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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 18
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Rundschau
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poetischen Dilettanten aus dem Volke, das zweite, „Der
Siebengescheidte", eine seine Standesgenossen geistig über-
ragenden Bnuern und sein Unglüch das dritte, „Ehrliche
Leute", eine drollige italienische Wirtschaft, in „Einer
von Hunderten" lernen wir einen modernen Diogenes
kennen, „Ein Mädchenschicksnl" ist etwas wie eine Tra-
gödie der Schönheit, „Das Steinchen im Schuh" macht
uns mit einem Kupferstecher, der an Hypertrophie des
Gewissens leidet, „Das Rätsel des Lebens" mit einem
musikalischen Originale srüherer Zeit bekannt. Nlicht
weniger als alle diese lebendig hervortretenden Gestalten
werden aber den sorgfältigern Leser die Einblicke, die
ihre Schilderung in Paul Hepses Wesen gestattet, inte-
ressieren. So fiel es beispielsweise mir sehr stark auf, daß
Hepse glaubt, eine echte poetische Anlage könne in Halb-
bildung verkümmern — ich bin nämlich iminer der festen
Ueberzeugung gewesen, daß sich jede echte Begabung mit
Naturnotwendigkeit aller Bildungselemente bemächtigt,
deren sie bedars, und daß es nicht eben nötig sei, daß der
Dichter aus llniversitäten studiere, um etwas zu leisten.
Weiter überraschte es mich, daß Heyse in seinem musi-
kalischen Original, das die Meperbeererei verivünscht und
den Satz ausspricht: „Von dem, wozu die Musik eigent-
lich in der Welt ist, von dem Symbolischen, was sie
allein ausdrücken sollte, haben ja auch die Herren Aesthe-
tiker nur selten eine entfernte Ahnung", nicht den Vor-
oder Mitläufer Wagners erkennt. Sehr interessant waren
mir dann auch noch die literarischen Diskurse in „Einer
von Hunderten". Mag denn der künstlerische Wert dieser
Charakterbilder nicht besonders groß sein, es hat auch
seinen Reiz, dem Menschen Heyse — und er zeigt sich
auch noch anders als in seinen üsthetischen Anschau-
ungen einmal etwas näher zu kommen.

Adolf B a r t e l s.

WLldende Ikünste.

* Kericbte über bildende Ikunst.

Dresdener Bericht.

Zute r n a tio nale Aunstausstell u n g. H.

Sagen wir nun zunüchst den Dresdener Alalern
guten Tag, als gewissermaßen Gastgebern beim Feste.
Vor wenigen Jahren noch hütten sie als Wirte solch einer
großen Gesellschaft eine betrübliche Rolle gespielt, heut
machen sie eine weit bessere Figur, als z. B. die Berliner
machen könnten. Schwüchlicher Klassizismus, wässerige
Eklektik mit süßlicher Farbe und weichlicher Form — es
kann keinem Menschen mehr einfallen, diese Charakteristik
des malenden Dresdens von einst noch heute anwenden
zu wollen. Kaum, daß in vereinzelten Bildern der
Lügengeist noch spukt, der unsere Kunst Jahrzehnt auf
Jahrzehnt im Kreise gesührt hat; die Luft der neuen Zeit
wehte ihm zu srisch.

Wollen wir auf der grünen Weide bleiben, werden
wir gut das freie Wort wahren müssen, vor den Jüngeren
ebenso sehr, wie vor den Alten. Nun bin ich neugierig
darauf, wie die Dresdner Kritik z. B. mit Prell ver-
sahren wird. Prell hat in der Dresdner Akademie
manches Fenster ohne Angst vor Zugluft aufgemacht,
wo's not that, er soll ein vortrefflicher Lehrer sein, und
ich habe keinen Grund, das zu bezweiseln. Aber man
kann ein guter Lehrer und doch ein schlechter Künstler

sein, sogar, wenn mans verstanden hat, bei vielen Leuten
berühmt zu werden. Bewahr uns Gott davor, daß wir
sür ernst empfundene Kunst ansehen sollten Prells „Ruhe
(richtiger: Pose) auf der Flucht" mit ihrem Engel vom
001P8 cko ballot, oder seine Hildesheimer Rathausbilber,
sehr geschickte Theatermalereien, aber doch eben Theater-
malereien, die nur deni Grade nach von den Knacksuß-
bildern verschieden sind und nur an vereinzelten Stellen
einmal leben. Daß Pohle ein Künstler ist, der hohen
Respekt verdient, beweisen seine älteren Bildnisse; sein
Peschel-Portrait z. B- ist in seiner feinen und soliden Art
ein Meisterwerk, vor dem Junge wie Alte den Hut ziehen
dürfen. Streicht man aber auch seinen „Grafen Brühl"
heraus und gibt ihm gar die große Medaille, so ver-
dunkelt man, um einem alten Herrn freundlich zu sein,
vor dem Publikum den Thatbestand. Kießling ist ein
guter Bildnismaler, aber fünf Portraits von ihm durfte
man doch wohl nicht ausstellen, wo selbst die ersten
Meister nur ganz wenige Werke zeigen. Daß ma» den
um Dresden sehr verdienten Kuehl so reichlich vertrnt,
war auch des Werts seiner Bilder wegen berechtigt,
Kuehl ist ja auch ein Augenkünstler und ein Pinselvirtuos
ersten Ranges. Aber die Presse sollte deshnlb nicht ver-
schweigen, was ihm fehlt: Kuehl malt die Menschen wie
Stillleben. Wenn man aber, wie er in dem Waisen-
Haus-Triptychon, seelische Anforderungen erweckt, so
geht es nicht an, bei der Ausführung die psychische Cha-
rakteristik neben dem Mnlerischen als guantitü nÜAliAeabla
zu behandeln. Es schimpsiert einen Künstler nicht, wenn
wir ihm sagen, alles kannst du natürlich nicht: willst
du nicht, bitte, Stoffe nehmen, die dir liegen?

Von Dresdnern, die jetzt als alte Herren wirken, sind
diesmal eigentlich nur Pauwels, Preller und Schön-
herrzu nennen. Für Pauwels hnt die Versetzung nach
Dresden Stillstand und dnmit Rückschritt bedeutet. Preller
erscheint natürlich auch vorzugsweise„historisch"; wer sich
nicht in die Ausdrucksmittel seiner Zeit hineinfinden kann,
dem wird er ganz gleichgültig bleiben, wer es kann, der
wird sich eines Suchens nach Größe nn ihm erfreuen, das
doch echt ist. Schönherr ist lange einer der meistbespotteten
unter den Dresdener „Alten" gewesen; von Technik kann
man bei ihm überhnupt kaum reden. Aber trotz allen
Nichtkönnertums — wenigstens in seiner „Mittagsruhe"
i st doch etivas, gar nichts Großes, etwas recht Bescheidenes,
aber doch etwas Echtes, das den Mann immerhin als
wirklichen Künstler anzuerkennen erlaubt; er verdient eine
Hütte in jener Gegend der Kunstgeschichte, in der die
Schwind und Thoma in Schlössern wohnen.

Welch einAbstand vonseiner Artder „Phantasiemalerei"
bis zur modernen! Pietschmann würde sich beleidigt
sühlen, vergliche man ihn mit Schönherr, und freilich, er
kann ja nicht nur im kleinen Finger mehr, auch sein
Jdeenkreis ist unvergleichlich größer. Erfaßt er aber den
einzelnen Vorwurf auch intensiver? Obgleich seine
beiden Bilder sehr stark auf Stimmung hinarbeiten, inte-
ressieren sie mir wenigstens nur das Auge, und nicht ein-
mal sehr erfreulich. Lührig erreicht mit seiner Griffel-
kunst vom „Armen Lazarus" die Wucht seiner ersten
Totentanzbilder nicht, scheint sich aber überhaupt mehr
als Maler zu entwickeln: seiue „Steinklopfer" wenigstens
sind ein Bild, das die Wirklichkeit mit ernster Arbeit und
überraschender Kraft selbständig bewültigt zeigt und sehr
persönlich wirkt. Schade, daß wir das von Hans
Ungers „Muse" nicht sagen können, aber so reich und
 
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