Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

DOI Heft:
Heft 10
DOI Artikel:
Carstanjen, Friedrich: Kunstgesetze
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0159

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
an diesen weg; tritt die Vorbereitung wieder ein, so
kehrt auch das Gesallen wieder. Daher der Name
„Renaissance". Es liegt hier eingeschlossen, daß auch
wieder etwas gesallen kann, weil es bei seinem ersten
Erblicken, im Gegenlatz zu dem bis dahin Gesallen-
den, als neu und reizvoll erscheint.

Tie Frage liegt daher jetzt so: Mit den „Kunst-
gesetzen" kommen wir nicht aus. Das ist entweder
klar eingesehene Thatsache oder wenigstens geahnte.
Also heraus mit ihnen ans der Aesthetik. Nnn
brancht aber die Aesthetik doch noch ihre sesten Grund-
sätze, sonst wäre sie keine Wissenschast. Wo können
diese liegen? Wie können sie beschaffen sein?

Die bisherige Aesthetik snchte das Wesentliche,
Bleibende im Kunstwerke selbst. Da es so nicht mehr
geht, suchen wir es einmal anderswo, im Menschen
selbst, der ja zum Schaffen wie zuin Genießen der
Kunstwerke anch dabei sein muß. Und es ist die
Tendenz der neueren Aesthetik das zu thun, sie sucht
das Wesentliche und Beständige im Jndividuum.
Auch das ist im Grunde nichts Neues, auch das ist
schon dagewesen. Es kommt aus die Art und Weise
an, wie es geschieht.

Die verschiedenen modernen Richtungen zu kriti-
sieren, ist hier nicht der Drt. Es genngt zu be-
merken, daß man nicht wieder in den Fehler der
srüheren subjektiven Aesthetik versallen dars, daß man
nun die beim Subjekt auszusindendeu allgemeinen
Bedingungen als das „ Schöne" hinstellt. Das Schöne
ist eben weder ein Objektives, noch ein Subjektives^,
und das Bleibende und Allgemeingiltige ist eben nicht
„das Schöne", sondern ein Gehirnvorgang von be-
stimmt zu umgrenzender Form.

Wichtig ist, daß die bisherige Ästhetik allgemein

*) Vergleiche hierzu meine Aussätze im Kunstwart
^ vou I8yö, Heft 9 und lo, sowie Heft >i im Sprechfaal.


sein will, indem sic nllgemeingiltige Gesetze auszu-
stellen sucht, und fie doch zuglcich an Sätzen festhält
und auf Sätzen aufbaut, die nur fpezielle Giltigkeit
haben. Hier also tiegt der Fehler: die bisherige
Aesthetik will allgemein sein, i st aber speziell. Das
gilt auch im weitesten Sinne von dem Buche Ran-
zonis. Wir glauben es dem Versasser gern, daß es
die Frucht langjähriger Ersahrung nnd langjährigen
Denkens und Urteitens ist, und daß es aus festge-
gründeten Ueberzeugungen entstanden ist. Aber nicht
deswegen, weil es diesen Ueberzeugungen rückhaltlos
Ausdruck gibt, wird es Zustimmung und Gegnerschaft
sinden, wie der Verfasser meint; sondern weil dem
alle Erzengnisse unseres Geistes überhaupt versallen
sind, seien sie, wie sic wollen.

Man wird mit der Zeil, je allgemeiner man
denkt, nm so skeptischer. Auch „richtig" und „salsch"
sind kein unwandelbares absolntes Etwas, ebenso-
wenig wie „schön" und „häßlich". Es gibt kein
„richtig" und „falsch" an sich, es gibt nur ein indi-
viduell und zeitweilig Anerkanntes. Sprechen wir
also dem Buche gegenüber gar nichl von einem Richlig
oder Falsch der Ansichlen unzweifelhaft find sie
ja für den Vcrfasser selbst alle richtig, wenn auch
vielleicht nicht die einzig richtigen, während dieselben
Ansichten sür andere salsch sein werden, wenn auch
vielleicht nicht alle salsch. Dann haben wir im
Grunde nur auf logische Kategorien angewendet, was
wir in Bezug auf die Aesthetik annehmen: daß wir
nicht von einem Schön oder Häßlich an sich reden
können, denn unzweiselhast sind ja sür ein Jndivi-
duum alle Kunstwerke schön, die es als schön be-
zeichnet, während dieselben Kunstwerke sür andere,
gemäß ihrer anderen Vorbereitung, häßlich sein
können, wenn auch vielleicht nicht alle und nicht
immer. Friedricb cmstansen.

N u u d scl) u u.

Dicl)tung.

* Scböne Literatur.

Aus den Tagen der H a n s a. Drei Novellen
von Wilhelm Ienfe n. Zweite Auflage. (Leipzig,
Eduard Avenarius).

Es ift heute die Anschauung gang und gäbe, daß die
modernen naturwisfenschaftlichen Theorien, wie z. B. die
über Vererbung, erst von den Schriftftellern der jün-
geren Generation nach Jbsens Vorbild in unfere Li-
teratur eingeführt worden seien; in Wirklichkeit haben
fie nber die Poeten der fiebziger Jahre bereits benutzt, nur
daß fie lieber das Gute als das Böse fich vererben
ließen und zu folchen Darftellungen mit Vorliebe die
Form des hiftorischen Romans verwandten. Zum Beweis
meiner Behauptung brauche ich nur an Freytags „Ahnen"

zu erinnern, in denen die Familienähnlichkeit durch all
die Jahrhunderte hindurch vielleicht sogar eine zu große
Rolle fpielt. Auch Wilhelm Jensen hat, wie weniger be-
kannt ist, einmal eine Art Ahnen-Zyklus versucht, fich aber
doch auf die Schicksale einer Familie während dreier
Jahrhunderte, des 14-, 15. und i6., beschränkt und fein
Werk mit einer einzigen großen geschichtlichen Entwicklung,
Auffchwung, Blüte und Verfall der deutfchen Hansa, in
enge Verbindung gesetzt. Dieses Werk, „Aus den Tagen
der Hanfa" (erfter Band: Dietwald Wernerkin, zweiter
Band: Osmund Werneking, dritter Band: Dietwald Wer-
neken), erschien im Zahre 1885, alfo gerade, als in Deutsch-
land der neue Sturm und Drang losbrach, und mag des-
halb nicht die Aufmerksamkeit gefunden haben, die es als
eins der besten Werke Jensens unzweifelhaft verdient.
Zetzt ist es in zweiter Auflage erfchienen und gibt Ge-
 
Annotationen