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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 18
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Batka, Richard: Singen und Sagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0288

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stehen pflegen, daß gelegentliche Einfälle oder durch
beiondere Urnstände herbeigeführte Eigentüinlichkeiten
in älteren Kunstwerken später verallgemeinert und
zum Prinzipe erhoben werden. So wäre denn nur
noch die Frage zu erörtern, was wohl einen so kon-
sequent sortschreitenden Künstler ivie Wagner zurück-
gehalten haben könnte, den Sprechgesang nur episo-
disch zur Durchführung zu bringen.

Die Antwort darauf kann nicht schiver fallen:
der große Stil that es, der erhabene Charakter seiner
Werke, die zu leichtem Konversationston nur wenig
Gelegenheit gaben. Ganz anders steht die Sache bei
kleineren Stoffen, deren Behandlung um so dringen-
der gewünscht werden muß, als wir mit Musikdramen
großen Stils einstweilen zur Genüge versorgt sind.
Man denke sich — leider kann man es auch an
sertigen Thatsachen erkennen -- den Wagnerschen
Gesangstil aus minder pathetische, leichtere oder gar
aus Lustspielstoffe übertragen, um sogleich zu der Ein-
sicht zu kommen, daß hier eine andere, angemessenere
Art des Vortrags geboten ist, aus die schon der Kom-
ponist bei der Ausführung seines Werkes bedacht sein
muß. Jn dieser Hinsicht scheint Humperdinck mit
der reichlicheren Verwendung des Sprechgesanges den
richtigen Weg beschritten zu haben, wenn ich auch der
Ansicht bin, daß er an manchen Punkten zu weit
gegnngen ist, indem er auch einzelne lyrische Stellen
bloß „fast gesungen" vortragen ließ, statl sie herz-
hast zu wirklicher, ausströmender Kantilene zu
steigern. Doch mag ihn hiezu der Umstand veran-
laßt haben, daß er sein Werk von Schauspielern,
statt von Süngern ausgesührt wissen mußte. Jeden-
salls wäre an dem Grundsatze festzuhalten, daß die
sprechgesangliche Behandlung nur jenen Teilen des
Textes zukommt, welche in erzählender oder dialo-
gischer Weise dem Fortgang und Verlaus des Dramas
dienen, wo es also entweder absotute Verstündlichkeit
des Wortes oder ein rasches Hinwegkommen über
gewisse, sür den Fusammenhang der Handlung not-
wendige Ueberleitungsmomente gilt.

Jn diesem Sinne hat der Sprechgesang gewiß
eine Zukunft vor sich und ist der Jngrimm, womit
man ihn von manchen Seiten besehdet, recht über-
slüssig. Man wiederholt damit nur das Angstgeschrei,
das sich seit Glucks Zeiten regelmäßig erhebt, wenn
jemand das Vorwuchern der Musik zu Gunsten der
mit ihr verknüpsten Dichtung aus stilistischen Motiven

einschränkt, und das da immer lautet „bllni8 mu8i-
Als wenn die Pflege des Parlando gleich-
bedeutend märe mit Krieg gegen die Kantilene über-
haupt. Das sällt doch in Wahrheit niemnndem bei,
und wollte schon irgendwer unglnublicherweise der
Mufik im allgemeinen an den Hals gehen und öem
Sprechgesang allein das Daseinsrecht gestatten, so
wär noch immer Zeit, dergleichen ertremen Ten-
denzen mit Nachdruck entgegenzutreten.

. Vorläufig aber kann ich nicht glauben, daß die
deutschen Musiker jetzt, wie befürchtet wurde, in ganzen
Scharen dem Sprechgesange sröhnen werden. Nicht
darum etwa, weil sie die Depotenzierung des musi-
kalischen Elementes im Gesange verabscheuen, sondern
vor allem deshalb, weil die Zahl derjenigen, die sür
das Problem des Verhältnisses von Gesang und
Sprache ein Jnteresse hegen und über die bloß kor-
rekte Deklamation hinaus zum Entwickeln des Melos
aus dem Tonfall der Sprache gelangen, sehr be-
schränkt ist. Von älteren lebenden Komponisten weiß
ich außer Humperdinck nur noch Plüddemann und
Kienzl zu nennen; von jüngeren etwa noch Siegmund
von Hausegger. Es handelt sich hier eben um eine
besondere Gabe, die man besitzt oder nicht, die aber
nicht gelehrt und erworben werden kann wie das
Fugenschreiben. Und daß diese Gabe so selten vor-
kommt, muß ihren Wert gewiß eher erhöhen als
herabsetzen.

Die Gesahren, die man von einer größeren Aus-
breitung des Sprechgesanges innerhalb der deutschen
Vokalmusik befürchtet, sind mithin so ziemlich unbe-
gründet. Man bekämpfe lieber die salschen Affekte, die
widernatürliche Ausdrucksweise, die leere Virtuosität,
die schludrige Arbeit im modernen Tonschaffen, aber
lasse an dem harmlosen Sprechgesange sich sreuen,
wer den Sinn dafür hat.

Sollten jedoch seine Freunde bei seiner Vertei-
digung gewichtige Einwände übersehen haben und
sollte die historische Entwicklung sie ins Unrecht
setzen, nun, dann mögen sie sich mit einem geschichts-
philosophischen Grundsatz Wagners getrösten, der da
lautet: „Ein Zrrtum wird nicht eher gelöst, als bis
alle Möglichkeiten seines Bestehens erschöpft, alle Wege
innerhalb dieses Bestehens zur Befriedigung des not-
wendigen Bedürfnisses zu gelangen, versucht und
ausgemessen worden sind."

IlUcbard Watka.
 
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