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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 2
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0032

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Der kleine F i n g e r nnd anderes in p r c> s a.
Lon John Henry Mackay. Zwischen den Zielen:
Erster Band. iBerlin, S. Fischer, Verlag. Mk. ^.so.)

„Unter dem Titel »Zwischen den Zielen« gedenke ich
von Zeit zu Zeit ineine kleineren Arbeiten in Prosa, ent-
standcn zwischen mnfassenden Werken, »den Zielen meines
Lebens«, zu vercinigen, und damit sowohl die abgebranchten
Benennungen, wie Novellen rc., als auch die selten zu so
verschiedenen gcfundenen und ausgeführten Stoffen passen-
den und sie kennzeichnenden Gemeintitel zu vermeiden.

Berlin, Frühsahr 1896. John Henry Mackay."

Es steckt eine köstliche Naivetät in diesem kurzen Vor-
wort, so daß ich mich nicht enthalten konnte, es mitzuteilen,
Also Mackay weiß ganz bestimmt, daß die dicken Werke
die Ziele seines Lebens sind, er sieht sie womöglich schon
allc schön gebunden auf dem Bücherbrette stehen und sreut
sich im Voraus ihrer Goldtitel. LeMus llle! Von den
hier gebrachten Skizzen — Mackay hätte ruhig diese „ab-
gcbrauchte" Benennung auf diese Arbeiten amvenden könncn
ist die beste und rührendste, „Hans mein Freund", schon
in dem Flaischlenschen Sammelband „Neuland" veröfsent-
licht; „Der kleine Finger" ist keine üble Nachahmung Edgar
Poes, „Da erinnerte er sich plötzlich" zeichnet sich durch
starke, lokal entschieden tresslich gefärbte Empfindung aus,
der Rest ist nichts. Auch dieses Bändchen bestätigt wieder
meine Ueberzeugung, daß Mackap von Haus aus ein
hübsches, liebliches, zartes Talent ist, das überall, wo es
sich an Großes wagte, zum Zwingen genötigt war. Aber
Maurice Reinhold von Stern singt:

„Vald lobt man Dich, bald mag man Dich nicht leiden,
Kritik, die Närrin, sie begrisf Dich nie!

Doch nimmer gönn ichs niederm Federvieh,

Sich an des Adlers stolzem Weh zu weiden!"

Da habe ichs also!

Ad 0 lf B a r 1 e l s.

« Pcbritten über Ltteratur.

Verdeutsch ung s bü ch er des Allgemeiueu Deut-
scheu B p r achv erei us. VII. Die Schule, Verdeutschung
der hauptsüchlichsten entbehrlichen Fremdwörter der Schul-
sprache, bearbeitet von U>n Karl Scheffler, Gymna-
sialoberlehrer in Braunschweig (Berlin, Allgemeiner Deut-
scher Sprachverein).

Die Verdeutschungsbücher des Sprachvereins sind ge-
eignet, viel Gutes zu stiften im Sinne der Reinigung der
deutschen Sprache von entbehrlichen Fremdwörtern. Denn
es ist kein Zweifel: viele sündigen bloß aus alter Gewohn-
heit, aus Beguemlichkeit und weil sie nichts Besseres für
die Fremdwörter wissen. So enthält auch das Schefs-
lersche Verdeutschungsbuch auf 67 Seiten überwiegend
Gutes und Brauchbares. Leider hat sich aber der Verfasser
in Uebereinstimmung mit sonstigen maßgebenden Persönlich-
keiten zu dem versehlten Grundsatze bekannt, „das bereits
Übliche zu bringen und mehr oder weniger willkür-
liche Neuerungen auszuschließen". Das ist sehr zu be-
klagen. Denn in den Kreisen, in denen das Buch
wirken soll, wird man diese Vorschläge als maßgebend
ansehen, und damit hat der Sprachverein als Hüter
des Üblichen sich zum Bewahrer alter Jrrtümer und
püdagogischer üngeheuerlichkeiten gemacht. Solche ver-
fehlte Verdeutschungen sind namentlich in der Grammatik
zu verzeichnen, z. B. „Zeitwort" für Verbum statt des
schon weithin „üblichen" „Thätigkeitsworts"; jeder vernüns-
tige Junge sagt natürlich: „gestern," „heute" usw. sind
Zeitwörter; diese vernünftige Ansicht wird ihm dann mit

Spott und Hohn ausgetrieben, iveil man nicht anerkennen
will, daß die Anschaulichkeit der grammatischen Kunst-
ausdrücke ihren höchsten Wert ausmacht. Ebenso verfehlt
sind die Verdeutschungen „zielend" und „nicht zielend" für
die ebenso schlechten Fremdwörter transitiv und intransitiv.
Man denke nur: sagt mnn: „ich unterstütze meinen Vater
bei seiner Arbeit", so ist der Vater das Ziel meiner
Thütigkeit; ich helfe ihm, so ist er nicht das Ziel. Sagt
man: ich gebe dem Knaben einen Schlag, so soll der
Schlag das Ziel des Gebens sein, während natürlicher
Weise der Knabe das Ziel des Schlagens ist. Zur Unter-
stützung solchen Unsinns kommt man durch die sorgsame
Bewahrung des „Üblichen". Daß es sür tenuls, mecküc
und u8plrLtu keinen genügendcn Ersatz gebe wird dem Ver-
sasser jeder bestreiten, der sich mit der Lautlehre wissen-
schaftlich beschäftigt hat. Das ungeheuerliche Wort „Mit-
uergangenheit" für Jmperfectum gibt sogar bei Lehrern,
wie ich aus Erfahrung wciß, Anlaß zu schlimmen Miß-
uerständnissen. Man kann nur wünschen , daß dcr All-
gemeine Deutsche Sprachverein von jenem verhüngnis-
vollen Grundsatze bald zurückkomme.

f)aul Schumann.

Tkeater.

Miclttigere ^clViuspiclauttüdrungen.

Dresdener Bericht.

Als vor mehreren Monaten in einer Wochenschrift
eine Novelle von H ermann Sude r m a n n, „Jndische
Lilien", erschienen war, die darin gipfelte, daß ein altern-
der Galan, der den Damen seiner Gunst nach verschwärm-
ter Nacht einen Strauß indischer Lilien zu übersenden
pslegte, von einem jungen Kraftburschen verdrüngt wurdc,
da äußerte ein warmer Verehrer des Dichters dcr

„Heimat", er verstehe nicht, wie Sudermann ein Genügen
daran sinden könne, so leichte Boulevardlektüre zu schreiben.
Hätte dieser Mann damals die drei neuen Einakter
M 0 rituri gekannt, die in Berlin und Wien und wenige
Tage daraus am Dresdener Hofthcater das Lampenlicht
begrüßten, so würde ihn diese Beweglichkeit des Suder-
mannschen Talentes gewiß weniger überrascht haben.
Tieferblickende haben schon längst erkannt, daß cs für
den Dichter des Vorder- und des Hinterhauses eine

Weltanschauung nicht gebe, daß er zwischen der Moral
des Obersten Schwartze in der Heimat und der der heim-
kehrenden Magda hin- und herschivanke. Fast alle seine
Dramen sußen auf dem Widerspruch zweier Lebensan-
schauungen, und in keinem hat er uns zu einer höheren
Philosophie emporgesührt, als zu der bei näherem Zu-
greifen aalglatt entschlüpfenden seines Kaffeegrasen in der
„Ehre". Dieses Jrrlichtern zwischen Rechts und Links ist
ja auch das eigentliche Charakteristikum seines Romanes:
„Es war". Sudermanns Verehrer finden hierin eine

Größe, sie seiern den objektiven Dichter, der das Weltbild
zeichne, wie es ist, und doch irren sie. Denn es ist un-
oerkennbar, daß Sudermann, der zwei Naturen in sich
hat, in dessen Brust sich, wenn wir ihm das zutrauen
wollen, zwei Lebensanschauungen bekämpfen, eine phili-
ströse, wie er sie nennen würde und eine „moderne", von
Nietzsche beeinslußte, — es ist unverkennbar, daß er in
seinen Werken bald mit der Tugend bald mit dem Lastcr
liebäugelt, so daß er den Frivolen sagen kann: „Seht,
hier habt ihr, was ihr wünscht", und den Tugendsamen:


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