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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 4
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Avenarius, Ferdinand: "Papierne Poesie"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0063

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lese nur einmal solch eine „Strophe", wenn sie ohne
Abteilung der Verse gedrnckt ist:

„Nun verlor deirr Schlüssel, Apostelgewaltherrschaft, die
Gunst cr, dcr der Weltstadt Segcn erteilt und dem Welt-
kreis: i:ur Eriuueruug blieb. Sie entriß die Heroen alt-
heidnischer Sage dem Erdschutt: blutend verhaucht der
Athlet siegswerte Kraft, Pfcile versendet der Gott des Ge-
sangs, Wehmut erweckt Hadrians bildschöner Freund."

Jch wiederholc, es ist nicht meines Amtes, über
die Bedentung von Platens Poesie überhaupt zu
sprechen — ich würde da auch aus eine recht andere
Wertschätzung kommen als die landläusige, aber ich
habe es heut nur mit Platens „Sprachmeisterschaft"
zu thun. Mcine paar Beispiele werden natürlich
nicht überzeugen, sie sollens auch nicht, sie sollen nur
einladen, mit etwas kritischen Angen selbst im Platen
nüeder zu lesen. „Das Grab im Busento", „Der
Pilgrim von St. Jnst" und noch einige andere sind
ganz gute Gedichte, nicht mehr, aber auch nicht
iveniger. Aber an sie knüpfen die Bewunderer von
Platens Sprachmeisterschast ja gar nicht an.

Wic konnte der Aberglaube dieser Leute ent-
stehen'ö

Zu Platens Lebzeiten ist er von keinem wirk-
lichen Dichter geteilt worden. Dic Platen nicht be-
fehdeten, ließen sich doch von ihin nicht im geringsten
beeinflussen. Wer aber mit der nötigen Ausdauer
den Leuten sagt: „hört mich, ich bin ein großes
Genie, hört mich!", der hat noch stets einige Gute ge-
sunden, die ihin glnubten. Platen konnte um so
übcrzeugender sprechen, als er unzweiselhaft von
seinem Meistertume selbst überzeugt war und eigent-
lich sein Leben lang nicht viel andres that, als
mittelbar oder unmittelbar sein eigener Prophet zu
sein. Jn der Hand aber schwang er die Gesetzestafel
mit dem Schema: „messet nach, Kleingläubige, klappt
es nicht?" Und jeder Pedant in Deutschland, dem
das innere Heim der Sprache mit sieben Schlössern
verriegelt war, konnte sich mit eigenen Augen über-
zeugen: richtig, immer wo — — hingehörte, war

-, und immer wo ^ ^ hingehörte, war ^

Die deutsche Literaturphilologie hat nichts be-
schämenderes auf dem Gewissen, als die Platen-
vergötterung.

Der deutschen Poesie dagegen hat sie, Gottlob,
wenig geschadet. Nur ein paar ganz kleine Ta-
lentchen haben Platen nachgeahmt, so viel sie nur
konnten, doch um Minckwitzens, Gottschalls und
Mösers lprische Begabung wars nicht schade. Von
größeren sind wohl nur Hamerling und Leuthold
ungünstig von Platen beeinflußt worden, aber doch

lange nicht in dem Maß, wie man zunächst vielleicht
glauben möchte; ihr angebornes Sprachgefühl war
zu stark, um in der Gabel zu trotten, ihr Pegasus
folgte nicht. Daß Heine so wenig wie die Schwaben
von Platen annahmen, weiß ja jeder; wie mit
antiken Rhythmen in deutscher Sprache wahrhaft
meisterlich zu bilden ist, zeigte übrigens gerade der
Schwabe Mörike. Kein einziger der als echt und
bedeutend jetzt allgemein anerkannten deutschen
Lyriker des letzten Jahrhunderts, weder Goethe, noch
Hölderlin, Chamisso, Eichendorff, Uhland, Lenau,
Mörike, Hebbel, Heine, Keller, Storm, Groth und
Greif, keiner von ihnen, so verschieden sie unter sich
sind, hat die Sprache im Platenschen Sinne behandelt
— und noch heute sagt unsere Liternturphilologie:
dem Manne eisert nach!

Bezeichnend bei der Sache ist: unsre Schrist-
gelehrten sind sich augenscheinlich gar nicht bewußt,
daß es sich hier um ein Entweder-Oder Handelt. Es
scheint wirklich so, als arbeite ihre Ästhetik noch
immer mit der schönen Theorie: hier hat der Poet
„ein köstliches Gefäß", nämlich die Form, und darein
gießt er nun einen „edeln Jnhalt". Aber so stehts
nicht, sondern so, daß jedem wirklichen Dichter jeder
Stoff schon bei der ersten Konzeption auch in einer
bestimmten äußeren Form entgegentritt: er ist sich
nie im Zweisel, ob in Jamben oder Trochäen, ob
als Sonett oder Ode, er hört mit dem inneren Ohre
den Rhythmus sogleich. Aber zunächst nur wie eine
Mclodie ohne Worte, bis auf einige wenige, die sich
aus dem Dunkeln heraus schon krystallisieren. Nun
konzentriert er sein Jnnenleben mit höchster Energie
auf die Stimmung, unter der er steht. Da lösen
sich aus dem rhythmischen Wogen seiner Seele die
Worte los als Gedicht. So bildet sich ein Stoff
seine Form. Was erst als Prosa gekommen ist,
wird nie was rechtes. Wir schreiben jetzt gern
gegen papierenen Stil; wenn es je eine papierene
Poesie gegeben hat, wars die Platensche und
Platenidische.

Nur darauf beruht der Wert einer künstlerischen
Form, daß sie den Gcnießenden unbewußt
zurücksch ließen läßt auf die Kräfte, die
sie gestaltet h a b e n. Machen wir uns das
erst klar, so wird unserm Formgesühl Platen nie
mehr gefährlich werden. Um ihres eignen Ansehens
willen aber sollte die Literaturgeschichte und die
Literaturkritik endlich mit der gedankenlosen Be-
hanptung ausräumen, Platen sei ein vorbildlicher
Meister der Sprachbehandlung gewesen. A.
 
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