vor zweihundert Jahren darunter verstand.

Nun begreifen Sie gewiß, warum es gänzlich
nutzlos ist, dem Franzosen seine traAeckie resormieren
zu wollen. Wenn man sie nämlich resormiert, so
wird sie vielleicht besser, aber dann ist sie keine tra-
^eckie mehr. Doziere ihm noch so eifrig Lessing und
Hamburger Dramaturgie, er gibt dir alles willig zu,
aber daß etwas, was nicht tra§eckie ist, jemals tra-
^eckie sein könnte, das wird er nie zugeben. Die
Kritik des Wertes beeinslußt eben nicht den Namen,
da der Name nicht mit der Wertschätzung, sondern
mit dem historisch gegebenen Wesen einer Kunstform
zusammenhängt.

Nichts gewöhnlicheres, als das Erstaunen der
deutschen Presse, warum dieses oder jenes moderne
Pariser Theaterstück, das doch im höchsten Grade
tragisch verläuft, oom Verfasser „Lomeckie" oder
„ckrame" statt mit dem vermeintlich ihm gebührenden
Titel „tro^eckie" getauft wurde. Ja, haben Sie
denn wirklich noch nicht bemerkt, daß keines, aber
auch nicht eines der modernen Pariser ^Trauerspiele"
den Namen tvL^eckie führt? Und aus einem sehr
triftigen Grunde. Würde nämlich ein Schriststeller


über

DWung, W»kcr. Mfil mi> ßili>kni>k Mufik.



23. Dekt.

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