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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 10.1896-1897

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Heft 5
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Söhle, Karl: "Historische Konzerte"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11731#0077

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jeder Kapellmeister, der sich historisch bethätigen
möchte, ist ein Kretzschmar, Wüllner, Daniel de
Lange und also im Stande, die alten Werke selb-
stündig zu bearbeiten. Und blickt man auf manchen
prachtvoll ausgestatteten Partiturenband alter Ton-
werke, der in letzter Zeit publiziert worden ist, so be-
schleicht einen doch oft ein schmerzliches Bedauern
bei der Wahrnehmung, daß da leider nicht musikalisch
seinsühlige praktische Künstlerhände, sondern die
sleißigen, mehr feder- als tastenkundigen Finger züns-
tiger Musik-Philologen leiner den Poesie-Philologen
ühnlich gearteten, noch jungen Zunst, deren hoherer
Düntzer Spitta war) die Bestellung besorgt haben.
Vevor also nicht mißzuverstehende, unmittelbar prak-
tisch verwendbare Ausgaben alter Tonwerke mehr in
Umlans gesetzt werden, die unsern Dirigenten die
Sache klärlich verdolmetschen, dars man sich nicht
mit allzu großen Hoffnungen tragen. Ja, bei den
alten mehrstimmigen Vokalpartituren, die in partitur-
gerechter Stimmen-Vollständigkeit auf uns gekommen
sind, da geht's schon. Wie aber steht's bei den
völlig skizzenmäßig notierten Jnstrumental-Werken,
oder doch Jnstrumental-Partien in Werken der Ge-
neralbaß-Epoche, d. h. der Zeit von etwa 1600 bis
Bach, in denen nur die hohe Melodiestimme und der
mit Akkord-Ziffern reichlich versehene Lasso oontiuno
ausgeschrieben sind? Da müssen die Füllstimmen
vom generalbaßkundigen Bearbeiter mit größter Vor-
sicht und seinstem historischen Jnstinkt ergänzt werden.

Der Lurus einer sesten instrumentalen Stimmen-
besetzung, wie heute, war ja den Alten unbekannt.
Da hatte der Komponist vor allem einen oder
mehrere gute, tastenseste, mit Füll-Akkorden nicht
sparende Cembatisten oder Organisten im Auge, im
übrigen aber überließ ers getrost jedem Kapellmeister,
sich mit der Besetzung des Werkes nach seinen vor-
handenen Mitteln einzurichten. Sollte da also z. B.
in eines thüringischen Serenissimi Hoskapelle unter
pslichtgemäßer Verstärkungs-Beihilse von Kammer-
dienern, Leibjägern, Rentmeistern, Wirtschasts- und
Küchenobersten, Kantoren und Kurrende-Schülern der
Stadt- und Dorf-Nachbarschast das Skelett einer
Tokkaten-Ouvertüre von Cavalli zum lebendigen
Klang-Organismus werden> so ließ der hochmögende
Kapellmeister, so weit seine Mittel reichten, herzhast
Oktaven verdoppeln und den Klang verstärken, durch
große und kleine Lanten, Theorben, Quer- und
Schnabelflöten, Fagotte, Krumbhörner, Zinken, Po-
saunen u. s. w.*

*) Höchst anschaulich schildert der alte Michael Prae-
torius in seinem „8/Mg.Ama mu^icum" (^s^y), dem Haupt-
quellenrverk über die unglaublich verschiedenartigen Jn-
strumente und die Art des Musizierens im i7. Jahrhundert,
solch eine Musikaufführung. Nachdem er in damaliger
Bambastus Paracelsusmäßiger Weitschweifigkeit beschrieben

So erfreulich wächst die Teilnahme an histori-
schen Konzerten, daß ganze „musikentwickelungsge-
schichtliche Abende" heute keine Seltenheit mehr sind.
Sogar die Leipziger Tonkünstler-Versammlung des
letzten Sommers erhielt durch ein großartiges histo-
risches Konzert nach Vieler Ansicht ihre Haupt-
Bedeutung. Selbst bis in unsere Opernhüuser ist
der Rus nach alter Musik eingedrungen, und in
München, Karlsruhe, auch in Dresden hat man ihm
Gehör geschenkt, zunächst verschollene Jugend-Opern
Glucks, Haynds, Mozarts, Schuberts und noch älterer
Meister zur Aufführung bringend. Jn München gab
man bekanntlich Mozarts „Don Juan" gar in ge-
schichtlich treuem Gewande — eine Unternehmung,
bei deni wohl etwas Meiningerei init unterlief. Jn
Oratorien (Bach-), Kammermusik-(Mozart-)Vereinen
sährt man mit dem „Ausgraben" sleißig sort, und
historische Orgel- und Klavier-Konzerte bilden nach
der solistischen Seite hin die Ergänzung.

Ueber diese letztern, die Solisten-Konzerte, einige
Bemerkungen. Hier ist Dresden einmal im Vorder-
treffen durch das Wirken Richard Buchmayers, dessen
historische Konzerte durch die höchst sachverständige
Auswahl und Anordnung der Programme und die
mustergiltige Bearbeitung der Stücke nnter den
Kennern Aussehen erregen. Buchmayer geht daraus
aus, in seinen Programmen die Musikgeschichte in
ihren Zentren und die meist nicht bekannten
Vo r b e r e i t u n g e n daraus zu beleuchten, mit
strenger Kurs-Einhaltung von Station zu Station,
und Bach ist ihm immer der Gipsel des Programms.
Von Bach an die Weiterentwicketung zu verstehen,
füllt uns Neueren ja nntürlich nicht schwer; ins
Frühere zu leuchten, das Dunkel aus dem Wege von
den Ansängern zu Bach hin aufzuhellen, das betrachtet
Buchmayer als seine Aufgabe. Alte Jnstrumente
benutzt er nur, um gelegentlich einmal mehr äußer-
lich die frühere Art des Musizierens zu veranschau-
lichen, im Ubrigen bedient er sich, allerdings mit fein
berechneten Anschlags - Modisikationen, ruhig eines

hat, wie man verwandte Blas- und Saiteninstrumente
zu Chören verbunden habe, bemerkt er über die außerdem
zum Orchesterkörper gehörigen Lautenchöre: „dazu ordnet
man Claoicymbel oder Spinetten, Theorben, Lautten,
Bandoren, Orpheoren, Cithern, eine große Baß-Lpra, oder
was und so viel man von solchen und dergleichen llnn-
llnment-lQ8trumenten zuwege bringen kann, zusammen:
Darbey dann eine La88-Geig sich wegen des llnnllLment8
nicht übel schickt. Welcher Chor wegen Anrührung der
vielen Sayten gar ein schönen etkectum machet, und herr-
lichen lieblichen He^ouuutr: von sich giebt; inmaßen ich
dann einstmals die herrliche aus dermaßen schüne kckotettuw
des trefflichen Lompoui8teu 1uelle8 lle rVertb, üiAr688U8 i
ye8U8; u 7 voeuur, mit 2. Theorben, 3. Lautten, 2. Cithern,

4. Clavicymbeln und Spinetten, 7. Violeu lle Oumbu,

2. Quer-Flöithen, 2 Knaben, 1. Altisten und einer großen
Violeu (Baß-Geig) ohne Orgel oder tte^ul mu8iciereu
lassen: Welches ein tresflich prechtigen, herrlichen kte^ouuutr:
von sich geben, also, daß in der Kirchen wegen des Lauts
der gar vielen Sayten sast alles geknittert hat."
 
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